der Freitag: Herr Lüders, hat der NSU-Skandal die Verfassungsschutzbehörden in Deutschland geschwächt?
Sven Lüders: Nein, definitiv nicht. Das ist aber nichts Besonderes, sondern gehört zur Entwicklungslogik des Verfassungsschutzes: Bei jedem Skandal und nach jedem Fehlverhalten beobachten wir, dass er mehr Aufgaben und Befugnisse erhält und gestärkt aus den Affären hervorgeht – das genaue Gegenteil von dem, was man in anderen Bereichen als rationale Antwort oder angemessene Fehlerkultur bezeichnen würde.
Aber es gab doch nach Bekanntwerden des NSU durchaus laute Forderungen nach der Abschaffung des Verfassungsschutzes.
Ja, aber nur von politisch eher randständigen Gruppierungen und Parteien. Die Innenminister in Bund und Ländern haben sehr schnell reagiert, indem sie vor allem die Aufgabenpalette des BfV, des Bundesamtes für Verfassungsschutz, erweiterten.
Zur Person
Sven Lüders, 45, ist in der DDR aufgewachsen und musste bereits in frühester Jugend Erfahrungen mit der Staatssicherheit sammeln. Lüders ist Soziologe und seit dem Jahr 2004 Geschäftsführer der unabhängigen Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union
Foto: Privat
Sie haben den Verfassungsschutz also zentralisiert, anstatt ihn zu demokratisieren.
Genau. Noch bevor die ersten analytischen Auswertungen, etwa der Untersuchungsausschüsse, vorlagen, wurde eine der wichtigsten gesetzgeberischen Änderungen auf den Weg gebracht: eine Stärkung der sogenannten Zentralstellenfunktion des BfV. Es hat nun mehr Befugnisse bei der Auswertung von Akten und dabei, in den Ländern selbst tätig zu werden.
Wurde hier also eine Erzählung von Kompetenzwirrwarr, Doppelstrukturen und Ineffizienz vorgeschoben, um damit politische Verantwortung zu verschleiern?
Nun, es ist zunächst ja nicht von der Hand zu weisen, dass einiges im Argen liegt: Die Personalzahlen der Landesverfassungsschutzämter variieren, manche haben weniger als 100 Mitarbeiter. Wenn Sie sich ansehen, wie viele Aufgaben die laut Gesetz haben, dann ist von vornherein klar, dass diese mit dem Personal gar nicht bewältigt werden können: Manche sollen die Organisierte Kriminalität bekämpfen, manche noch das Unrecht der DDR aufarbeiten, dazu Spionage abwehren, gegen extremistische Bestrebungen – welche in den Gesetzen sehr weit gefasst sind – vorgehen und so weiter. Dass dies nicht mit der gebotenen Qualität erfüllt werden kann, ist klar. Aber es keineswegs so, dass eine Zentralisierung die Lösung des Problems ist – auch das BfV hat beim NSU versagt, hat viele Akten vernichtet und Aufklärung verhindert.
Was ist die Lösung?
Wir als Bürgerrechtsorganisation sind der Meinung: wenn es um Mordtaten wie hier beim NSU geht, dann ist das strikte Aufgabe der Polizei. Die Polizei ist darauf ausgerichtet, konkrete Gefahren zu verhindern und Straftaten aufzuklären. Sie muss immer prüfen, wie ihre Informationen erhoben werden – daraufhin, ob sie gerichtstauglich sind und einer Gegenprüfung standhalten. Das machen die Verfassungsschutzbehörden in der Regel nicht, sie sammeln Infos im großen Stil, ohne sie intensiv auf ihre Stimmigkeit hin zu untersuchen; vor allem wehren sie sich dagegen, dass ihre Quellen aufgedeckt werden. Bei allen gerichtlichen und parlamentarischen Aufklärungsbemühungen im NSU-Komplex war dieser Quellenschutz die wesentliche Hürde, bei der Vorlage von Akten wie der Befragung von Zeugen.
Es gibt aber doch ein dezidiertes Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz …
Das spielt eigentlich nur noch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes eine größere Rolle, in der Praxis ist es weitgehend ausgehebelt, etwa indem die Möglichkeiten zum Datenaustausch viel größer geworden sind. Zudem haben wir nun, nicht zuletzt durch die abgeschlossenen oder noch laufenden Reformprozesse in den Bundesländern, den Zustand, dass Polizeibehörden ähnlich aufgestellt sind wie Geheimdienste, etwa indem sie mit geheimen Maßnahmen Vorermittlungen anstellen können. Bei allen größeren Gefahrenquellen wird mittlerweile bekannt, dass Polizei und Geheimdienste parallel agieren – beim Mord an Michèle Kiesewetter sollen ja auch mehrere Dienste aus dem Inland involviert gewesen sein.
Beim Mord an Halit Yozgat 2006 in Kassel war ein Mitarbeiter des Landesverfassungsschutzes am Tatort anwesend.
Ja, und zugehörige Akten hat das Amt gerade für 120 Jahre gesperrt, aus Gründen des Quellenschutzes. Das ist völlig unverhältnismäßig, überhaupt nicht einzusehen. Man kann vielleicht noch ein gewisses Verständnis haben, dass manche Akten nicht für die Öffentlichkeit freigegeben werden. Aber diese Akten sind ja auch parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, die sehr klare Regeln für die Geheimhaltung von Informationen und den Schutz der Persönlichkeitsrechte Betroffener haben, vorenthalten worden. Wenn eine parlamentarische Aufklärung derart mit der Amtslogik des Verfassungsschutzes ausgehebelt wird, dann stimmt etwas mit der Gewaltenteilung nicht.
Die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen hat gerade ein neues Verfassungsschutzgesetz verabschiedet.
Ja, und damit das Arsenal des Landesverfassungsschutzes deutlich ausgeweitet, etwa bei Online-Durchsuchungen. Vor allem aber hat Hessen etwas nachvollzogen, was der Bund schon getan hatte: als Konsequenz aus dem NSU-Komplex einen gesetzlichen Rahmen für den Einsatz von V-Leuten zu schaffen.
Wie sieht der aus?
In Hessen ähnlich wie im Bund: Die Regelungen werden komplett wirkungslos bleiben. Sie zeichnen nur nach, was bisher die gängige Praxis war und legalisieren das.
Inwiefern?
V-Leute sollen, wenn sie straffällig werden, ab einem bestimmten Strafmaß aus dem Einsatz entlassen werden, aber es gibt Ausnahmeklauseln, wonach der Leiter einer Behörde davon absehen kann. Zudem können die Verfassungsschutzbehörden bei Staatsanwaltschaften darauf hinwirken, dass diese von einer Anklage gegen ihre V-Leute absehen. Das haben sie bisher und ganz konkret im Falle des NSU so gemacht, jetzt ist das gesetzmäßig möglich. Und für Geldzahlungen an V-Leute gibt es zwar die Vorgabe, dass diese nicht die einzige Einnahmequelle für den Lebensunterhalt der V-Leute darstellen dürfen, aber das waren sie ja auch bisher meistens nicht.
Kann weiter Geld an Strukturen fließen, die der Verfassungsschutz eigentlich bekämpft?
Ja, es gibt auch keine Deckelung der Beträge. V-Leute sind generell zwielichtige Personen, das ist deren Modus Operandi – aber es geht ja nicht nur um deren persönliche Bereicherung, es geht eben darum, dass Gruppierungen mit immensen Summen gefördert werden können, die man eigentlich schließen will.
Rot-Rot-Grün in Thüringen hat 2015 verfügt, alle V-Leute des Freistaates abzuschalten.
Und mir liegen bisher keine Erkenntnisse vor, dass es deswegen in Thüringen zu zusätzlichen Sicherheitsrisiken gekommen ist. Dabei muss ich aber noch mal daran erinnern, dass inzwischen ja auch die Polizei V-Leute einsetzt, dass sie weitreichende Befugnisse hat, schon vor konkreten Straftaten im Gefahrenvorfeld zu ermitteln. Aber was den Einsatz von V-Leuten durch den Verfassungsschutz angeht: Es gibt bisher keinerlei unabhängige Untersuchung oder Auswertung, was die Qualität solcher Informationen angeht.
Kann eine freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht nur ohne V-Leute, sondern ganz ohne Verfassungsschutz auskommen?
Wir denken: ja. Denn das Grundproblem ist: das, was der Verfassungsschutz ausforschen will, ist, wenn dann wirklich Straftaten begangen werden, ein Fall für die Polizei. Alles, was davor passiert, gefährdet nicht unsere Verfassung. Das mag zweifelhaft sein, es mag gefährlich werden, wenn Leute sich radikalisieren und ihre Gewaltbereitschaft steigern, aber dann ist das Aufgabe der Polizei, es ist mitnichten eine Gefährdung unserer Verfassung.
Nicht leicht, in Zeiten des Rechtsrucks wie des islamistischen Terrors für die Abschaffung des Verfassungsschutzes zu kämpfen …
Momentan mag es hierfür keine Mehrheiten geben. Aber anders herum ist es so sicher wie das Amen in der Kirche, dass der Verfassungsschutz uns nicht vor der zunehmenden Radikalisierung der Gesellschaft und dem Abbau von Verfassungswerten, gerade auch durch Parlamente und Ministerien, bewahren wird.
Kommentare 1
Passend zum Thema möchte ich einmal den ehemaligen Präsidenten des Thüringer Landeskriminalamtes zitieren. Kranz leitete die Behörde vom 01.11.1992 bis 28.04.1997 und wurde vom UA 5/1 des Thüringer Landtags am 21.05.2012 in öffentlicher Sitzung vernommen. Zitat:
"Es gab zwei sehr deutliche Kräche zwischen Roewer und mir. An einen erinnere ich michnoch recht gut. Das war 17.08., berühmt-berüchtigter Rudolf-Heß-Gedächtnismarsch. Wir sind mit Hundertschaften, hätte Ich beinahe gesagt, also mit großem Personalaufgebot dieser Demonstrationshorde hinterhergehetzt, die quer über Thüringen nach Bayern, von Bayernnach Baden-Württemberg, von Baden-Württemberg nach Hessen und von Hessen nachRheinland-Pfalz zur Synagoge Worms gegangen ist. Dort gab es die berühmte Demonstration,wo der Landtagsabgeordnete Apfel seine Brandrede gehalten hatte. Wir sind da hinterhergehetzt,nicht wissend, wo es hingeht. Da können Sie sich mal vorstellen, was das bedeutet für unsere Observations- und Fahndungskräfte, wenn man da hinterherhechelt. Ich bin dann in sein Büro rein und habe gesagt, wenn Sie nicht wissen, wo das war, irgendeinen Hinweis hätte ich von Ihnen erwartet. Richtig Krach gehabt mit ihm, habe ihm Vorwürfe gemacht,dass er uns nicht ausreichend informieren würde. Das hat er heftigst in Abrede gesteilt. Da war Thomas Dienei, da war das Trio dabei in Worms, da war ja alles dabei, was Rang und Namen hatte in der rechten Szene, auch Tino Brandt, auch .Otto", von dem ich hier reden darf und sonst nicht, auch der war dabei. Das heißt, der hat genau gewusst, wo es hingeht. Wir hätten uns die ganze Arbeit sparen können, wir hätten die Wormser Kollegen besser vorbereiten können. Der ganze Kladderadatsch, der morgens entstanden ist mit derBesetzung der Synagoge, mit den Brandreden - darüber ist der SEK-Chef von RheinlandPfalzauch noch gefallen. Der hat dann auch ein Dlsziplinarverfahren bekommen, weil er nicht ausreichend vorgesorgt hatte. Aber wer hätte denn gewusst, wo es hingehen soll, wenn nicht der, der die unangemeldete Demo angezettelt hat? Und da auch noch der V-Mann. Also das war der eine Krach.
(...)
Zur selben Zeit hat das ganze LKA, einschließlich ich, keiner von uns hat gewusst, dass Thomas Dienel auf der Gehaltsliste steht mit 50.000 und unser aller Freund .Otto" mit 200.000. Das sind 3.000 € imMonat, die habe ich damals gerade so verdient. Das kriegt dann der vom Verfassungsschutz, der mir die Arbeit gemacht hat; der den Thüringer Helmatschutzverein gegründet hat und den ganzen Laden hochgezogen hat. Ich fasse es einfach heute noch nicht. ich darf garnicht darüber nachdenken.
(...)
Es gab immer nur VierAugen-Gespräche mit Roewer. Ich kann dazu nichts sagen. Es gab dann regelmäßige entrenous, ein Töte-ä-Täte. Ich war da ausgeschlossen. ich hätte gern - mein Ziei war ja immer,möglichst eng Verfassungsschutz und ich habe auch erwartet, dass vom Verfassungsschutzwas kommt, habe auch wirklich gedacht, mein Gott, der hat doch V-Leute, der muss doch VLeutehaben. Dass es die Topleute sind, auf diese idiotische Idee bin ich gar nicht gekommen,muss ich sagen. Das war außerhalb meiner Denkweise. Wer züchtet schon Nattern anseiner Brust, um zuzugucken, wie die anderen diebekämpfen müssen. Das war schon einesonderbare Zeit." Zitat Ende
(Quelle Wortprotokoll 7. Sitzung UA 5/1 Thüringen, Seiten 134 bis 137)
Zu fragen hier, welcher Gesinnung denn die Finanziers dieser braunen Banden im VfS anhängen. Sind das etwa Nazis, welche die Akten im Fall Yozgat für 120 Jahre gesperrt haben? Sind es Nazis, welche damit begannen wichtige Akten zu schreddern, 2 Stunden nachdem Beate Zschäpe sich gestellt hatte? Sorgt dann also heute ein Nazis beim Bundespräsidenten für das Prozedere der Verleihung hoher Auszeichnungen? Sitzen Nazis in der grün/schwarzen hessischen Landesregierung und haben diese Nazis zum Schutz ihrer braunen Kumpane beim NSU-Unterstützkreis das Arsenal des Landesverfassungsschutzes nochmals deutlich ausgeweitet? Schützen also Nazis in den Behörden die gesamte Zeit ihre Brüder im Geiste beim NSU?
Die Antwort kann sich hier jeder selbst geben.