Die Pilger von Nadschaf

Irak Wo die US-Armee verbrannte Erde hinterlässt, ist sie durch die UN-Resolution 1546 gedeckt

Die Regierung des Premiers Ijad Allawi braucht nichts dringender als Legitimation, und es mag machtpolitisch logisch sein, wenn sie in Ermangelung eines demokratischen Mandats in dem Glauben handelt, wer sich Autorität verschafft, dem wird auch Legitimation vergönnt sein. Insofern ist zu vermuten, dass der Regierungschef die seit dem 15. August in Bagdad tagende Nationalkonferenz keinesfalls nur aus Sicherheitsgründen um zwei Wochen verschieben ließ. Offenkundig wollte er den Delegierten einen militärischen Erfolg in Nadschaf oder zumindest einen Verhandlungskompromiss mit den Mahdi-Milizen des Muqtada al-Sadr präsentieren. Als Nachweis von Regierungsautorität und Handlungsfähigkeit gewissermaßen.

Doch bekanntlich ist Allawis Mission im Kampfgebiet nicht nur gescheitert, sondern hat zudem einflussreiche schiitische Parteien darin bestärkt, die Nationalkonferenz zu boykottieren. Nichts konnte geeigneter sein, die Regierung in Bagdad als Kabinett willfähriger Kollaborateure zu entlarven als eben die "Pilgerreise" des Premiers nach Nadschaf, unmittelbar bevor US-Truppen damit begannen, den Heiligen Bezirk um den Schrein des Imam Ali einzukesseln. Für die Aufständischen eine Provokation, die ihren Willen zum Widerstand nur anfachen konnte. Für 15 Millionen irakische Schiiten eine erneute Beleidigung durch eine Besatzungsmacht, die menschliche Würde nicht interessiert. Und für die Vereinten Nationen, die Staatengemeinschaft? Für sie offenbart Nadschaf einmal mehr, welche Realität die Formelkompromisse der im Juni vom UN-Sicherheitsrat verabschiedeten Resolution 1546 heraufbeschwören können, sobald sie das Reservat diplomatischer Virtualität verlassen. Schließlich war in Artikel IX des Dokuments explizit die Rede davon, dass sich die "Präsenz der multinationalen Streitkräfte im Irak" künftig auf das "Verlangen der Interimsregierung" berufen könne, während in Artikel X formuliert wurde, die "multinationalen Truppen" seien ermächtigt ("have the authority"), alle Maßnahmen zu ergreifen, "die notwendig sind", um zur "Aufrechterhaltung von Sicherheit und Stabilität im Irak" beizutragen. Dazu sei laut Artikel XI "eine Sicherheitspartnerschaft" zwischen den multinationalen Truppen und der "souveränen Regierung des Irak" geboten. Keine Frage, mit den Operationen von US-Verbänden und irakischer Nationalgarde in Nadschaf, Kuf, Kerbala und Falludscha - Städte, in denen Tausende von Zivilisten auch deshalb sterben und gestorben sind, weil tagelang jeder Ambulanz die Zufahrt verwehrt blieb - werden nicht etwa die möglichen Spielräume eines UN-Mandats ausgeschritten. Was dort geschieht, kann als durch die Resolution 1546 gedeckt gelten. Es sage niemand, man habe das nicht abschätzen können, als darüber in New York abgestimmt wurde. Auch Deutschland trägt als Mitglied des Sicherheitsrates in Gestalt der rot-grünen Bundesregierung eine Mitverantwortung für die an irakischen Zivilisten verübten Verbrechen.

Um aber auf die irakische Regierung zurück zu kommen, die in "Sicherheitspartnerschaft" mit der Besatzungsmacht verbrannte irakische Erde produziert - sie wirkt, 54 Tage nach ihrer Einsetzung durch US-Prokonsul Paul Bremer, delegitimiert und verschlissen. Weshalb sonst wollte der Nationalkongress ein Verhandlungsmandat für Nadschaf? Es ist in diesem Zusammenhang alles andere als eine Marginalie, wenn am 7. August, einen Tag vor dem Auftritt Ijad Allawis in Nadschaf, das Bagdader Büro des panarabischen Senders al-Jazira für 30 Tage geschlossen wurde, weil dessen Korrespondenten - so die Begründung der irakischen Behörden - "Hass und Rassismus" schürten und "Videos des schiitischen Terrors" veröffentlichten. Jeder, der es wissen will, der weiß, was die Berichte von al-Jazira tatsächlich von denen anderer Sender unterscheidet: In ihnen werden die inzwischen nach Zehntausenden zu zählenden zivilen Opfer des irakischen Dramas nicht ausgeblendet.


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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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