Die Rache der Trainer

Fußball Jahrzehnte beschämender Schlagzeilen verlangten nach dieser längst überfälligen Vendetta: Jetzt wird gekündigt. Hansi Flick macht es vor
Ausgabe 16/2021
Hat vieles, aber nicht mehr auf alles Bock: Bald-Ex-Bayern-Trainer Hansi Flick
Hat vieles, aber nicht mehr auf alles Bock: Bald-Ex-Bayern-Trainer Hansi Flick

Foto: Robert Michael/Pool/Getty Images

Nahezu jeder Trainer in 58 Jahren Fußball-Bundesliga hatte seine republikweiten 15 Sekunden Berühmtheit. Denn wenn einer entlassen wird, ist das der Tagesschau im Ersten eine Erwähnung wert. So gegen 20.14 Uhr, hinten raus, nach der Politik. Als Bayern-Trainer müsste man nicht mal gefeuert werden, sondern nur wackeln oder wie Hansi Flick jetzt gerade jobunwillig sein – und schon hat man die Erwähnung inmitten der Sendung zur Weltpolitik sicher.

Diese Aufmerksamkeit ist bemerkenswert. Denn ein Trainer ist nicht der höchstrangige Verantwortliche in seiner Firma, er hat einen Sportdirektor, Vorstandsvorsitzenden und Präsidenten über sich, ist also eigentlich nur ein besserer Abteilungsleiter, an den 30 bis 40 Leute „berichten“ (die Spieler, Co-Trainer, Physiotherapeuten).

Die Aufmerksamkeit für den Berufsstand Fußballtrainer ist auch unfair, denn wenn bei Siemens einer aus der zweiten, dritten Management-Ebene gehen muss, kommt das nicht mal bei n-tv. Öffentlich scheitert man vor allem im Sport, speziell im Fußball. Dort wird man nicht freigestellt und von seinen Aufgaben entbunden, sondern rausgeschmissen. So entsteht das Bild, dass ein Fußballlehrer eigentlich immer scheitert. Die durchschnittliche Zeit eines Trainers im Amt beträgt in der Bundesliga eineinhalb Jahre, bei ehemaligen Nationalspielern, die also ein wenig prominenter sind, sogar nur fünfzehn Monate.

Auch in dieser allmählich ihrem Ende zustrebenden Bundesligasaison gab es die üblichen Meldungen wie „Der 1. FC Köln hat sich von seinem Trainer Markus Gisdol getrennt“, doch die Redaktionen mussten in einigen Fällen nach neuen Formulierungen suchen. Denn nicht der Verein entließ einen Trainer, sondern umgekehrt der Trainer den Verein. Hansi Flick will den FC Bayern von seinen Pflichten ihm gegenüber entbinden, Marco Rose gibt Borussia Mönchengladbach den Laufpass, fortan setzt er auf Borussia Dortmund. Und Adi Hütter will Eintracht Frankfurt, obwohl es mit der Teilnahme an der Champions League lockt, nicht weiterbeschäftigen. Trotz eines noch laufenden Vertrags hat er der Eintracht dank einer Ausstiegsklausel gesagt, der Verein solle sich was Neues suchen. Und wie verfährt Julian Nagelsmann: Hält er an RB Leipzig fest? Holt sich Oliver Glasner einen schillernderen Club als den unter ihm zwar erfolgreichen, aber grauen VfL Wolfsburg?

Es scheint, als rächten sich die führenden Vertreter für ihre gesamte Branche. Für über fünf Jahrzehnte beschämende Tagesschau-Meldungen, für die jährlichen Angebote der Wettbüros, wer als erster gehen muss, für Toni Schumacher, der – die berühmteste Entlassung – einst von Fortuna Kölns Präsidenten Jean Löring selig in der Halbzeitpause in die Arbeitslosigkeit geschickt wurde, oder für alles, was beim Hamburger SV und Schalke 04 jemals ihren Kollegen widerfahren ist. Und besonders hingebungsvoll rächt Ralf Rangnick alle Trainer, indem er sich für diverse Vereine öffentlich interessiert, aber letztlich jeden abblitzen lässt. Er will zeigen: Ein Trainer kann so großartig sein, dass er es gar nicht nötig hat, sich mit einem Klub abzugeben.

Bei der ARD-Tagesschau müssen sie noch lernen, das zu würdigen. Bisher ist die Absage eines Trainers eine Nicht-Meldung. Man kann sich aber Ralf Rangnick vorstellen, wie er zu Hause Nachrichtensprecher spielt und verkündet: „Ralf Rangnick wird nicht Trainer des FC Bayern München.“ Was für ein Gefühl von Macht.

Von Günter Klein, Chefreporter Sport beim Münchner Merkur, ist im Verlag riva gerade Hansi Flick. Die Biografie erschienen

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