Die Schwäche seiner Gegner

Türkei Der klare Erfolg Erdoğans bei der Präsidentschaftswahl lässt sich nicht nur auf dessen Popularität zurückführen. Auch die Opposition hat versagt
Ausgabe 33/2014
Themen wie Gleichheit, Freiheit und Ökologie fanden sich am ehesten im Programm von Selahattin Demirtaş von der prokurdischen Partei HDP wieder
Themen wie Gleichheit, Freiheit und Ökologie fanden sich am ehesten im Programm von Selahattin Demirtaş von der prokurdischen Partei HDP wieder

Foto: Ozan Kose / AFP / Getty Images

Recep Tayyip Erdoğan ist jetzt auf dem Höhepunkt seiner Macht. Elfeinhalb Jahre war er Ministerpräsident, am vergangen Sonntag haben die Türken ihn zum Präsidenten gewählt. Fünf Jahre darf er dieses Amt nun ausfüllen, bei einer Wiederwahl sogar bis zum 100. Jubiläum der Republikgründung 2023. Mit 52 Prozent erreichte Erdoğan die absolute Mehrheit schon im ersten Wahlgang und lag deutlich vor dem gemeinsamen Kandidaten der größten Oppositionspartei CHP und der MHP, dem Wissenschaftshistoriker Ekmeleddin Ishanoğlu.

Sicher, Erdoğan ist aufgrund des wirtschaftlichen Erfolgs populär, aber die Opposition begünstigte auch seinen Sieg. Sie hatte ein schwaches Konzept und führte einen farblosen Wahlkampf. Für letzteren ist sie zwar nur bedingt verantwortlich, denn ihre fehlende Präsenz lag vor allem daran, dass Erdoğan einen Großteil der Medien unter Kontrolle hat. So kritisierten OSZE-Wahlbeobachter, dass er sich durch seine Position als Ministerpräsident einen Vorteil verschafft und von parteiischer Berichterstattung profitierte habe.

Die Opposition hat sich aber auch verkalkuliert: Die streng laizistische Partei CHP, die noch vor Jahren gegen Kopftuchträgerinnen in Universitäten wetterte, hatte sich für die Präsidentschaftswahl mit der rechtsextremen MHP zusammengetan und gemeinsam den relativ unbekannten Wissenschaftler und gläubigen Muslim Ihsanoğlu aufgestellt. Nur wenn sie ihre Wähler gemeinsam hinter einen Kandidaten brächten, so die Überlegung, sei Erdoğan zu schlagen. Offenbar boykottierten jetzt aber viele Stammwähler der Kemalisten sowie der Rechtsextremen die Wahl.

Darauf deutet die geringe Wahlbeteiligung hin, vor allem in laizistisch-kemalistischen Hochburgen wie in der westtürkischen Stadt Izmir. Dort wählten 258.000 Menschen weniger als noch bei der Kommunalwahl im März. Insgesamt lag die Beteiligung bei knapp 74 Prozent, bei der Kommunalwahl hatten noch knapp 90 Prozent abgestimmt. Wäre die Beteiligung höher gewesen, hätte es durchaus zu einer Stichwahl kommen können.

Opposition bietet keine echte Alternative

Erdoğans Gegenkandidat Ihsanoğlu war Generalsekretär der Organisation der Islamischen Kooperation gewesen. Mit der Kandidatur wollte die laizistische CHP erstmals auch konservativ-religiöse Wähler ansprechen. Diese Entscheidung kritisieren viele Parteimitglieder vehement. Ein CHP-Abgeordneter bemerkte nach der Wahl sogar, die Partei habe ihre Wähler betrogen.

Die Ideen der Gezi-Park-Bewegung wie Gleichheit, Freiheit und Ökologie fanden sich im Präsidentschaftswahlkampf am ehesten im Programm des dritten Kandidaten, Selahattin Demirtaş von der prokurdischen Partei HDP, wieder. Er ist charismatisch, und seine Anhänger versuchten, fehlende Medienpräsenz durch Straßenwahlkampf wettzumachen. Mit knapp zehn Prozent der Stimmen gelang ihm aber nur ein Achtungserfolg.

Für die Parlamentswahlen 2015 zeichnet sich bisher noch kein neues Konzept der Opposition ab. Stattdessen beginnen in der CHP die Quengeleien, der Ruf nach Verantwortlichen wird laut. Die Partei steht nicht mehr geschlossen hinter ihrem Chef Kemal Kiliçdarğolu und stellt seine Führung infrage. So könnten Erdoğan auf absehbare Zeit nur die Gegner in der eigenen Partei bei seinem Machtstreben im Wege stehen – oder die fragwürdige, außerparlamentarische Gülen-Bewegung. So lange die Oppositionsparteien nicht in der Lage sind, eine echte Alternative anzubieten, so lange wird sich an Erdoğans Durchmarsch nichts ändern.

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