Die Ordnung der Lüste

Mehr Rechte für Huren Seit sieben Monaten ist das neue Prostitutionsgesetz in Kraft. Zu Abschlüssen von Arbeitsverträgen und Sozialversicherungen hat es bisher nicht geführt, aber es verändert die Stimmung im Gewerbe

Zimmervermietung non stop", verkündet in knalligem Orange die in den Raum ragende Reklametafel. Die Metalltür zur Wohnung liegt unmittelbar in der Hofdurchfahrt. Nur wer "sich verwöhnen lassen" will, klingelt, die Hausbewohner nehmen einen anderen Eingang. Das Klingelschild ist quietschrot angepinselt, was wohl animierend wirken soll.
"Komm doch rein", lächelt Corinna* als sie nach einem Blick durch den Späher die Tür aufmacht. Etwa zwanzig Jahre alt ist sie, hat kurze schwarze Haare und in ihrem modisch schwarzen Outfit würde sie auch in einem Designstudio nicht auffallen. Mit dichten, wiederum roten, Vorhängen sind die zwei Zimmer der Erdgeschosswohnung von der Außenwelt abgeschirmt. Während die Frauen und Mädchen auf Kundschaft warten, können sie in einer Teeküche sitzen und lesen. Die beiden angrenzenden Zimmer sind aufgeräumt, die Beleuchtung taucht das Interieur in ein, natürlich rotes, Licht. Die Betten sind frisch bezogen, in einem Glasschälchen liegen Kondome. Nach Auskunft von Petra* sind die Arbeitsbedingungen erträglich. "Wir gucken uns die Männer vorher genau an, ob sie gepflegt sind, ob sie sauber sind und so." Sie müsse nicht jeden Freier akzeptieren. Auch die Arbeit bereite ihr keine weiteren Schwierigkeiten. In knappem Rock und mit hochgeschnürtem Busen meint sie: "Privat und Beruf, da muss es eine Trennung geben. Wenn ich hier raus gehe, dann bin ich privat. Mein Freund hat mit meinem Beruf gar keine Probleme." Für das Standartrepertoire gibt es feste Preise, Sonderwünsche kosten besonders und: "Wir machen nicht alles."
So proper wie bei Petra und Corinna sollte es im Lustgewerbe immer zugehen, ginge es nach dem Anfang dieses Jahres in Kraft getretenen Prostitutionsgesetz. Der Gesetzgeber hofft, dass sich die schlechten Arbeitsbedingungen in Eros-Centern und anderen Absteigen verbessern und Prostituierte in Bordellen offen als Arbeitnehmerinnen oder als Selbständige agieren können. Die Regelung stellt die Lebens- und Arbeitsbedingungen eines beachtlichen Teils berufstätiger Frauen in Deutschland auf eine neue rechtliche Grundlage.
Von ungefähr 400.000 Frauen, die mit der kommerzialisierten Lust Geld verdienen, gehen offizielle Schätzungen aus. Immerhin rund 7 Milliarden Euro werden bei 1,2 Millionen Begegnungen pro Tag umgesetzt. In Berlin kommen auf 100.000 Einwohner 294 Sexdienstleister. Die Prostituierten sind fast immer Frauen. Nur ungefähr 200 professionelle Call-Boys gebe es in Berlin und die würden fast ausschließlich Männer bedienen, meint Andreas Kippe von der Streetwork Station Subway. Der Jahresbericht der Anlaufstelle weiß jedoch von Tanzcafés in Berlin Schöneberg, in denen Frauen Kontakte zu Strichern aufnähmen. Kürzlich war Kippe bei einem Berufsseminar von Call Boy aus ganz Deutschland: "14 waren gekommen und immerhin drei arbeiten für Frauen", erfuhr er dort. Auch für die männlichen Stripper und Stricher werde sich vielleicht längerfristig das Berufsbild ändern.
Ein Gewerbezweig auf dem Weg in die Normalität also? In einer Gesellschaft, in der vom Gewissen des Abgeordneten bis zum Silikonimplantat für den mediengerechten Busen alles käuflich ist, war das neue Gesetz überfällig. Das nur drei Artikel lange Regelwerk befreite das älteste Gewerbe der Welt endlich juristisch vom Ruch der Sittenwidrigkeit. Wegen der vorher höchstrichterlich postulierten Amoralität waren die Huren in mehrerer Hinsicht rechtlos. Prostituierte hatten keine Möglichkeit, mit ihrem tatsächlichen Beruf eine Sozialversicherung abzuschließen, das ging allenfalls unter einer Tarnbezeichnung, beispielsweise als Sekretärin. Flog der Schwindel auf, konnte das rigorose Nachforderungen der Versicherungen nach sich ziehen. Der Lohn für die geleisteten Dienste war nicht einklagbar, das Ansehen des Berufszweiges miserabel. Das neue Gesetz nun regelt nicht viel, aber seine Auswirkungen sind erheblich.
Seit dem ersten Januar können die Dienstleisterinnen beispielsweise ihren Lohn einklagen. Aber das hat kaum praktische Bedeutung. "Eine Hure, die sich nicht vorher bezahlen lässt, ist sowieso zu dumm für die Arbeit", meint die Betreiberin eines gut besuchten Etablissements. Auch in Zukunft werden ausstehende Forderungen der Prostituierten wohl keine Prozessflut auslösen. Größere Bedeutung könnte es da schon haben, dass Huren nun reguläre Arbeitsverträge über ihre Tätigkeit abschließen können. Der Kurs für die sozialen Errungenschaften der Marktwirtschaft steht im Gewerbe allerdings nicht sonderlich hoch. Stefanie Klee, Vorstandsmitglied beim Bundesverband für sexuelle Dienstleistungen e.V. gibt freimütig zu: "Ich weiß bisher von keinem abgeschlossenen Arbeitsvertrag."
Tatsächlich findet sich im Prostituiertengesetz auch keine Bastelanleitung für einen Mustervertrag. Ganz im Gegenteil pocht die Begründung zum hastig verabschiedeten Paragrafenwerk auf ein "eingeschränktes Direktionsrecht bei einem Höchstmaß der Eigenverantwortung der Prostituierten" und eine "Freiwilligkeit der Tätigkeit bei einer nur gewissen Eingliederung in den Betrieb". Wie viele Freier muss als die arbeitsvertraglich gebundene Hure pro Schicht bedienen, zwei, fünf, sechs? Wie steht es mit Arbeitsverweigerung und Weisungsrecht? Muss das Prostitutionsgesetz so ausgelegt werden, dass zwar die Hure fristlos, der Arbeitgeber aber nur fristgerecht kündigen kann? Zu all diesen Fragen schweigt die Gesetzesbegründung, Klärung werden erst die Arbeitsgerichte bringen. Die Gewerkschaft Verdi werkelt derzeit zusammen mit verschiedenen Hurenorganisationen an einem Formularvertrag.
Die allermeisten der rund 10.000 Huren in Berlin arbeiten selbstständig, was nicht zuletzt steuerliche Gründe hat. Rechnungen sind im Gewerbe sehr unüblich, die Höhe des Monatsverdienstes ist kaum zu überprüfen. Die Verdienstspanne ist groß und reicht von der Gelegenheitsprostituierten, die mit 500 Euro monatlich den Familienhaushalt aufbessert, bis zur Escort-Begleiterin, die auch einen Verdienst von 6000 Euro erwirtschaften kann. "An Einkommen gibt es alles, aber keine Statistik dazu", sagt Andrea Petsch von der Hurenorganisation Hydra. Wenn die Freiberuflerinnen dann doch bei Betriebsbegehungen durch die Polizei auffallen, kann das auch schon mal eine Steuernachforderung von bis zu 100.000 Euro nach sich ziehen. Die Gefahr ist allerdings nicht sonderlich groß. Die Berliner Steuerfahndung weiß nur von sehr wenigen abgeschlossenen Verfahren, die örtlichen Finanzbehörden führen keine Statistiken über einzelne Gewerbezweige und Nachforderungen.
Anders sieht es dagegen für den einzelnen Bordellbetrieb aus. Der musste zwar schon immer ein Gewerbe anmelden, operierte früher aber stets am Rande der Legalität. Nicht nur ein Zimmer mit Bett, sondern auch einen Aufenthaltsraum zur Verfügung zu stellen, konnte schon als Förderung der Prostitution strafbar sein. Seit dem ersten Januar kann der Betreiber auch für etwas Komfort der Huren sorgen. Während früher schon die Bereitstellung von Kondomen als Förderung der Prostitution ausgelegt werden konnte, ist heute eine geregelte Zimmervermietung zu eindeutigen Zwecken und auch der Abschluss eines Arbeitsvertrages rechtlich unproblematisch.
Obwohl sich der äußere Rahmen der Prostitution erst geringfügig geändert hat, hat das Gesetz für die jahrzehntelang geächteten Frauen positive Auswirkungen, vor allem im im gesellschaftlichen Bereich. "Wir können viel offensiver auftreten und die Gleichstellung mit anderen Berufen fordern. Da ist eine große Diskussion in Gang gekommen", behauptet Stefanie Klee. Das Gleichstellungsbestreben der Branche treibt möglicherweise eigenwillige Blüten. "Vielleicht könnte die IHK einen Bedarf für ausländische Huren bestätigen", sinniert Friederike Strack von Hydra. Die ausländischen Frauen könnten dann beispielsweise bei der deutschen Botschaft eine entsprechende Arbeitserlaubnis beantragen. Den gleichen Gedanken hatte auch schon Ulf Claassen, der langjährige Abteilungsleiter für Organisierte Kriminalität beim mecklenburg-vorpommerschen Landeskriminalamt. Wie fü
Abseits derart handfester Kurzzeitutopien ist für die Sexarbeiterinnen aber wohl die Veränderung der bundesbürgerlichen Moralvorstellungen wichtiger. Beurteilte früher der Bundesgerichtshof die Prostitution als "seelische Abnormität", bei der der "Intimbereich in entwürdigender Weise zur Ware" werde, so stellt der Richter Percy MacLean im epochemachenden, hellsichtig formulierten Urteil über die Rechtmäßigkeit des Berliner Amüsierschuppens Café Psst kurz und bündig fest: "Wer meint, die Menschenwürde der Prostituierten gegen ihren Willen schützen zu müssen, zementiert ihre rechtliche und soziale Benachteiligung."
Das sehen die Frauen aus dem Gewerbe auch so. "Jahrelang mussten wir ein Doppelleben führen und uns verstecken", das werde sich jetzt vielleicht ändern, vermutet die Domina Susanne L., Chefin des Studios 5 D. Der Ton im Gewerbe verändere sich seit einiger Zeit, meint die Studiochefin: "Die Huren reden jetzt offener miteinander", beispielsweise über Informationsangebote der Behörden oder kostenlose Impfmöglichkeiten.
In einem früheren Leben war Susanne L. Versicherungskauffrau. Die bei ihrer bürgerlichen Ausbildung erworbenen Rechenkünste kommen ihr als Betreiberin des Studios zugute, denn auch ein Studiobetrieb muss ordentlich durchkalkuliert werden. Alle sechs Frauen, die ihre Dienste in der unspektakulär eingerichteten Altbauwohnung anbieten, arbeiten freiberuflich. Das müsste nach Susanne L.´s Ansicht jedoch nicht so sein. Flugs bastelt sie ein Rechenbeispiel. Das zeigt, dass die Sozialversicherungsbeiträge, die eine freiberufliche Hure selber tragen müsste, so hoch sind, dass der Prostituierten letztlich auch nicht mehr verbleibt, als wenn sie angestellt wäre. "Aber die meisten sehen nur das Geld, das sie unmittelbar in der Hand halten. Die Frauen sollten auch an die Altersversorgung und die Sozialversicherung denken."
Auch die Hurenorganisation Hydra setzt sich dafür ein, dass nicht nur die neuen Klamotten, sondern auch die geregelte Altersvorsorge und ein Grundwissen um die Qualifikation auf dem Notizzettel der Dienstleisterinnen bei der Berufsaufnahme steht. Hydra bietet deshalb zwar Hilfe beim Umstieg in berufliche Tätigkeiten außerhalb der Prostitution, aber auch "Professionalisierungsangebote für Huren" und eine "Einstiegsberatung" an. Für eine offensive Verbesserung der Arbeitsstandards seien auch "Gütesiegel für Bordelle sind denkbar", sagt Friederike Strack, die gebe es auch schon in anderen Ländern. In Australien beispielsweise würden entsprechende Plaketten auf praktizierten Saver Sex und eine ordentliche Ausstattung hinweisen.
Ändern wird sich wohl nicht nur die Selbstdarstellung der Prostituierten in der Öffentlichkeit. Die Jahrhunderte lang tradierten Schemata von Ehe und institutionalisierter Lebensgemeinschaft zerbröckeln. Das hat auch Auswirkungen auf die Geschlechterbeziehungen. "Ich weiß von einigen Frauen, die mit ihrem Typen nur so lange zusammen sind, wie der ihnen ein flottes Leben, Reisen und die Wohnung finanziert", behauptet die Hure Sabine*. Das sei auch nicht so weit von der Prostitution entfernt, die Grenzen seien fließend. Mit ihrer pragmatischen Beurteilung des Arbeitsumfeldes und der angebotenen Leistung schätzen die Huren ihre Dienste ähnlich ein, wie früher der Philosoph Immanuel Kant die Ehe: "Die Ehe ist ein Vertrag zum wechselseitigen und ausschließlichen Gebrauch der Geschlechtsteile zwischen Mann und Weib", formulierte der ziemlich trocken.

*Name geändert


Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz - ProstG)
§ 1
Sind sexuelle Handlungen gegen ein vorher vereinbar-tes Entgelt vorgenommen worden, so begründet diese Vereinbarung eine rechtswirksame Forderung. Das Glei-che gilt, wenn sich eine Person, insbesondere im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses, für die Erbringung derartiger Handlungen gegen ein vorher vereinbartes Ent-gelt für eine bestimmte Zeitdauer bereithält.
§ 2
Die Forderung kann nicht abgetreten und nur im eige-nen Namen geltend gemacht werden. Gegen eine Forde-rung gemäß § 1 Satz 1 kann nur die vollständige, gegen eine Forderung nach § 1 Satz 2 auch die teilweise Nicht-erfüllung, soweit sie die vereinbarte Zeitdauer betrifft, ein-gewendet werden. Mit Ausnahme des Erfüllungseinwan-des gemäß des § 362 des Bürgerlichen Gesetzbuchs und der Einrede der Verjährung sind weitere Einwendungen und Einreden ausgeschlossen.
§ 3
Bei Prostituierten steht das eingeschränkte Weisungs-recht im Rahmen einer abhängigen Tätigkeit der Annahme einer Beschäftigung im Sinne des Sozialversicherungs-rechts nicht entgegen.
Artikel 2
Änderung des Strafgesetzbuches
Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekannt-machung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 19. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3922), wird wie folgt geän-dert:
1. In der Inhaltsübersicht werden die Angaben zu § 180a wie folgt gefasst:
"§ 180a Ausbeutung von Prostituiertenö.
2. § 180a wird wie folgt geändert:
Die Überschrift wird wie folgt gefasst:
"§ 180a
Ausbeutung von Prostituiertenö.
Absatz 1 wird wie folgt geändert:
aa) Die Angabe "1.ö wird gestrichen.
bb) Nach den Wörtern "in persönlicher oder wirt-schaftlicher Abhängigkeit gehalten werdenö wird das Wort "oderö durch ein Komma ersetzt.
cc) Nummer 2 wird aufgehoben.
3. § 181a Abs. 2 wird wie folgt neu gefasst:
"(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer die persönliche oder wirt-schaftliche Bewegungsfreiheit einer anderen Person dadurch beeinträchtigt, dass er gewerbsmäßig die Prostitutionsausübung der anderen Person durch Ver-mittlung sexuellen Verkehrs fördert und im Hinblick darauf Beziehungen zu ihr unterhält, die über den Ein-zelfall hinausgehen.ö
Artikel 3
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 2002 in Kraft.
Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz - ProstG)
Vom 20. Dezember 2001

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