Die Bundestagswahl 2013 ist noch nicht entschieden. Das scheint eine banale Feststellung zu sein, ist es aber nicht, wenn man auf das achtet, was die Stimmung im Lande ist. Niemand rechnet mehr ernsthaft mit einem Erfolg von Rot-Grün am 22. September. Nicht einmal der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. Er hat schon einmal für den Dienstag nach der Wahl den Parteikonvent einberufen. Einer seiner Vorgänger, Franz Müntefering aus dem Sauerland, bemerkte dazu, wenn man die Wahl gewinnt, braucht man keinen Parteikonvent so rasch. Glaubt Gabriel selbst nicht mehr an den Erfolg? Mit der Illustrierten Bunte ist er kürzlich eine Wette eingegangen: auf Sieg. Wetteinsatz: eine Flasche Rotwein. Wahrscheinlich aber nicht aus der Preislage, die Kanzlerkandidat Steinbrück bevor
l 2013 ist noch nicht entschieden. Das scheint eine banale Feststellung zu sein, ist es aber nicht, wenn man auf das achtet, was die Stimmung im Lande ist. Niemand rechnet mehr ernsthaft mit einem Erfolg von Rot-Grün am 22. September. Nicht einmal der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. Er hat schon einmal für den Dienstag nach der Wahl den Parteikonvent einberufen. Einer seiner Vorgänger, Franz Müntefering aus dem Sauerland, bemerkte dazu, wenn man die Wahl gewinnt, braucht man keinen Parteikonvent so rasch. Glaubt Gabriel selbst nicht mehr an den Erfolg? Mit der Illustrierten Bunte ist er kürzlich eine Wette eingegangen: auf Sieg. Wetteinsatz: eine Flasche Rotwein. Wahrscheinlich aber nicht aus der Preislage, die Kanzlerkandidat SteinbrXX-replace-me-XXX252;ck bevorzugt.Wenn es in der öffentlichen Wahrnehmung ein Anzeichen gibt, das tatsächlich auf eine gewisse Verzagtheit bei den Sozialdemokraten schließen lässt, die zu Recht bestünde, so ist dies eben die Uneinigkeit, die bei ihrem Führungspersonal herrscht. Nicht nur in der Steuerpolitik. Den Einfall mit dem Parteikonvent hatte Gabriel ganz allein, und im Alleingang brachte er ihn auch auf den Terminkalender. Die „Stones“, Steinbrück und Steinmeier, wurden überrascht. Die Kritik daran war nicht zu unterdrücken. Müntefering äußerte sich in einem Interview, wie erwähnt, dazu nur knapp. Heftig dagegen attackierte er die Wahlkampfführung aus dem Willy-Brandt-Haus. Parteien, bei denen es Streit gibt, werden von vielen Leuten ungern oder gar nicht gewählt. Das ist seit Jahrzehnten so.Gewählt wird auch selten, wer die Wähler beschimpft. Ein Dauerthema der SPD bisher war das Lied: Wir waren in der Großen Koalition unter Merkel die Besseren, haben aber 2009 nur 23 Prozent erzielt. Also: nie wieder mit Merkel. Die 23 Prozent verdanken die Sozialdemokraten aber den Wählern. Ausnahmsweise gilt hier: Nicht Merkel ist schuld, sondern der Wähler oder die Wählerin.Die beliebte TroikaImmerhin kann man das Peer Steinbrück nicht vorwerfen, der schließlich aus seiner Regierungsmitgliedschaft in der Großen Koalition und dem SPD-Debakel an ihrem Ende die richtige Konsequenz zog, sich in den vordersten Linien der Politik rar machte und als Vortragsreisender das Land durchstreifte, was sein finanzieller Schaden nicht war. Dann wurde er doch Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten, und damit begann das Ungemach für ihn. Nur für ihn? Auch für die SPD? Noch nicht für die SPD, gewiss. Aber an diesen Fragen muss sich orientieren, wer wissen will, woher die schlechten Umfragewerte für die SPD und, schlechter noch, für ihren Kanzlerkandidaten kommen.Drei, sagen wir, Schulen gibt es, die seit geraumer Zeit an einer Antwort arbeiten. Sie orientieren sich an dem, was am Beginn des Umfrageabsturzes stand, an der Troika. Das ist ein beliebtes Führungsmodell der Sozialdemokraten, wenn sie, was meist der Fall ist, im Schatten der Kanzlerpartei CDU stehen. Da gab es Brandt/Wehner/Erler, dann Brandt/Wehner/Schmidt, schließlich Scharping/Schröder/Lafontaine und zuletzt eben Steinmeier/Steinbrück/Gabriel. Nicht alle in der jeweiligen Troika wollten Kanzler werden, aber alle bestimmen, wer Kanzler wird. Darin lag wohl das größere Unglück begründet.Warum sieht es aktuell schlecht für eine rot-grüne Mehrheit bei der Bundestagswahl im September aus? Die einen behaupten, es liege an Peer Steinbrück, weil ihm eine Tapsigkeit nach der anderen unterläuft und er derzeit auch bei ernsten Themen wie eine Witzfigur aussieht, wenn er für die Kameras seine Statements abgibt. Da hat er bei Gelegenheit eines scharfen Angriffs auf die Kommission in Brüssel erklärt, er werde jetzt massenhaft Glühbirnen kaufen, um seine französischen Lampen auch noch in einigen Jahren zum Leuchten bringen zu können. Wegen solcher Sprüche soll man ihn im Ruhrgebiet wählen?Die anderen sagen, es sei Frank-Walter Steinmeier, Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag. Steinmeier, dem nachgesagt wird, er sei listiger, als er auftrete (was seine Herkunft aus Lippe glaubhaft macht, wo ein kleines, tückisches Bergvölkchen zu Hause ist), hatte kurz vor der letzten Bundestagswahl den damaligen Parteivorsitzenden Kurt Beck zu Fall gebracht. Der – damals noch Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz – wollte zwar nicht selbst Kanzlerkandidat werden (seiner Frau gefiel Berlin nicht), wollte aber doch verkünden, wer es werden würde. Nicht einmal das gönnte Steinmeier ihm und lancierte die Meldung, er selber werde es, bevor Beck den Mund aufmachen konnte. Daraufhin trat der Gekränkte zurück.Jetzt, so heißt es, habe Steinmeier wiederum die Planungen an der Spitze der SPD durchkreuzt. Ursprünglich habe die Troika erst im Herbst 2012 entschieden, vielleicht auch nur bekannt geben wollen, wer gegen Angela Merkel anzutreten habe. Das Rennen bei den Sozialdemokraten schien offen zu sein. An Sigmar Gabriel glaubten die wenigsten. Da erklärte Steinmeier im Sommer, er wolle nicht noch einmal versuchen, Kanzler zu werden. So wurde Steinbrück Kanzlerkandidat. Man sprach von einer Sturzgeburt oder: Steinmeier habe Steinbrück mit einem Fußtritt ins Rennen geschickt, weshalb es nicht verwunderlich sei, dass der ins Stolpern geriet. Wer auf solche Weise dem ersten Gehilfen Gerhard Schröders eine Schuld zuweist, übersieht geflissentlich, dass auch damit wenig zum Ruhme Steinbrücks gesagt ist.Gleichviel, es ist unübersehbar, dass sich der Außenminister der Großen Koalition und Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag bisher kein Bein ausgerissen hat, um Steinbrück zu helfen. Wer behauptet, dass er ihm verdeckt Fallen stellt, das aber nicht beweisen kann, müsste plausibel machen, wo das Motiv für Steinmeier liegt. Das ist so leicht nicht zu erkennen, es sei denn, er wollte wieder Außenminister und Vizekanzler in einer Großen Koalition werden, um nicht mit dem schlechtesten SPD-Ergebnis in der Geschichte seiner Partei im Gedächtnis zu bleiben. Ein nachvollziehbares Motiv, aber auch eines, das er verständlicherweise besser für sich behält. Deshalb ist es vielleicht auch keines.Bleibt Gabriel. Der hat sich nun freilich in den vergangenen Wochen und Monaten sehr hervorgetan. Seine Reden waren gut. Wer vor einem Jahr geglaubt hatte, der könne nie Kanzler werden, glaubt heute, er könne es möglicherweise doch. Manchmal sah es so aus, als trete er mit seinen Interventionen Steinbrück in die Kniekehlen. Mal wurde etwas umgedeutet, mal mit Zerknirschung zurückgenommen. Unübersehbar ist: Bei allem, was geschah, seit Steinbrück auf dem Plan ist, ist Gabriel immer stärker und Merkels Herausforderer immer schwächer geworden. Wenn es auch zum Hit dieses Sommers passt („Merkel ist schuld“): Daran ist die Bundeskanzlerin nicht schuld.Wenn die „Stones“ zu alt sindWer einen Hinweis auf eine zu unterstellende Absicht beim SPD-Vorsitzenden sucht, braucht nicht lang zu forschen. Gabriels Vorvorgänger in Niedersachsen, Gerhard Schröder, hatte es 1994 mit Rudolf Scharping als Kanzlerkandidat zu tun. Scharping sah fast die Hälfte des Jahres wie der sichere Sieger gegen Helmut Kohl aus. Dann machte er auf der Zielgeraden ein paar Fehler, und Kohl gewann knapp. Zuvor aber hatte Schröder hier und da vernehmen lassen, einmal werde es „der Dicke“ wohl noch machen, dann komme der Wechsel im Kanzleramt. Was nichts anderes hieß als: „Dann komme ich.“ In der SPD wurde damals der unpassend gemütliche Ton in der Titulierung Kohls gerügt. Wenn Scharping 1994 Bundeskanzler geworden wäre, hätte es nie einen Kanzler Schröder gegeben, denn nach Scharping wäre – einige Jahre später – wieder ein Unionskanzler gekommen. Wenn Steinbrück im September Bundeskanzler wird, so mag Gabriel kalkulieren, wird es ein Sozialdemokrat der gegenwärtigen Führungsriege niemals, denn nach Steinbrück wäre mutmaßlich wieder einer aus der Union dran. Wenn aber Angela Merkel 2013 noch einmal gewinnt, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie es 2017 nicht mehr schafft – und ein anderer oder eine andere aus der Union auch nicht.Dann aber ist Gabriel der Einzige an der Spitze der SPD, der nach dem Amt greifen kann. Dann sind die „Stones“, Steinmeier und Steinbrück, zu alt und andere in der SPD noch zu jung, um an Sigmar Gabriel vorbeizuziehen. Das Einzige, was ihn dann noch hindern könnte, das Ziel seines Ehrgeizes zu erreichen, wäre, dass die Grünen stärkemäßig im Bundestag an der SPD vorbeiziehen, was nach dem Beispiel Baden-Württemberg nicht mehr unmöglich erscheint. Aber doch höchst unwahrscheinlich. Denn bei den Grünen gibt es das Problem, dass sie in Partei und Bundestagsfraktion von alten Leuten geführt werden, die das Ende ihrer Karriere ins Auge fassen müssen, wenn es in diesem Herbst mit Rot-Grün nicht klappt. Danach werden jüngere kommen.Der Wahlkampf dafür hat noch nicht begonnen. Aber hat überhaupt schon Wahlkampf begonnen? Manche sagen: Nein. Wer ist schuld daran? Merkel. Weil sie nicht kämpft. Wenn sie nicht kämpft, so die Logik, kann auch Steinbrück nicht kämpfen. Wir sind ja nicht im Sport, wo der Herausforderer den Titelverteidiger niederringen muss. Wir sind in der Politik.
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