11. mai
um 19:25 uhr lande ich am flughafen kairo, mit einem gültigen visum in meinem gültigen flüchtlingsausweis. aus erfahrung klug, bitte ich herrn wetzel vom goethe-institut, mich am flughafen abzuholen. ein offizier der grenzpolizei behauptet, mein visum sei von der ägyptischen sicherheitsbehörde nicht bestätigt worden - auf einem stuhl warte ich im niemandsland.
unzählige polizisten schlendern herum. die blicke verraten eine mischung aus neugier und verachtung. selbst die putzfrauen, tief verschleiert, sparen nicht mit solchen blicken. hinter der barriere sitzt ein soldat. seine mütze liegt neben seiner maschinenpistole auf dem tisch. seine schuhe hat er ausgezogen. er liest im koran und wiegt sich hin und her wie ein gläubiger jude. der betende bewacht seinen staat mit der maschinenpistole - oder mit dem koran? schließlich holt mich die deutsche botschaft heraus, die vom goethe-institut benachrichtigt worden war - nach 4 stunden wartezeit betrete ich ägypten.
wir kommen um mitternacht im hotel an. im eingang ein elektronisches portal wie auf dem flughafen, aber - dieses funktioniert nicht. der polizist, der davor sitzt und gähnt, winkt müde ab. herr wetzel stellt mich als dr. said vor; der süden fordert sein recht auf lügen. spätes abendessen mit herrn wetzel. auf seine frage äußere ich den wunsch, mir hier einen anzug schneidern zu lassen. kein problem, magdi, der techniker des instituts, hat einen bruder, der schneider ist. den anderen wunsch, der schlachtung eines kamels beizuwohnen, verschweige ich - mir sitzt der flughafen noch zu sehr in den knochen. nach dem abendessen ein kurzer spaziergang. ein liebliches licht. jetzt erinnern mich die menschen und die straßen an teheran vor vierzig jahren.
12. mai
kairo ist laut und wächst - ohne zu wissen wohin.
die bäume. es sind nur wenige, aber sie strahlen. ob des sieges über die wüste? oder weil die menschen hier sehr liebevoll mit ihnen umgehen?
vor dem hotel ein faß voller wasser, im schatten, für die durstenden - kostenlos.
der fahrer des goethe-instituts holt mich ab; er will sofort wissen, ob der schah besser wäre als chomeini? meine antwort, der eine bedinge den anderen, befriedigt ihn nicht. vor dem institut steht ein soldat und bewacht mit seiner maschinenpistole die deutsche kultur.
vor jedem institut, vor jeder bank soldaten. wie die kairinischen katzen: unterernährt, mit ängstlichen augen. auch die wissen nicht, ob sie etwas bewachen oder befürchten.
der nachmittag ist für ein gespräch mit der zeitschrift achbar al-adab vorgesehen, der wichtigsten literaturzeitschrift des landes. der romancier gamal al-ghitani ist hier federführend.
magdi stellt sich in einwandfreiem deutsch vor. heute nacht um 21 uhr soll ich ihn anrufen, dann holt er mich ab und bringt mich zu seinem bruder, dem schneider. er gibt mir seine handy-nummer. hier hat jeder ein handy; das festnetz taugt nichts. dann essen mit frau el-sherbiny. ich lerne ein neues wort. das wort "brot" heißt in ägypten "aisch". dasselbe wort bedeutet in allen anderen arabischen ländern: das leben. im iran: das vergnügen.
das büro von gamal al-ghitani ist winzig, vollgestopft mit büchern, plakaten und zeitungen. er grüßt mich sehr freundlich. gamal ist ein verehrer der iranischen klassik. er zählt mir die titel auf, die er in den vergangenen jahren neu auf arabisch herausgebracht hat. er hat sein handy dabei; das telephon auf dem tisch ist offensichtlich nur eine attrappe.
gamal stellt mich dem chefredakteuer, mahmud al-werdani, vor; das interview beginnt. bald bin ich fasziniert von mahmuds fragen und ihrer dimension. am ende sagt er, auch er schreibe gedichte. in einer anthologie beim lenos-verlag seien sie veröffentlicht. ich muß lange nachdenken: wann hat mich je ein lyriker interviewt? in deutschland nie!
beim abschied sagt gamal al-ghitani, wir treffen uns übermorgen vor der moschee sultan hassan, der größten von kairo. dann augenzwinkernd: "gegenüber liegt und ruht der schah. als er seine 2.500-jahr-feierlichkeit so pompös beging, hätte er gedacht, daß er einmal hier landen würde?". ich frage ihn, ob ich das grab des schahs besuchen solle. ich, der ihn immer bekämpft habe. gamal antwortet: "wer sonst, wenn nicht wir, seine gegner, vergönnen ihm eine letzte ruhe." dann, nach einer pause: "mein freund, der besiegte verdient respekt." und er umarmt mich.
frau el-sherbiny will mir unbedingt die midaq-gasse zeigen. nagib machfus hat sie in jener faszinierenden kairoer trilogie verewigt. wir finden die gasse nicht. sie fragt herum, die männer antworten mir. frau sherbiny ist souverän und reagiert freundlich. die midaq-gasse ist kurz, die häuser sind verfallen; niemand lebt mehr hier. auch das café, in dem machfus seine protagonisten agieren ließ - geschlossen. es ist winzig. durch das fenster werfe ich einen blick ins innere. seit monaten hat es niemand betreten.
wir warten auf ein taxi. europäerinnen sitzen mit kurzen shorts vor einer moschee und zeigen viel bein - ich frage mich, ob das denn sein müsse? auf dem wege zum hotel ertappe ich mich bei meiner deutschen krankheit: was man in dieser stadt nicht alles besser organisieren könnte? der taxifahrer, der ariel scharon mit adolf hitler vergleichen will. wie kann ich ihm in sechs minuten das ausmaß jener tragödie und seines irrtums klarmachen? alle hier fragen mich nach meiner meinung über israel. keiner hinterfragt oder beklagt die eigene lage, diese armut. der jüdische staat lenkt massiv von sozialen problemen ab - ist das vielleicht seine bestimmung?
vor dem hotel betet der sicherheitsbeamte auf der straße. er hat sein handy vor sich auf die erde gelegt - betet er dieses plastikgeschöpf an? die ägypter beten überall: auf der straße, auf dem flughafen - offensichtlich braucht deren gott kein gehäuse.
am abend sitze ich auf der terrasse des hotels und schaue auf die verschmutzten häuser. warum kann nicht einer ihrer götter dieser stadt einen monat lang regen schenken? oder denkt jener gott auch an die armen, die dann ihre behausung verlieren würden?
der süden; was beunruhigt mich? nur die hartnäckigen fliegen?
um 21 uhr holt mich magdi ab. er fragt, wie die deutsche öffentlichkeit zu den muslimen steht. dann sagt er "wir muslime verurteilen den anschlag vom 11. september. was habe ich davon, wenn unschuldige menschen ums leben kommen. bin laden ist ein agent der usa - ohne sold." sein bruder bohrt mich, was mit salman rushdie sei. ob er wirklich den koran beleidigt habe. am ende des gespräches sagt er: "ach, er soll leben. auch er ist ein geschöpf gottes."
13. mai
mittags ruft der muezzin zum gebet auf; ich empfinde nichts. hat sich etwas von mir gelöst? oder ist mir der süden in seiner schönheit nicht mehr zugänglich? um 16 uhr kräht ein hahn in der nähe. die langsamkeit der ägypter - fordern sie damit die langmut des todes heraus? wie schlachtet man hier kamele? will ich wirklich diese sanften menschen in ihrer grausamkeit sehen?
14. mai
verträgt sich der süden mit jenem minimalismus, den ich mir mühsam im norden angeeignet habe? der konsumterror ist hier völlig nackt, also erscheint er brutaler - im norden ist er verschleiert.
ich rutsche auf dem gehsteig aus und lande im staub. zwei soldaten mit maschinengewehren eilen herbei, helfen mir auf, klopfen den staub von meinen kleidern, bieten mir einen sitz an und fragen besorgt, ob ich wasser will, tee oder kaffee?
durch das fenster sehe ich in ein reisebüro: zwei frauen - die eine tief verschleiert, die andere nicht. sie sprechen, lachen und erledigen ihre arbeit miteinander. können diese frauen feinde werden, wenn es hier einmal kracht, hier in diesem land, das von sanftmut geprägt ist?
am abend die lesung im goethe-institut. eingeladen sind nur mitglieder des ägyptischen pens. der deutsche botschafter erscheint; ein gebildeter mann, angenehm und ohne allüren. nach der lesung geht er fort. ohne die fragen abzuwarten.
wie haben es die juden in 50 jahren geschafft, sich von der schuld an jesus-mord zu befreien?
wann endlich fühlt sich deutschland von seiner schuld gegen die juden befreit?
warum habe ich meine eigene kultur aufgegeben, um mich der europäischen zu verschreiben?
später erfahre ich, daß die meisten zuhörer gerade von einer demonstration vor der israelischen botschaft zurückgekommen sind.
15. mai
fahrt nach alexandria. in der früh warte ich auf den fahrer, der mich zum bahnhof bringt. in dieser morgenstunde erscheint mir kairo doch recht sauber. die sauberkeit strotzt hier nicht; man muß sie erst suchen. verwechsle ich sauberkeit mit reichtum?
der zug fährt ab. auf dem nebengleis sitzt ein mann und raucht seine zigarette; er beachtet nichts. vielleicht kennt ihn der lokführer und weiß, wann er aufsteht und geht. blick aus dem fenster. das flache land. überall büffel mit ihrer gleichgültigkeit. endlich keine autos, keine enge. dann, mitten in der ebene, ein kleiner junge, neben einem büffel. die hände in den taschen schaut er herum. er winkt nicht einmal, als der zug vorbeifährt. paßt er auf den büffel auf, oder dieser auf ihn?
viele taubentürme; taubendreck als dünger? auf dem feld arbeitet ein bauer. er hat aus laken einen baldachin gebaut für seine vier schafe. weiter entfernt steht ein esel an einem teich, allein.
auf der tafel steht: alexandria, darunter die postleitzahl der stadt.
ich pilgere zum haus von konstantin kavafis, heute ein museum. am eingang eine plakette: "hier lebte der alexandrinische dichter konstantin kavafis". ein freundlicher sudanese bewacht kavafis.
das fenster seines arbeitszimmers geht auf eine garage, eigentum der griechischen gemeinde. heute leben in alexandria 500 griechen. ich frage den sudanesen, wie oft kavafis besuch bekommt. gestern waren es acht personen.
die synagoge: ein prachtbau mit auffahrt. hermetisch abgeriegelt. heute dient sie niemandem, abgesehen von den bewachern vielleicht. alexandria hat heute 30 juden. meist sehr alte personen, in der mehrzahl frauen. wenn einer stirbt, fehlt für den kaddisch die vorgeschriebene zahl von zwölf männern. dann importiert die gemeinde einige herren aus kairo. dafür aber gibt es ein israelisches konsulat. der konsul wird von der ganzen stadt gemieden.
direkt gegenüber der synagoge die markuskirche - für alexandriner kein widerspruch. hier liegt der kopf des heiligen markus, gründer der koptischen kirche. die innenwände sind mit arabischer schrift verziert. für mich ein novum, hier der normalfall. die schlichte gruft: wenige frische blumen, viele wunschzettel. ich zögere, ob auch ich einen hineinwerfe. was aber, wenn der diener, der mich begleitet, fragt, ob ich christ bin. ich verzichte. dafür zünde ich eine kerze an; für den heiligen markus, für diese kirche, für die kopten, die immer mehr unter druck geraten.
am abend dann die lesung. ein alexandrinischer schauspieler trägt meine gedichte auf arabisch vor. er probt gerade mit seiner truppe den faust. ein eigenes haus haben sie nicht. sie hoffen, im goethe-institut auftreten zu können. er erzählt mir eine parabel:
ägypten gleicht einem expresszug, der gegen eine mauer fährt. alle wissen das; aber niemand zieht die notbremse. denn er müßte dann die verantwortung übernehmen.
16. mai
nach dem frühstück setze ich mich ins café délices, gegründet 1922. hier könnte auch kavafis gesessen haben. drinnen ist es kühl. das mobiliar geschmackvoll, die kellner dezent. am nebentisch ein liebespaar. sie im islamischen kleid. sie sind sich sehr nah. sie küßt seine hände.
in alexandria sind geboren: der italienische lyriker giuseppe ungaretti, der griechische dichter konstantin kavafis und der deutsche politiker rudolf hess.
zu zeiten lebten hier friedlich nebeneinader armenier, griechen, italiener, juden und ägypter. lange bevor das wort multikulturelle gesellschaft in europa erfunden wurde. dann kam gamal abd el-nasser und nationalisierte den suezkanal. die folge war die "dreieraggression", wie es hier heißt. england und frankreich überfielen ägypten, israel machte mit. man möge sich nur einen augenblick lang vorstellen, israel hätte sich auf die seite der ägypter geschlagen!
nach der invasion flüchteten "die ausländer", und alexandria verfiel in tiefste provinz. das alte lied: der nationalstaat befreit und nivelliert. und heute: woran können sich die menschen halten?
verschwunden ist die tradition, geblieben ist die moderne, sie besteht zu 90 prozent aus plastik.
die u-bahn in kairo - mit eigenem eingang für frauen.
zweite lesung im goethe-institut. ein absolutes chaos. leute kommen rein, gehen raus, handys klingen. nach der lesung heißt mich jeder erst willkommen, bevor er seine frage stellt.
warum ist die außenpolitik deutschlands gegenüber israel so heuchlerisch?
warum riecht meine poesie nicht nach hafiz, sondern eher nach rainer kunze?
nach der lesung kommt magdi: der anzug ist fertig. er ist schön geworden und kostet mich, samt dem stoff, 450 pfund. magdis gehalt beim goethe-institut ist 1800 pfund im monat.
17. mai
ein junger mann bringt die saubere wäsche ins hotel und bekommt seinen lohn. er küßt jeden geldschein, legt ihn auf seine augen und steckt ihn erst dann in die tasche.
heute ist freitag, fast alle läden sind geschlossen; wie angenehm leer die straßen sind. ich entdecke auf einem städtischen mülleimer ein plakat: oben steht "coca cola", darunter: "keep egypt clean". coca cola entsorgt ägypten.
ein mann sitzt auf der straße zwischen zwei geparkten autos. im weißen gewand betet er. er ruft seinen gott. seine stimme ist voller trauer, voller melodie. er ist ganz bei sich, beachtet niemanden.
SAID wurde 1947 in Teheran geboren und kam 1965 als Student nach Deutschland. 1979, nach dem Sturz des Schah, betrat er zum ersten mal wieder iranischen Boden, sah aber unter dem Regime der Mullahs keine Möglichkeit zu einem Neuanfang in seiner Heimat. Seither lebt er im deutschen Exil. SAID hat zahlreiche Gedichtbände und Prosa veröffentlicht, seit 2000 ist der Präsident des deutschen PEN. Die hier abgedruckten Miniaturen beziehen sich auf eine Reise aus dem letzten Jahr.
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