Die von Verdi vertretenen Arbeitnehmer stehen mit dem Rücken zur Wand. Nicht, dass man horrorfilmreife Grausamkeiten an ihnen begehen will. Was ist denn schon dabei, 18 Minuten täglich länger zu arbeiten, tönen die kommunalen Arbeitgeber. In der nüchternen Rechnung der Gewerkschaft klingt´s schon beträchtlicher: Der Wille der Arbeitgeber etwa Baden-Württembergs, die wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 auf 40 Stunden zu erhöhen, entspricht einer Lohnkürzung um vier Prozent oder der Möglichkeit, 185 Stellen zu streichen. Wirklich empörend ist aber die abschüssige Bahn, auf der man die Beschäftigten immer tiefer rutschen lässt und ihnen das Gefühl gibt, Widerstand sei ohnehin zwecklos. Dagegen wehrt sich Verdi mit dem größten Streik seit 14 Jahren.
Erst am 9. Februar 2005 hatte die Gewerkschaft einem neuen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) zugestimmt - mit Bauchschmerzen, weil er Verschlechterungen einführt. Er bedeutet den Einstieg in ein anderes Entlohnungssystem: Künftig verscherzt man sich einen Teil des Gehalts, wenn man nach Meinung der Arbeitgeber nicht genug leistet. Diesem Vertrag war jedoch nur die Rolle des Büchsenöffners zugedacht. Bloß den Bund und die Kommunen verpflichtend, enthält er eine Klausel, die Verdi zur Hinnahme weiterer Verschlechterungen zwingt, wenn es solche im Arbeitskampf mit den Bundesländern erleidet. Da setzen also die Länder an: Der TVöD sei zu teuer, sagen sie und fordern unbezahlte Arbeitszeitverlängerung. Verhandlungen darüber wurden im April 2005 abgebrochen, im Oktober wieder aufgenommen. Ende November fiel es dann den Kommunen einiger CDU-regierter Länder ein, den TVöD schon wieder zu kündigen - nachdem er erst Anfang Oktober in Kraft getreten war -, um die Arbeitszeit tatsächlich verlängern zu können.
Nicht einmal die Regierungen, die im Wahlkampf sind, zügeln wesentlich ihre Lust, unbestreitbare Haushaltsengpässe auf Kosten der Schwächsten zu sanieren - Engpässe, nebenbei bemerkt, die durch Steuergeschenke an Unternehmer zustande kamen. Zwar haben die Ministerpräsidenten Oettinger (CDU) und Beck (SPD) für längere Arbeitszeit Lohnausgleich angeboten. Denn man ist sich des Unmuts der Bürger, die man wegen der Müllberge aufhetzt, doch nicht so sicher: In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wird am 26. März gewählt. Aber gleich schob Stuttgarts Finanzminister Stratthaus nach, "auf Dauer" könne man sich von der allgemeinen Gehaltsentwicklung nicht abkoppeln. Schon deshalb hat Verdi-Chef Bsirske Recht, wenn er solche Angebote zurückweist - vor allem aber auch, weil "jede Arbeitszeitverlängerung ein aktiver Beitrag zur Erhöhung der Arbeitslosigkeit" ist. Darum geht es in erster Linie. Es ist zynisch, wenn die Massenarbeitslosigkeit auch von öffentlichen Arbeitgebern als Druckmittel zur Gehaltskürzung ausgenutzt wird, während es auf ihrer politischen Agenda stehen sollte, das Problem durch Arbeitszeitverkürzung zu lösen. Für diese Alternative kämpft nicht nur Verdi, daran haben alle Gewerkschaften, alle Arbeitnehmer ein Interesse und noch mehr die Arbeitslosen, die man jetzt mit Ein-Euro-Jobs als Streikbrecher einsetzt.
Als die IG Metall vor zwei Jahren den Arbeitskampf in Ostdeutschland verlor, behaupteten interessierte Medien, das Kampfmittel Streik habe nun ausgedient. Gerade deshalb kommt dem jetzigen Arbeitskampf strategische Bedeutung zu. Probleme gibt es genug: Wie man der IG Metall drohte, die Unternehmen könnten ja ins Ausland verlagert werden, kündigt man Verdi an, notfalls noch mehr öffentliche Dienste zu privatisieren. Doch das alles geschieht sowieso. Es unterstreicht nur die Notwendigkeit, zu kämpfen.
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