Die Ökonomie der Bilder

Medien Was erhoffen wir uns von Fotografien, die Attentäter oder Amokläufer zeigen: Aufklärung, oder Erklärungen gar?
Ausgabe 31/2016
An der U-Bahnhaltestelle am OEZ in München sieht man Zeichen der Trauer und des Unverständnisses
An der U-Bahnhaltestelle am OEZ in München sieht man Zeichen der Trauer und des Unverständnisses

Foto: Christof Stache/AFP/Getty Images

Die neue Art der Bedrohung durch den Terror besteht nicht zuletzt in den Reaktionen, die er provoziert. Nicht oft genug wiederholt werden kann die Forderung nach Besonnenheit – aufseiten der Politik, der Bürger und der Medien. Letzteres ist umso wichtiger, als die Komplexität, in der die Gewalttaten wirken, noch gesteigert wird durch die Vielschichtigkeit einer Ökonomie der Information. Sie ist auch eine Ökonomie der Bilder und spielt vor allem als solche dem neuen Terror nicht selten in die Hände.

Le Monde, die vielleicht wichtigste Tageszeitung Frankreichs, hat aus diesem Grund angekündigt, sie werde in Zukunft keine Bilder mehr abdrucken von Attentätern oder Gräueltaten des selbsternannten IS. Die Zeit hat sich dem nun angeschlossen, indem sie Bilder der jüngsten Ereignisse in Bayern unkenntlich macht und unter der Zeile „Was wir nicht mehr sehen wollen“ dieses Vorgehen begründet.

Die demonstrative Auslöschung der Bilder bei gleichzeitig fortgesetztem Gebrauch wirft eine wichtige Frage auf: Welche Funktion kommt ihnen eigentlich zu, wenn sie derart verfremdet werden können, welche Informationen bieten sie? Scheinbar haben sie zu keinem Zeitpunkt einen Informationswert besessen, weshalb sie jetzt auch keinen einbüßen können. Tatsächlich gehorcht ihre Präsenz in den Tages- und Wochenzeitungen einer anderen Logik, dem Druck der Konkurrenz, in der diese stehen mit den Kanälen, in denen die Bilder im Internet zirkulieren. Dort, fern einer der Presse bislang noch anhaftenden Vorstellung von Ethos, geben sie ihr Wesen zu erkennen. Erst in den Kontext der etablierten Medien überführt, werden die Zeichen des Terrors, die sie sind, zu Pressebildern und als solche autorisiert. Die nachgängige Verschleierung ist nur mehr ein symbolischer Akt. Auch er folgt den Bedürfnissen der Zeitungen, dient der Abgrenzung zu besagter Konkurrenz und der Rechtfertigung der eigenen Position.

Wie nun aber mit diesen Bildern umgehen? Einmal existent, lassen sie sich nicht verdrängen. Sie müssen dekonstruiert werden. Und dies erfordert Distanz. Die Verfremdung der Bilder ist eine bildinterne Operation, die zudem ihren Gebrauch rechtfertigt. Sie schafft keine Distanz. Um sie zu gewährleisten, bedarf es eines Bewusstseins für die Kontexte, in denen die Bilder erscheinen, begonnen mit den Oberflächen, in deren wortwörtlichen Rahmen sie uns begegnen. Diese „Seiten“, ob in Zeitungen oder im Internet, geben Auskunft über das Wesen der Bilder und dürfen ihrerseits als solche betrachtet werden.

Auf derselben Seite, auf der Die Zeit ihre neue Bildpolitik erläutert, druckt sie ein unkenntlich gemachtes Bild des rechtsgesinnten Amokläufers von München, umgeben von Porträts des Reutlinger Beziehungstäters und der islamistischen Attentäter von Würzburg und Ansbach – alle in der Retusche nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Auch noch von jenseits des über sie gebreiteten Schleiers zeigen die Bilder ein willkürliches Moment des Terrors auf. Ein wichtiger Punkt. Der Zusammenhang von Taten aus verschiedenen politischen Lagern wird aber nur gezeigt, er wird nicht erklärt, zumindest nicht in den Bildern. Offensichtlich eignen sie sich dazu nicht. Es braucht den Diskurs, der jetzt beginnt und zu klären sucht, was wir uns von den Bildern erhoffen.

Johannes von Müller ist Kunsthistoriker und Koordinator des internationalen Forschungsprojekts Bilderfahrzeuge am Warburg Institute in London

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