Die Schleuder des Herrn

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Jedes Tabu hat seinen Zauber. Selbst ein Totschläger kann nicht selten anrüchigste Erotik ausschwitzen. Wer sich seine Mannsbilder aus den geleckten Ober-flächen der achtziger Jahre zusammengebastelt hat, weiß, welch Sexappeal in der verrohten Tatkraft eines Bruce Willis´ oder Arnold Schwarzeneggers gelegen hat. Die hard, und ein paar zarte Seufzer.

Der Vater dieser erotic thrills jedoch ist um Längen älter. Vor gut 500 Jahren erschuf der damals junge Michelangelo eine Plastik, die nicht nur als schönste Skulptur der florentinischen Renaissance gilt. Bis heute hat sie nicht ihren Ruf eingebüßt, den sexyest man alive zu zeigen. Gespannte Muskulatur, aufgeblähte Brust und knackiger Po. Die Stahlkörper der Hollywood-Rambos wirken gegen Michelangelos Darstellung des nackten Hirtenjungen Davids wie Waisenknaben. Im Angesicht der fünf Meter hohen Skulptur möchte man die letzten Action-Helden zurück zum Aufbautraining pfeifen.

An diesem Mann ist einfach kein Gramm zu viel. Zunächst auf der Piazza della Signoria in Florenz als republikanisches Symbol zur Schau gestellt, zerstäubt er seit gut einem Jahrhundert in der Galeria dell´ Accademia die platonische Idee von Virilität. Aurelio Amendola hat nun den Körper dieses marmornen Mannsstücks fotografisch präzise vermessen. Auf 57 Schwarzweißfotografien entgeht dem italienischen Fotografen nicht die kleinste Problemzone eines fast makellosen Körpers.

Hier verschmelzen Spannung und Ruhe zu einer gut aussehenden Synthese. Der dynamische Linksdrall und die sehnig fest geschlossene Hand ringen mit einem entspannten Blick und gelockerten Schultern um eine fast heilige Harmonie. Die Kunstgeschichte kennt viele große Nackte: Pisanos Herkules etwa oder den Perseus Benvenutos Cellinis. Dieser Jüngling aber ist anders. In göttlicher Coolness kreist der Auserwählte des Herrn um seinen inneren Ruhepunkt.

Obwohl Amendolas Fotografien vollends statisch sind, lassen sie sich wie eine Bewegungsstudie im Vorfeld eines Mordes lesen. Bald nämlich wird sich die Gelassenheit aus dem liebreizenden Antlitz zurückziehen, und wie selbstverständlich wird dieser David zu einer bestialischen Bluttat übergehen. So gottgefällig sich die Geschichte des Hirtenknaben und seines legendären Mordes am Riesen Goliath später auch lesen mag, aus moderner Sicht ist sie irgendwie traurig. Ein solcher Sixpack, und dieser Bursche wusste nichts Besseres damit anzufangen, als ihn auf leidbringende Kapitalverbrechen hochzudrillen.

Antonio Paolucci / Aurelio Amendola: Michelangelos David. DuMont, Köln 2003, 95 S., 73 Fotos, 19,90 EUR

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