Die Revolution wird kommen

Momentaufnahme Jean Ziegler ist Globalisierungskritiker. Diether Dehm sprach mit ihm über Kapitalismus, Armut und Menschenrechte. Eine Zusammenfassung
Jean Ziegler
Jean Ziegler

Foto: FABRICE COFFRINI/AFP/Getty Images

Jean Ziegler gilt als einer der bekanntesten Globalisierungskritiker. Wegen massiver Kritik an westlicher Politik, Wirtschaft und Finanzwesen wurde er in fünf Ländern verklagt. „Diese Prozesse waren Momente des Kampfes, und dieser Kampf wird fortgeführt,“ sagt Ziegler heute. Eine ganze Reihe derer, die ihn angeklagt hatten, Bankiers und millionenschwere Wirtschaftsanwälte, wurde nun wegen Betrugs selbst verurteilt.

Eine Begegnung prägte Jean Ziegler besonders: Auf der Weltzuckerrohrkonferenz von 1964 traf er auf Che Guevara. Begeistert von der Idee der Revolution, sagte er eines Abends zu Che: „Commandante, ich will mit euch gehen.“ Che ging zum Fenster des Hotelzimmers und blickte über die Dächer von Genf. Dort leuchteten Juweliere, Banken und Versicherungskonzerne:„Siehst du die Stadt? Da bist du geboren, da ist das Gehirn des Monsters, da musst du kämpfen.“

Heute ist Jean Ziegler Vizepräsident im Beratenden Ausschuss des UN-Menschenrechtsrats.
Über Ches Rede auf der Weltzuckerrohrkonferenz sagt Ziegler: „Es war unglaublich bewegend, wie er über diesen Raubtierkapitalismus sprach, das hat auch heute noch totale Aktualität.“ Alle fünf Sekunden stirbt ein Kind – und das auf einem Planeten, auf dem zum ersten Mal in der Geschichte der objektive Mangel überwunden ist, unser Planet wird mit Nahrung überflutet. Das Problem ist aber der Zugang zu Nahrung. „Jedes Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet.“

Auch habe es noch nie so viele Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge gegeben, es gibt 32 fürchterliche Kriege, die die Welt verwüsten. Die effektive Gerechtigkeit ist also regressiv. Aber: Das Bewusstsein der Menschen, Gerechtigkeit einzufordern, steigt.

Dazu gibt Ziegler zwei Beispiele: Im 4. Jahrhundert gab es die Theorie, Sklaverei zu legitimieren, weil sonst alle Menschen verhungert wären. Heute gibt es zwar immer noch Sklaverei, doch kein Mensch würde es wagen, diesen Zustand als legitim darzustellen. Im 18. Jahrhundert wurde – besonders in Kolonialherrschaftskreisen – das Hungersterben als Schutz vor Überbevölkerung verteidigt. Heute würden selbst die schlimmsten Reaktionäre es nicht wagen, diese Theorie zu vertreten. Das zeige einen messbaren Fortschritt des Kollektivbewusstseins.

Unser Identitätsbewusstsein, das heißt das Bewusstsein, uns mit anderen Schicksalen zu identifizieren, wurde von neoliberalen Wahnideen – verbreitet von Schulen, Regierungssprechern und Medien – entfremdet. Nun brauche es den Kampf der Intellektuellen, die dieses Bewusstsein befreien.

Und dann passiert das, was am 14. Juli 1789 in Paris geschehen ist. Dann beginnt die Revolution, der radikale Bruch mit der oligarchisch beherrschten, kannibalischen Weltordnung. Das gab es schon einmal in der Geschichte, und das wird es wieder geben. Auf diesen Moment steuern wir immer weiter zu, je mehr Elend, Herrschaft und Ungleichheit es gibt. Doch wann der Moment kommt, an dem diese Weltordnung zerspringt, das sei das Mysterium der Geschichte, sagt Jean Ziegler.

Hier das Interview in voller Länge:

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Dieser Beitrag ist Teil des Freitag-Extra: Disarm! For a Climate of Peace, einer Verlagsbeilage in Zusammenarbeit mit dem International Peace Bureau

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