Die neuen Rockefellers

Silicon Valley Der globale Taxidienst Uber zeigt das wahre, zynische Gesicht der Online-Geschäftsmodelle
Ausgabe 48/2014
Nur zur Erinnerung: App bedeutet Anwendungssoftware und nicht Zeitgewinn
Nur zur Erinnerung: App bedeutet Anwendungssoftware und nicht Zeitgewinn

Foto: Ed Jones/AFP/Getty Images

Dass ein leitender Angestellter des Online-Fahrdienstes Uber sich kürzlich bei dem Gedanken ertappen ließ, Privatdetektive auf unliebsame Journalisten anzusetzen, hat auch etwas Gutes: Es lüftet den Schleier, der bisher über dem digitalen Kapitalismus lag. Bekanntlich fing Uber als großzügig gesponsertes Start-up in San Francisco an und hat sich zum Ziel gesetzt, in Großstädten weltweit die Taxiunternehmen zu verdrängen. Wütende Proteste und alarmierte Aufsichtsbehörden sind vielerorts die Folge. Zugleich aber bleibt die Medienresonanz seltsam unkritisch, oft sogar bewundernd. Uber wird als Musterbeispiel für Clayton Christensens klischeehaftes Konzept der „disruptiven Innovation“ gefeiert, während herkömmliche Taxidienste als behäbige und oft betrügerische Monopolisten dastehen.

Mit seinem coolen Auftritt – es läuft über eine Smartphone-App, also ist es cool – erscheint Uber als würdiger Surfer auf der jüngsten Welle der kreativen Zerstörung, die dem Kapitalismus seit jeher zur Selbsterneuerung dient. Und wenn Uber-Angestellte mal ein bisschen aggressiv werden, so ist das natürlich kein Vergleich zum Benehmen der bisherigen Platzhirsche. Haben die Londoner Taxifahrer nicht neulich erst die ganze Stadt lahmgelegt?

Streng genommen ist Uber ebenso wenig eine Internetfirma wie DHL oder Karstadt. Es ist eine Firma, die das Internet nutzt, doch die Dienstleistungen, um die es geht, werden offline erbracht. Zwei Konzepte der reinen Internetfirmen übernimmt Uber dabei: erstens das Geschäftsmodell der „Plattform“ – will sagen, des Vermittlers, der Käufer und Anbieter zusammenbringt, eine Provision kassiert, Daten sammelt und keinerlei Verantwortung übernimmt.

Datensammelwut

Zum anderen die Obsession der Bewertungen. Nach jeder Fahrt werden Uber-Kunden aufgefordert, ihre Zufriedenheit mit dem freischaffenden Chauffeur auf einer Skala von ein bis fünf Sternen einzuordnen. „Diese Bewertungen können einem ganz schön zu schaffen machen“, bekannte einer der Fahrer kürzlich im Interview mit dem Wirtschaftsmagazin Quartz. „Wenn ich jemanden durch New York fahre, der nicht von hier ist, aber nachher meckert, ich hätte den falschen Weg genommen – woher soll denn der wissen, welchen Weg ich nehmen sollte?“ Zwanzig Jahre lang hat der Befragte für verschiedene Gesellschaften als Taxifahrer gearbeitet, und kein einziger Kunde hat sich je über ihn beschwert. Nun muss er um seinen Job bangen: „Mein Durchschnitt liegt bei 4,8. Wenn ich unter 4,6 falle, können sie mich feuern.“

Ein weiterer Aspekt ist Ubers Datensammelwut, von der ein Eintrag im Firmenblog vom 26. März 2012 – Titel „Rides of Glory“ – eine faszinierende Kostprobe bot: „Neulich ist mir aufgefallen, dass einige von euch wahrscheinlich diese Art von One-Night-Stand hatten, die man morgens beim Aufwachen gleich bereut. Früher hättet ihr panisch im Dunkeln nach eurem Pelzmantel oder Smoking getastet. Dann der lange Fußweg nach Hause. Heute läuft das anders. Eine der hübschen Sachen, die wir mit unserer Datenbank anstellen können, ist, Kundenmuster zu erkennen. Gibt es zum Beispiel Wochenendkunden, die Uber nur nach Partys nutzen? Als wir mit solchen (blinden!) Unterteilungen herumspielten, kamen wir auf die Idee mit den ‚Rides of Glory‘ (RoG). RoGer sind alle die, die freitags oder Samstags zwischen 22 Uhr und 4 Uhr morgens einen Wagen rufen und dann vier bis sechs Stunden später wieder einen, in 200 Metern Umkreis von dem Ort, an dem sie sich zuvor haben absetzen lassen.“

Letzte Woche ist dieser Blogeintrag aus dem Netz verschwunden, sodass man unter http://blog.uber.com/ridesofglory nur noch die Fehlermeldung „Error 404“ findet. Offenbar hat die PR-Abteilung ihr Team für Krisenmanagement ausgesandt, um kompromittierendes Material aus der Selbstdarstellung zu tilgen.

Die wichtigste Lehre, die wir aus dem Beispiel Uber ziehen sollten, ist, die rosarote Brille abzusetzen, durch die wir bisher auf die Gewächse aus dem Silicon Valley geblickt haben. Allzu lange haben wir sie als Kinder eines hippiesk-libertären Geistes behandelt, der angeblich unter den Pionieren der Computerindustrie geherrscht haben soll. Dabei sehen die milliardenschweren Geeks, die heute an der Spitze der Internetkonzerne stehen, zwar aus wie eine ganz neue Gattung von Unternehmern, aber klüger wäre es, sie als Rockefellers im Kapuzenpulli anzusehen.

Die Wirtschaftsphilosophie, der sich diese digitalen Kapitalisten verschrieben haben, ist nackter Neoliberalismus. Deshalb reduzieren sie die Zahl ihrer Festangestellten auf ein Minimum, lagern alles aus, was sie können, verachten Gewerkschaften, betrachten Aufsichtsbehörden als „Innovationshindernisse“ und ereifern sich über die Unverfrorenheit, mit der europäische Institutionen sie in ihrer Handlungsfreiheit einschränken wollen.

Die Sache hat tatsächlich eine geopolitische Dimension. Auf die Snowden-Enthüllungen reagierten die Internetkonzerne wie entrüstete alte Tanten, denen die unanständige NSA unter den Rock gefasst hatte. Ihre wahre Sorge ist aber, dass ihre eigene Verstrickung in die US-Geheimdienstschnüffelei ihnen die Kunden vergraulen könnte. Schon stoßen Cloud-Computing-Dienste, die in den USA ansässig sind, auf wachsende Ablehnung unter europäischen Kunden. Wenn sich dieser Impuls verstärkt, wohin soll das führen?

Also wird nach Kräften das Trugbild genährt, dass die Konzerne ganz unschuldig Seit’ an Seite mit uns, den Kunden, gegen den gierigen Überwachungsstaat stünden. Diese Augenwischerei soll die Tatsache verdecken, dass bisher alle großen Technologiefirmen außerhalb Chinas amerikanisch sind. Und während der globale politische Einfluss der USA zu schwinden beginnt, verwandeln sich Konzerne wie Google, Amazon, Yahoo, Microsoft, Facebook, Cisco – und Uber – zunehmend in Manifestationen dessen, was der Politologe Joseph Nye „soft power“ nennt: „weiche Macht“. Sie wissen genau, auf welcher Seite sie stehen. Nicht auf unserer.

John Naughton ist Professor an der Open University. Im Guardian schreibt Naughton regelmäßig über Technologiethemen

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