Wohnungspolitik Ob mit der Reform der Grundsteuer Immobilienbesitzer endlich angemessen besteuert werden? Keineswegs! Denn: Die Neuregelung hat einen entscheidenden Haken
Im Juni 2022 bekamen alle, die in Deutschland Grundstücke besitzen, Post vom Finanzamt. Sie wurden aufgefordert, bis zum 31. Oktober eine gesonderte Steuererklärung für ihre Immobilie abzugeben. Hintergrund ist die 2019 von der damals regierenden Großen Koalition aus Union und SPD verabschiedete Reform der Grundsteuer. Künftig soll sich die Abgabe am aktuellen Verkehrswert des Objektes orientieren – und nicht mehr an den längst überholten „Einheitswerten“, die in Westdeutschland noch aus dem Jahr 1964 stammen, im Osten gar seit 1935 unverändert geblieben sind.
Das Bundesverfassungsgericht hatte die bisherige Berechnungsmethode zuvor für verfassungswidrig erklärt. Auf den ersten Blick wirkt die Gesetzesänderung, mit der
g, mit der die Vorgabe der obersten Justizbehörde in letzter Minute umgesetzt wurde, wie ein sinnvolles Konzept. Schließlich gehört, wer Grund und Boden besitzt, in der Regel nicht zu den ärmeren Schichten der Bevölkerung. Nach Finanzkrise und Euroturbulenzen gingen die Immobilienpreise durch die Decke, die Hausbesitzer:innen verbuchten rasante Wertsteigerungen. Diese Gewinne staatlich stärker abzuschöpfen, ist grundsätzlich richtig. In vielen Nachbarstaaten zählt die Grundsteuer zu den wichtigsten Einnahmequellen der Städte und Gemeinden, mit ihr wird dort die kommunale Infrastruktur wesentlich mitfinanziert. Doch die Neufestsetzung durch die Bundesregierung enthält einen gravierenden Makel: Denn der frühere Finanzminister und heutige Kanzler Olaf Scholz (SPD) änderte nichts daran, dass Vermieter die Abgabe wie gewohnt zu 100 Prozent auf ihre Mieter abwälzen können. Dieses Versäumnis entfaltet nun gesellschaftlichen Sprengstoff.Neben der Größe eines Grundstücks orientiert sich die Bewertung der Finanzämter demnächst vor allem am sogenannten Bodenrichtwert. Dieser zeigt an, wie attraktiv der Standort einer Immobilie ist. In bürgerlich geprägten Wohngebieten und in den zentral gelegenen Stadtvierteln liegt er besonders hoch, an der urbanen Peripherie und im ländlichen Raum meist erheblich niedriger. Während Villenbesitzer:innen eine deutlich höhere Steuer leicht schultern dürften, müssen viele, die zur Miete wohnen, mit zusätzlichen Belastungen rechnen. Und das zu einer Zeit, in der die Nebenkosten des Wohnens angesichts von Inflation und Energiekrise ohnehin aus dem Ruder laufen.Abgerechnet wird 2025In den Metropolen, aber auch in manchen Universitätsstädten oder touristisch attraktiven Gegenden verschlingen neu bezogene Zwei- oder Dreizimmerwohnungen die Hälfte eines Monatsgehaltes, auch bei Menschen, die eine gut bezahlte Stelle haben. Wenn zu einer Kaltmiete im vierstelligen Bereich noch mehrere Hundert Euro für Gas, Strom, Wasser, Grundsteuer, Müllabfuhr und Straßenreinigung hinzukommen, werden schnell die Belastungsgrenzen erreicht. Nicht nur Geringverdienende, auch Familien mit mehreren Kindern und großem Platzbedarf müssen dann umziehen – in weniger beliebte Wohnlagen in den Trabantenstädten oder gleich in strukturschwache Regionen mit moderateren Preisen.Anders als an den Tankstellen, wo die Preissprünge auf großen Tafeln jederzeit gut sichtbar sind, gibt es beim Wohnen einen psychologischen Verzögerungseffekt. Denn abgerechnet wird meist später. Die Nebenkostenaufstellung, die als unliebsame Überraschung eine enorme Steigerung bei der „zweiten Miete“ dokumentiert, erhalten viele Betroffene erst im folgenden Jahr. Die Energieversorger erheben zwar monatliche Abschläge, die wegen der Gasknappheit schockierend hohe Nachzahlungsforderung aber wird erst nach dem winterlichen Heizen im nächsten Frühling fällig. Die Finanzbehörden fangen zwar schon jetzt an, die Grundsteuer neu zu bemessen; nach den veränderten Sätzen abgerechnet wird jedoch erst ab 2025.Rasante Erhöhungen bei den Kosten für Grundbedürfnisse sind stets gefährlich für die Politik. Das gilt sogar für Diktaturen, und umso mehr für Demokratien, die auf die Loyalität der Regierten stärker angewiesen sind. Die Historie ist voll von „Brotaufständen“, sie erzählt von Revolten gegen Getreidemangel oder in neueren Zeiten von militanten Protesten wegen hoher Benzinpreise. Das Problem steigender Mieten schlummert im Vergleich dazu eher im Verborgenen: Das ist schon deshalb so, weil nicht alle, auch nicht alle Einkommensschwachen, in gleichem Maße davon betroffen sind. Wer zum Beispiel relativ günstig in der Provinz lebt und zufällig nicht mit Gas, sondern vorrangig mit einem alten Kaminofen heizt, spürt die sozialen Verwerfungen einfach weniger als andere.Die finanzielle Belastung durch die Wohnkosten steigt schon seit mehr als einem Jahrzehnt drastisch. Viele Menschen können sich nicht mehr leisten, dort zu leben, wo sie arbeiten. Polizisten, Krankenschwestern, Lagerarbeiter oder Erzieherinnen haben wenig Chancen, in den besonders teuren Großstädten eine passende Bleibe zu finden. Wer zu wenig verdient, weicht auf günstigere Orte aus und pendelt, um das Budget in Grenzen zu halten. Doch auch im Umland der Ballungsräume sind die Preise nach oben gegangen. Als Folge werden die Anfahrtswege länger, sie sind zudem zeitraubend und anstrengend. Fast jeden Tag wiederholt sich der Stau auf der Autobahn. Und auch wer mit öffentlichen Verkehrsmitteln reist, muss Verspätungen einkalkulieren.Das Energiegeld? Ein Witz!Die Bundesregierung ist gefordert. Das Wohngeld ist viel zu niedrig, das versprochene (und auch noch zu versteuernde) Energiegeld von einmalig 300 Euro, das ab September fließen soll, wirkt angesichts der Erhöhungen bei Strom und Gas wie ein schlechter Witz. Auch bei der Grundsteuer muss nachgebessert werden. Schon während der Debatte um das neue Gesetz im Jahr 2019 forderten die Gewerkschaften gemeinsam mit dem Deutschen Mieterbund, dass Hausbesitzende die Abgabe nicht mehr bequem als Teil der Betriebskosten auf die Bewohner:innen abwälzen können.Angesichts niedriger Zinsen und schwankender Aktienkurse sind Immobilien, das sprichwörtliche „Betongold“, immer noch eine sehr lukrative Form der Geldanlage. Neben den weitgehend privatisierten Wohnungsbaukonzernen tummeln sich auf dem Markt spekulative Fonds und internationale Investmentfirmen. Wer Millionen Euro in ein Mietobjekt stecken kann, um daraus Profit zu schlagen, dem tut eine gerechtere Besteuerung nicht weh. Die Interessenvertretungen der Wohnungswirtschaft laufen dennoch regelmäßig Sturm gegen alle Vorschläge, die ihre Klientel belasten. Monoton warnt die einflussreiche Lobby vor „mehr Bürokratie“ oder unkt, die Eigentümer:innen würden dann einfach die Kaltmiete noch weiter erhöhen.Es dient dem sozialen Ausgleich, diejenigen zahlen zu lassen, die Häuser oder Grundstücke besitzen. Das Umlageverbot auf die Miete ist ein notwendiger Schritt im Verteilungskampf um eines der wichtigsten sozialpolitischen Themen der nächsten Jahre: das Recht auf preiswertes Wohnen. Doch Konservative und Wirtschaftsliberale wollen von dieser Idee nichts wissen. In der Vorgängerregierung hat Olaf Scholz sich dem Koalitionspartner CDU gebeugt. In der Ampel sollte der SPD-Kanzler, der mit seiner Partei mal wieder im Umfragetief steckt, mehr sozialpolitisches Profil zeigen – auch gegen den Widerstand seines freidemokratischen Nachfolgers Christian Lindner im Finanzressort.
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