Publikum Ob im Fußball, in der Kunst oder der Musik – auch Fans spielen in ihren eigenen Ligen. Eine Typologie aus Eventies, Meckerern, Nerds und Profis
Fußball-Fans in orange: Als Typen äußerlich schwer zu unterscheiden
Foto: Joe Raedle/Getty Images
Eventie (Fußball)
Obschon von → Nerds verachtet, verstopft er alle zwei Jahre die Fanmeilen der Republik. Ausgestattet mit Klatschpappe, Leuchthörnchen und anderem „Schland“-Tand sorgt der Eventfan für die partypatriotische Grundstimmung in bundesdeutschen Ballungsgebieten. Fehlende Fachkenntnis kompensiert er dabei ungeniert mit hektischem Fähnchenschwenken und einem ausgeklügelten System voodooartiger Anrufungen („Maaario!“, „Luuukas!“, „Schweiniii!“).
Getränk Beck’s Chilled Orange Outfit Deutschlandtrikot Ort Fanmeile
Eventie (Kunst)
Unter 90 Minuten Schlangestehen ist eine Ausstellung für sie uninteressant. Frida Kahlo, Gerhard Richter, das MoMA in Berlin – sie hat sie alle gesehen. Und dokum
nt. Frida Kahlo, Gerhard Richter, das MoMA in Berlin – sie hat sie alle gesehen. Und dokumentiert. Noch beliebter als ihre Diashows sind ihre Geburtstagsgeschenke: Wer wünscht sich nicht einen Seidenschal aus der Royal Academy in London, den der große Ai Weiwei mit goldenen Überwachungskameras hat bedrucken lassen? Das Hotel für die Documenta 14 ist seit dem Tag der Abreise 2012 fest gebucht.Getränk PappbecherkaffeeOutfit Biennale-JutebeutelOrt MuseumsshopEventie (Musik)Ihre Kühlschranktür sieht aus, als betriebe sie eine Konzertagentur, auf ihrem Schwenkgrill sind schon Bierdosen aus fünf Ländern explodiert. Roskilde, Glastonbury, Lollapalooza, Sziget oder Rock am Ring: Wo es nach Dixie-Klo riecht, ist für sie der Spaß zu Hause. Und Coldplay geht immer. In der Wintersaison weicht sie auf Hallentourneen aus, mit Abstechern in die zweite Liga. Aber auch sie findet: Als die Mercedes-Benz Arena noch O2 World hieß, war sie irgendwie besser.Getränk FaxeOutfit Tourshirt und BlümchenhaarreifOrt Reihe einsPlaceholder infobox-1Meckerer (Fußball)Wäre er Trainer, könnte ihm keiner das Wasser reichen. Mit seinen messerscharfen Analysen („Verschenken den Mann!“), dem präzisen Raumgefühl („Nach links, du Körperklaus!“) und dem unbestechlichen Gerechtigkeitssinn („Hau ihn um!“) hätte er noch jedes Team zum Titel geführt. Dass nur die künstliche Hüfte dies verhindert, erfahren die Umstehenden bei jedem Heimspiel ausführlich aufs Neue. Ist schließlich auch eine tragische Geschichte.Getränk BierOutfit CordhutOrt StehtribüneMeckerer (Kunst)Als Kind hörte er am liebsten das Märchen von Des Kaisers neuen Kleidern, heute heißt sein Lieblingsbuch Ist das Kunst oder kann das weg? Eigentlich gefällt ihm aber nur der Titel. Der Inhalt? [Bedeutungsschwangere Pause.] Na ja. Hätte der Verlag mal besser ihn gefragt. Fettecken, Ballonpudel, weinende Frauen und Hunde mit angemaltem Bein jubelt ihm keiner als Kunst unter. Traut sich sonst nur keiner zu sagen. Der Bund der Steuerzahler hat seine E-Mail-Adresse längst geblockt.Getränk Bringt er mit. Er ist ja nicht blöd.Outfit DreiviertelhoseOrt DocumentaMeckerer (Musik)Sie hat Coldplay schon live gesehen, als die noch Starfish hießen. Ihr geht es um den Sound, nicht um die Pyro. Egal, wie laut die → Eventies grölen, ihr entgeht es nicht, wenn die Gitarre übersteuert ist oder der Sänger zu wenig Monitor hat. Die Kollegen von der Tontechnik wissen ihre konstruktiven Tipps zu schätzen. Ihre eigene Band Diskurshölle wird von den → Profis sträflich ignoriert. Und heute morgen hat intro.de auch noch ihren dritten Nutzeraccount gesperrt.Getränk Habt ihr nich’? Alter!Outfit SchwarzOrt TresenPlaceholder image-1Nerd (Fußball)Er guckt natürlich auch Bundesliga (Einzeloption: Mainz – Ingolstadt) und Champions League, doch das reicht ihm nicht. Hängt er nicht gerade auf spielverlagerung.de rum, fährt er zum Auswärtsspiel der A-Jugend oder streamt ein Lokalderby aus der zwei-ten französischen Liga. Obschon er optisch auch als Parkraumkontrolleur durchgehen könnte (Typ: Thomas Tuchel), weiß er dementsprechend bereits 2016 zu 70 Prozent, wer 2018 die falsche 9 und die abkippende 6 bei S04 wird.Getränk Isodrink Outfit Trainingsanzug Ort Wo immer Platz istNerd (Kunst)Wo Künstler der permanenten Transformation und Zirkulation der Bilder ein konzentriertes Innehalten entgegensetzen und ihr imaginäres Potenzial und die Rückkopplung an die Realität untersuchen, da ist ihre Expertise gefragt. Den Übergang von der modernen zur flüssigen Gesellschaft hat sie lange vor der Jahrtausendwende erkannt. Den Videokünstler Ryan Trecartin hielt sie schon für überbewertet, als die → Profis noch googeln mussten, wie man seinen Namen ausspricht.Getränk Ingwer-, Ananas-, Weizengrassaft Outfit LoeweOrt Berlin-BiennaleNerd (Musik)Sie hat Coldplay schon live gesehen, als die noch Pectoralz hießen. Heute empfiehlt sie Phoebe Killdeer & The Shift, das neue Projekt von Thomas Mahmoud-Zahl, ehemals Von Spar, dann Tannhäuser Sterben und das Tod, nun SFX und The Nest, außerdem Protagonist eines Klaus-Lemke-Films. Ihre kommentierte Ausgabe von Diedrich Diederichsens Über Pop-Musik mit 467 zusätzlichen Fußnoten kann in Doktorarbeiten zitiert werden. Anfragen unter ueberueberpop@posteo.de.Getränk Moravia PilsOutfit SchwarzOrt TresenPlaceholder image-2Profi (Fußball)Reputationsmäßig rangieren Sportkommentatoren noch unter → Eventies. Stehen sie doch im Ruf, seit Äonen mit dem gleichen Repertoire von abgestandenen Phrasen („Mund abputzen, weitermachen!“; „Jetzt wird’s nicklig“) zu operieren. Doch man tut ihnen Unrecht. Denn bisweilen lieferten sie die nachdenklichsten Bonmots unserer Zeit. Wie sagte noch mal Jörg Dahlmann beim Abschied von Lothar Matthäus? ,,Da geht er, ein großer Spieler. Ein Mann wie Steffi Graf.“Getränk Wasser/Weizen Outfit SakkoOrt KommentatorenkabineProfi (Kunst)Wie die Arbeiten des Künstlers Ryan Trecartin im Kontext des von Armen Avanessian annoncierten Zeitalter des Post-Contemporary zu lesen sind, wird sie in der kommenden Ausgabe des Magazins art erklären. Sofern sie die Deadline einhalten kann, am Donnerstag beginnt schließlich die Manifesta in Zürich, eine Woche später die Art Basel. Außerdem ist da noch ihr Lehrauftrag in Münster. Und, entre nous, irgendwas mit Chris Dercon ist immer.Getränk Bellavista Alma Gran CuvéeOutfit Dries Van NotenOrt Private PreviewProfi (Musik)Liftboys sterben jung, heißt es in Erich Kästners Roman Emil und die Detektive, schließlich sehe man nie einen alten. So ähnlich verhält es sich mit Musikjournalistinnen. Zwar sind sie das Neidobjekt aller → Nerds und → Meckerer. Der exklusive Zugang zu Menschen, deren Songtitel sich → Eventies auf die Leiste tätowieren lassen, erfolgt jedoch um den Preis, sich auch jenseits der 40 von absolut jedem duzen zu lassen. Sie werden dann eben Übersetzerin, Kunstkritikerin oder Kreativdirektorin.Getränk Backstage-BierOutfit SchwarzOrt TresenPlaceholder link-3Placeholder link-1Placeholder link-2
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