Die neun Geheimnisse eines Perpetuum mobile

KOLUMBIEN Comandante Pablo Beltrán (ELN-Guerilla) über einen mörderischen Konflikt, der um seine Zukunft nicht zu fürchten braucht

Der Beginn des Fiskaljahres in den USA am 1. Oktober war auch das Startsignal für den Plan Colombia. Ab sofort stehen 1,3 Milliarden Dollar aus dem US-Haushalt für die bisher »umfassendste Kampagne zur Drogenbekämpfung in Kolumbien« bereit, wie es offiziell heißt. Doch das Unbehagen in vielen Staaten Südamerikas wächst, der Drogenkrieg könnte zu einem massiven Einsatz der US-Armee auf dem Subkontinent führen und in Kolumbien den Bürgerkrieg zusätzlich anfachen.

Pablo Beltrán - Nummer Drei der ELN-Guerilla ELN (Ejercito de la Liberación Nacional/*) - beschreibt auf der homepage seiner Formation (www.eln-voces.com) diesen Krieg als eine Art Perpetuum mobile, das praktisch nicht zerstört werden könne, und geht der Frage nach, wie sich dieses Phänomen erklären lässt? Wir dokumentieren den Extrakt seines Aufsatzes.

Eine der Stärken der kolumbianischen Kriegsmaschinerie besteht darin, dass sie eine virtuelle Realität über den Konflikt verbreitet. Darin kommen die Interessen ausländischer Mächte ebenso wenig vor wie der Umstand, dass die Privilegien der alten und neuen Eliten Kolumbiens mit der gleichen Geschwindigkeit wachsen, wie sich der Krieg verschärft. Bereitwillig verbreitet wird hingegen der Appell einer Gesellschaft, die einfach »Nein« sagt. Aber diese Forderung allein führt letztlich dazu, dass in diesem Land alles beim Alten bleibt und »die Geheimnisse des Krieges« nicht angetastet, geschweige denn untersucht werden.

Gewinne des Imperiums

Geheimnis Nr.1: Kolumbien ist für die US-Ökonomie der fünftgrößte Markt in Lateinamerika. 47 Prozent der kolumbianischen Einfuhren kommen aus den USA. Nach Angaben der Zeitschrift Fortune besitzen 400 der 500 größten US-Unternehmen Niederlassungen in meinem Land. Gleichzeitig ist Kolumbien fünftwichtigster ausländischer Öllieferant für Nordamerika. Kein einziges dieser Geschäfte hat bisher unter dem Bürgerkrieg gelitten - im Gegenteil.

Geheimnis Nr. 2: Die US-Amerikaner versuchen den Drogenhandel zu kontrollieren, nicht zu zerschlagen. Dafür unterhalten sie eine weitreichende Allianz mit jenen Kartellen, die vom Pentagon diktierte Konditionen akzeptieren. Sie laufen darauf hinaus, weiterhin Kokain-Exporte zu tolerieren, wenn die Kartelle als Gegenleistung an »politischen Säuberungen« gegen die »Dissidenten« im Lande teilnehmen.

Im Frühjahr 2000 schrieb der Miami Herald, die US-Drogenbehörde DEA habe 1998/99 mehr als 100 kolumbianischen Drogenhändlern Straffreiheit zugesichert. Kontakte gab es dabei auch zu Carlos Castaño, den Oberkommandierenden der rechten Paramilitärs, der nach den Informationen des Blattes inzwischen den größten Teil des Drogenhandels kontrolliert, aber noch nie in das Zielraster von US-Ermittlern geriet.

Geheimnis Nr. 3: Vier Fünftel der 1,3 Milliarden US-Dollar, die von den USA in den Plan Colombia investiert werden, sind für Militärausgaben bestimmt, wobei der militärisch-industrielle Komplex in den USA der wichtigste Verkäufer sein wird. Washington rechtfertigt das mit der notwendigen Unterdrückung des Drogenhandels.

Geheimnis Nr.4: Der Pentagon beschuldigt die kolumbianische Guerilla, die Stabilität der Andenregion in Frage zu stellen. Da sich die USA nach wie vor als Ordnungsmacht der Region begreifen, strapazieren sie dieses Argument, um ihre Kontrollfunktion zu verteidigen. Eine Funktion, die im Übrigen durch den Klassenkrieg in Kolumbien, den revolutionären Prozess in Venezuela, die ekuadorianischen Volksaufstände, die sich abzeichnende Demokratisierung in Peru und die anti-neoliberale Bewegung in Brasilien gefährdet scheint. Das kolumbianische Establishment hingegen hat - im Unterschied zu Nachbarn wie Ekuador oder Peru - den Sturm der Auslandsverschuldung, die Pest der neoliberalen Öffnungspolitik, das Erdbeben der Finanzglobalisierung relativ unbeschadet überstanden. Ein Wunder?

Zentrum der Maschinerie

Geheimnis Nr. 5: In Kolumbien grassiert ein mafiotischer Kapitalismus, der von der Dreieinigkeit »alte Eliten, neureiche Mafia und US-Regierung« dirigiert wird. Die ökonomische Öffnung ruiniert zwar die Landwirtschaft, doch zugleich stützt die Geldwäsche der Kokain-Kartelle die agroindustrielle Exportindustrie und andere Sektoren. In dieser Ordnung hat sozialer Protest keinen Platz mehr, Wirtschaftsverbände werden gekauft oder durch den Terror der Privatarmeen zum Schweigen gebracht.

Geheimnis Nr. 6: Diese Verschränkung von informeller und formaler Ökonomie drückt sich auch darin aus, dass die erwähnte Triade inzwischen einer erkennbar angeschlagenen staatlichen Rechtsprechung die »Privatjustiz« vorzieht. So übernehmen »Sicherheitsunternehmen« nebst ihrer paramilitärischen Handlanger vielfach den Schutz wirtschaftlicher Interessen. Von den 500 ausländischen Militäradvisern, die Kolumbiens Armee in den kommenden Monaten trainieren sollen, sind 300 Angehörige der US-Army. Die restlichen rekrutiert die dem Pentagon nahe stehende private Sicherheitsagentur MPRI, die von Ex-US-Generälen gemanagt wird. Ansonsten wird es der kolumbianischen Armee durch den Rückgriff auf paramilitärische Strukturen möglich sein, auch künftig eine Arbeitsteilung zu praktizieren, die einem terroristischen Staat das Charisma einer demokratischen Erscheinung verschafft.

Exodus der Indígena

Geheimnis Nr. 7: Während die Neureichen ihr Mafia-Kapital und die Don-Vito-Corleone-Methoden in die Allianz einbringen, übernehmen die alten Eliten neuerdings die Mission, das politische Projekt der Rechten über Fernsehkanäle und Zeitungen zu vermarkten. So versuchen die Paramilitärs seit kurzem, sich als politische Kraft zu artikulieren. Während eines Interviews, das die wichtigsten TV-Stationen Kolumbiens mit dem bereits erwähnten Carlos Castaño, dem Chef der Todesschwadrone, führten, konnte dieser unwidersprochen Massaker und Folterungen als »politisches Mittel« bezeichnen. In der Konsequenz können sich so auch die Chefs der Kokain-Kartelle als »politische Führern« stilisieren, die selbstredend nicht die Führung der Drogen-Republik anstreben, sondern zufrieden sind, wenn niemand an ihre Verbrechen erinnert und sie ihre Reichtümer genießen können, sobald die legalisiert sind. Keine Frage, dass diese Verhältnisse faschistoide Züge tragen und ein entscheidender Grund für den Massenmord sind, der in den vergangenen 35 Jahren an der Opposition verübt wurde und nach Angaben unabhängiger Menschenrechtsorganisationen ungefähr 50.000 Kolumbianern das Leben gekostet hat. Zu diesen Staatsverbrechen gehören die Vernichtung der Oppositionspartei Unión Patriótica und die Ermordung von 1.336 Gewerkschaftern allein aus dem öffentlichen Dienst.

Geheimnis Nr. 8: Zuletzt beschuldigte das kolumbianische Verteidigungsministerium die großen Arbeitgeberverbände, den »Paramilitarismus« zu finanzieren. Der Vorwurf sollte wohl die eigenen Militärs entlasten. Andererseits war diese Aussage auch ein überraschend offenes Eingeständnis der Tatsache, dass breite Sektoren der so genannten Zivilgesellschaft in den schmutzigen Krieg verwickelt sind.

Geheimnis Nr. 9: In Kolumbien gibt es als Folge der kapitalistischen Logik den Zwang, das Terrain für Großprojekte zu bereiten. Mehr als 2,5 Millionen Menschen waren so im vergangenen Jahrzehnt transnationalen Unternehmen im Wege, die Ölquellen, Kohlegruben, Nickelminen, genetische Ressourcen ausbeuten wollten. Armee-Einheiten und Paramilitärs vertrieben die Embera-Katío-Indígena, um »Baufreiheit« für den Urrá-Staudamm zu schaffen. In gleicher Weise wurde gegen andere Ethnien vorgegangen, um in Arauca der Occidental Petroleum das gewünschte Aktionsfeld zu sichern. Die Wuayú-Indígenas mussten weichen, damit Steinkohle aus der Guajira geholt werden konnte ...

Die Kartelle fiebern danach, Land zu kassieren, um dadurch Gelder waschen zu können. Der Prozess der Enteignung beginnt in der Regel mit Massakern, setzt sich über den Exodus der Überlebenden fort und mündet in den Kauf von Besitztiteln zu Dumping-Preisen. Die UN-Agentur für Drogenprävention und -bekämpfung (UNDCP) schätzt, dass sich die Kartelle auf diese Weise in Kolumbien 44.000 Quadratkilometer Boden angeeignet haben - das entspricht der Größe der Schweiz oder 40 Prozent der in Kolumbien ökonomisch nutzbaren Fläche.

Übersetzung Raul Zelik

(*) Neben den FARC die zweitgrößte Guerilla-Gruppe Kolumbiens.

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