Ein Dutzend Menschen sitzt an einer schmalen Seitenstraße in Berlin-Lichtenberg, ihre Fahrräder an Hauswand und Bäume gelehnt. „Dass die Wohnungsnot ein Problem für die Mehrheit der Großstädter darstellt, muss man gar nicht erwähnen“, meint einer in der Gruppe, der Rest nickt zustimmend. Sie sind die Ersten, die sich für ein Bauprojekt der noch jungen GSP – das steht für Genossenschaft selbstverwalteter Projekte – gemeldet haben. Auf der eingezäunten Wiese gegenüber soll es aus dem Boden wachsen: ihr zukünftiges Zuhause.
Noch schauen ein paar Bäume und halb verfallene Lauben an den Grundstücksecken aus dem Gras. Wenn die Genehmigung und die Aufnahme von Mitgliedern wie geplant laufen, beginnt 2022 der Bau der neuen Nachbarschaft. 2024 sollen hier dann 160 neue Wohnungen stehen.
Jede und jeder hat sie: die Vorstellung vom idealen Wohnen. Bei manchen sind diese Wohnträume ganz individuell, mehr Utopie als Realität. Anderen erscheint bereits bezahlbarer Wohnraum utopisch.
Das Wohnprojekt in Berlin-Lichtenberg soll beides sein: individuellen Wünschen entsprechend und bezahlbar. Und „solidarisch“. Alles drei sind Gründe, warum das Projekt als Genossenschaft organisiert ist, das zweite dieser Art, das die GSP angeht. In Luckenwalde wird derzeit der „Konsumverein Luckenwalde“ saniert, weitere Projekte sollen folgen. Die Idee des fünfköpfigen Gründerteams ist, die Genossenschaft als Dach aufzubauen, unter dem die Genoss*innen eigenständig Wohnprojekte umsetzen können.
Sich kennen, helfen, vertrauen
Die Interessenten in Berlin-Lichtenberg sagen, sie wollen nicht „nur einziehen“, sondern aktiv gestalten. Sie sind von der Idee gemeinschaftlichen Engagements angezogen, von einer Nachbarschaft, in der man sich kennt, hilft und vertraut. Wo die Kinder gemeinsam in die Kita gehen und zusammen im begrünten Hof spielen – statt anonymer Großstadt.
Es ist eine Mammutaufgabe, die unterschiedlichen Visionen von städtischem Wohnen zu vereinen. Wie lassen sich Projekte demokratisch gestalten, sodass sie wirtschaftlich bleiben? Darunter fällt auch die Frage nach klimaneutraler Nutzung. „Wenn es geht, soll es natürlich klimaneutral werden, aber die Betriebskosten müssen auch bezahlbar bleiben“, sagt Andreas Bräuer, einer der Mitgründer der Genossenschaft. Bisher sind nur wenige Stellplätze für ein nachbarschaftliches Carsharing vorgesehen. „Wir planen nicht mit einer Tiefgarage oder einem Keller. Das hat vor allem mit Kosten zu tun. Wir möchten nur das halbe Grundstück bebauen und Raum lassen. Anders rechnet es sich nicht.“ Sofort regt sich Widerstand unter den Anwesenden. Manche seien auf Keller angewiesen. Irgendwo müsse ja wenn nicht das Auto doch wenigstens das Rad parken und erst recht die Kinderwagen. Bräuer beruhigt, der Bauplan sei noch nicht fertig, vieles verhandelbar. Stellplätze könnten zusätzlich eingeplant werden. Auch der Fokus auf Wohnungen für Kleinfamilien müsse so nicht bestehen bleiben. Schlussendlich entscheidet die Nachfrage der zukünftigen Genoss*innen, was gebaut wird.
Bräuer hat bereits einige Erfahrung in der genossenschaftlichen Umsetzung von Wohnungsideen. Er lebt selbst in einem Wohnprojekt. Er kennt nicht nur die Vorteile, sondern auch die Probleme, die sich in genossenschaftliches Wohnen einschleichen können: „Man kann schnell in die Falle der Genügsamkeit tappen. Man hat sich sein eigenes kleines Paradies gebaut und sieht nicht mehr über den Zaun. So geht die Frage der Wohnungsnot verloren.“ Oft bleibt der Schritt zur Professionalisierung aus, der aber notwendig ist, um mehr Projekte zu organisieren, also mithilfe einer Genossenschaft mehr Wohnraum zu realisieren als nur das eigene Projekt.
Solidarisch leben, geht das?
Das Projekt in Berlin-Lichtenberg sieht sich von vornherein als „solidarisch“. Zehn bis zwanzig Prozent der Wohnungen sind für Mieter*innen mit Wohnberechtigungsschein vorgesehen, die gleichberechtigt mit den Anteilseignern an allen Entscheidungen beteiligt werden sollen.
Ein solches Großprojekt muss allerdings finanziert werden. Auf den ersten Blick ist der Eigenkapitalanteil mit 1.000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche für die Genoss*innen sehr hoch. Eine Kleinfamilie muss mit einem Anteil von mindestens 70.000 Euro rechnen, eher mehr.
Dass das Eigenkapital so hoch ausfällt, hat verschiedene Gründe, nicht zuletzt den, dass die Genossenschaft noch jung ist und nicht andere oder ältere Gebäude beleihen kann. Die Lösung: Wer kann, investiert mehr und subventioniert so andere Wohnungen quer. Das Geld ist ja auch nicht futsch, sondern verbleibt als Anteil an der Genossenschaft. „Wir versuchen, für alle Interessenten eine Lösung zu finden“, sagt einer der Gründungsgenossen. „Bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, ist ein Drahtseilakt. Aber es ist machbar.“
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