Nach dem großen Crash gab es einen allgemeinen Konsens über die Ursache der Krise: Schuld am Desaster seien „Exzesse“ im Finanzsystem, verursacht durch die uferlose neoliberale Deregulierung und eine Politik des billigen Geldes durch die Notenbanken. Außer halbherzigen Absichtserklärungen gibt es jedoch bis heute keine Konsequenzen. Und es ist absehbar, dass auch der bevorstehende Gipfel der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer (G20) in den USA keine großen Entscheidungen treffen kann. Die Zentralbanken haben signalisiert, dass sie die Leitzinsen auf dem historischen Tiefstand lassen werden, um die abgestürzte Konjunktur nicht noch weiter abzuwürgen. Was als Krisenursache gilt, wird also beibehalten.
Dieser Widerspruch macht si
h macht sich auch bei der zentralen Frage der Re-Regulierung bemerkbar. Eigentlich soll der G20-Gipfel von Pittsburgh für strengere Eigenkapitalvorschriften bei der Kreditvergabe von Banken sorgen, um eine „dickere Schutzhülle“ gegen drohende Kernschmelzen des Finanzsystems zu schaffen. Das würde freilich für die Banken geringere Rendite bedeuten. Nicht nur der Finanzplatz New York stemmt sich dagegen, sondern auch London. Europa spricht wieder einmal nicht mit einer Stimme. Ebenso wollen die Akteure des Frankfurter Finanzzentrums mit Deutsche-Bank-Chef Ackermann an der Spitze nichts von neuen Eigenkapitalvorschriften wissen. Es geht dabei nicht bloß um die Macht der Banken, sondern auch um ein objektives Problem. Mehr Eigenkapital zu erbringen, würde bedeuten, die Kreditvergabe einzuschränken. Und das in einem Augenblick, in dem die Banken sowieso immer knausriger werden, die Unternehmen auf dem Trockenen sitzen lassen und von einer „Kreditklemme“ die Rede ist.Die Entwarnung war voreiligDie dürfte sich in den nächsten Monaten noch zuspitzen, weil ab Herbst eine Pleitewelle der von Insolvenz bedrohten Unternehmen zu erwarten ist. Denn warum sollen die Banken mit vollen Händen Geld an Wackel- und Bankrottkandidaten verstreuen, wenn sie ohnehin noch auf einem Berg fauler Kredite sitzen? Die Re-Regulierung ist von vornherein durch die reale Wirtschaftslage blockiert, und der G20-Gipfel wird beim Thema Eigenkapital wohl ausgehen wie das Hornberger Schießen. Treuherzig hieß es neulich im Handelsblatt: „In der Krise muss es erlaubt sein, dass die Schutzhülle dünner wird, in guten Zeiten muss sie verstärkt werden.“ Warten auf bessere Zeiten, so lautet derzeit das letzte Wort der Regulierungsphantasie.Diese Paralyse zeigt vor allem eines: Die offizielle Erklärung der weltweiten Finanzkrise ist falsch. Es handelt sich nicht um eine autonome Fehlentwicklung des Finanzsystems, sondern um eine innere Schranke der so genannten Realwirtschaft selbst. Das über zwei Jahrzehnte aufgeblähte Kredit- und Spekulationssystem war Folge einer mangelnden realen Profitproduktion, nicht umgekehrt. Deshalb ist auch die aus den Finanzblasen künstlich ernährte Weltkonjunktur an Grenzen gestoßen und muss nun auf dem Absturzniveau durch Staatsgeld gepäppelt werden. Die Entwarnung der letzten Monate war voreilig.Viele Exit-StrategienDie Staatschefs fabulieren im Moment viel über „Exit“-Strategien aus den teuren Rettungs- und Konjunkturprogrammen, obwohl die vermeintliche Stabilisierung einzig auf diesen Programmen beruht, deren weitere Finanzierung mehr als zweifelhaft ist. Die Banken jetzt ausgerechnet dadurch in die Pflicht nehmen zu wollen, dass die angeblichen Krisenursachen munter weiter bestehen bleiben und die Regulierung ausgesetzt wird, ist ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen. Was wie eine „Kreditklemme“ erscheint, ist in Wahrheit eine allgemeine „Profitklemme“. Und die Banken springen dafür nicht in die Bresche, weil sie sonst ihre betriebswirtschaftliche Rationalität zugunsten des großen Ganzen aufgeben und ihren eigenen Ruin vorantreiben müssten. Auch ohne verschärfte Eigenkapitalvorschriften werden sie die Kreditvergabe weiter drosseln und auf Basis des billigen Geldes ihr Heil in Investmentgeschäften suchen, deren Recycling in die Realökonomie versiegt. Der schwarze Peter bleibt also fest in Staatshand.Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hat im Vorfeld des G20-Gipfels die Flucht nach vorn angetreten, indem er eine globale Finanzmarktsteuer ins Spiel brachte, mit der die Banken und Investmentfonds an den Kosten der Krise beteiligt werden sollen. Aber diese einst von Attac favorisierte Tobin-Steuer beruht auf derselben falschen Krisenerklärung, denn das „Komasaufen auf den Finanzmärkten“ (Steinbrück) hielt ja gerade die Defizitkonjunktur weltweit am Laufen. Ganz abgesehen davon ist für die Tobin-Steuer eine globale Einigung noch viel weniger zu erwarten als bei den Eigenkapitalvorschriften. Als Ersatz will Steinbrück in Deutschland eine nationale Börsenumsatzsteuer einführen, die gerade den nicht über die Börse laufenden Interbanken-Handel aussparen würde. Nur hatte ausgerechnet dieser die berüchtigten „toxischen Papiere“ unters Volk gebracht. Weder eine schwarz-gelbe noch eine neue große Koalition wird dieses unausgegorene Projekt aufgreifen. Es ist ein Nebelwerfer in Wahlkampfzeiten, um das Regulierungsdilemma zu kaschieren.