Die Spur der Kugel

NEUE BEWEISE ÜBER RADIOAKTIVE VERSTRAHLUNG IM KOSOVO Doch das Pentagon schweigt

Nach dem Golfkrieg tauchten in der Presse Meldungen über Uran-Munition auf, die von den amerikanischen Streitkräften gegen Panzer der Republikanischen Garde Saddam Husseins eingesetzt wurde. Ob das "Golfkriegssyndrom", jene mysteriöse Krankheit, von der einige GIs nach ihrem Wüsteneinsatz befallen wurden, eine Folge der radioaktiven Strahlung ist, konnte bisher nicht abschließend geklärt werden. Sicher ist jedoch, dass Uran-Munition beim Auftreffen radioaktive Rückstände erzeugt, die erhebliche gesundheitliche Risiken heraufbeschwören. Und sicher ist auch, dass im Irak vermehrt Missbildungen bei Neugeborenen zu beobachten sind. Nun gelangte diese Uran-Munition auch im Kosovo-Krieg zum Einsatz - diesmal jedoch erstmals in bewohnten Gebieten. Wir dokumentieren einen Bericht des Christian Science Monitor vom 5. Oktober 1999.

Rexh Himaj hat nicht lange überlegt, bevor er den zerstörten serbischen LKW auszuschlachten begann. Himaj ist Mechaniker im Kosovo und hat während des Kosovo-Konfliktes fast seine gesamte Werkstatt-Ausrüstung verloren. Wie viele andere Flüchtlinge freute er sich einfach nur darauf, nach Hause zu kommen und seine Arbeit wieder aufzunehmen. Was Himaj nicht wusste, war, dass amerikanische Flugzeuge bei der Vertreibung serbischer Truppen aus dem Kosovo - die Himajs Rückkehr erst möglichte - Uran-Munition verschossen hatten.

Der Betonboden seiner Garage im ehemaligen serbischen Militärstützpunkt westlich von Djakovica ist übersät mit Einschüssen von Uran-Munition. Ebenso die nahe Straße. Auf dem Boden liegen unzählige Patronenhülsen, die ausschließlich für Uran-Geschosse verwenden werden.

Wieviel davon zum Einsatz kamen, bleibt im dunkeln. Das Pentagon schweigt. Uran-Munition wird aus gering verstrahltem nuklearen Abfall hergestellt und ist wegen seiner toxischen und radioaktiven Rückstände umstritten. Erstmalig wurden solche Geschosse im Golfkrieg gegen irakische Panzer eingesetzt. Doch das war in der Wüste - im Kosovo kamen sie in bewohnten Gebieten zum Einsatz.

Entwickelt wurde Uran-Munition in den siebziger Jahren als Waffe gegen die neuesten sowjetischen Panzer. Die 30 Millimeter-Geschosse werden von einer speziellen A-10 aus abgefeuert, einem Flugzeug, das eigens für ein auf Uran-Munition ausgelegtes Geschütz gebaut wurde. Das ist die stärkste panzerbrechende Waffe im US-Arsenal. Wenn ein Uran-Geschoss auftrifft, wird es so heiß, dass Benzin und Munition im Inneren des Panzers explodieren.

Pentagon-Mitarbeiter verweisen darüber hinaus auf einen weiteren Umstand: Die Vereinigten Staaten sitzen auf 1,2 Milliarden Pfund radioaktivem Abfall aus der Atombombenproduktion und stellen diesen Müll der Waffenindustrie kostenlos zur Verfügung.

In den USA braucht das Militär beim Umgang mit kleinsten Mengen Uran-Munition eine Genehmigung der Atomaufsichtsbehörde. Die beschränkt generell Schießübungen mit Uran-Munition und verlangt außerdem, dass Soldaten, die sich weniger als 50 Metern entfernt von einem getroffenen Fahrzeug aufhalten, Schutzanzüge tragen müssen, um eine radioaktive Verseuchung zu vermeiden.

Britische Truppen im Kosovo waren angewiesen, die Schutzkleidung anzulegen, "wenn der Kontakt mit Zielen, die von Uran-Munition getroffen wurden, unvermeidlich ist". Die Bevölkerung des Kosovo ist über diese Gefahr jedoch nicht unterrichtet worden. Geschweige denn davon, wo und wieviel solcher Munition verschossen wurde.

"Restrückstände von Uranium aus den Kampfgebieten im Kosovo stellen kein signifikantes Gesundheitsrisiko dar", erklärte der Pentagon-Sprecher, Generalleutnant Victor Warzinski.

Andere Experten sehen das nicht so. Im Unterschied zu biologischen oder chemischen Waffen, deren Wirkung auf Stunden oder Tage begrenzt ist, bleiben Staub und Partikel von Uran-Munition "heiß". Ihre Halbwertzeit beträgt 4,5 Milliarden Jahre - das entspricht dem Alter unseres Sonnensystems.

Amerikanische Atomphysiker haben herausgefunden, dass der von Uran-Geschossen kontaminierte Staub einen Verbreitungsradius von mindestens 26 Meilen hat. Wissenschaftler am Nationalen Institut für Gesundheitsschutz in Mazedonien haben während des Kosovo-Konflikts im April achtfach höhere Werte jener Alpha-Strahlen in der Luft gemessen, die von Uran-Geschossen ausgehen.

Als die 16 Dekontaminations-Einheiten der Vereinten Nationen im Juli um Auskunft über das Risiko der Uran-Munition baten, erhielten sie von der NATO folgende zweizeilige Warnung: "Vorsicht walten lassen." und "Nicht in oder auf zerstörte Militärfahrzeuge steigen."

Die Britische Strahlenschutzbehörde war da etwas genauer. Sie warnte im Juli, dass die größten Risiken im Kosovo dort zu suchen seien, wo Uran-Munition verschossen wurde. "Wenn Gebiete mit Uran-Geschoss-Staub verseucht sind, ... besteht die Gefahr, diesen Staub einzuatmen."

Strahlungsmesstrupps der US-Armee haben während des Golfkrieges in Irak und Kuwait getroffene irakische Panzer untersucht und dabei ein "erhebliches gesundheitliches Risiko" festgestellt. Sechs " heiße" amerikanische Fahrzeuge wurden von der US-Armee in der saudischen Wüste vergraben. Die Army besitzt eine spezielle Dekontaminationsanlage in Snelling, South Carolina. Doch von den 16 US-Fahrzeugen, die aus dem irakischen Kriegsgebiet dorthin gebracht wurden, weil sie versehentlich von US-Piloten mit Uran-Munition beschossen worden waren, mussten sechs auf einer Deponie für schwach-radioaktiven Abfall eingelagert werden.

Auch den Boden zu entseuchen, ist schwierig. Ein Bericht des US-Verteidigungsministeriums listet acht verschiedene Dekontaminationsmethoden auf - aber in keinem Fall war hinterher eine gefahrlose Bodennutzung möglich.

"Ich staune, dass nach den Erfahrungen in Irak, niemand darüber nachgedacht hat, ob das eine gute Idee war", sagt Colin King, Herausgeber des Janes Handbuch für Minen und Minenräumung. Für ihn gehören Uran-Geschosse und Cluster-Bomben - die beide im Golfkrieg benutzt wurden und sich hinterher als gefährlich für die Zivilbevölkerung herausstellten - in dieselbe Kategorie. "Viele von denen, die über die Anwendung solcher Waffen entscheiden, haben keine Ahnung, was es heißt, anschließend mit den Folgen fertig zu werden. Darum kümmern die sich nicht, es sei denn man zwingt sie dazu."

Östlich von Belgrad, am jugoslawischen Nuklearwissenschaftlichen Institut in Vinca - dort wo Tito in den fünfziger Jahren versucht hat, Atomwaffen entwickeln zu lassen - untersuchen Strahlenexperten Uran-Munition.

An hundert Stellen in Serbien, meistens in und um Belgrad, wurde keinerlei radioaktive Strahlungen festgestellt. Aber in Südserbien bei Bujanovac, fanden jugoslawische Soldaten Uran-Munition, und ein von Schweizern geführtes internationales Expertenteam stieß auf erhöhte Radioaktivität, als es in der Nähe der Radiostation von Vranje zu graben begann.

Die Physikerin Snezana Pavlovic´ hält einige Splitter Uran-Munition aus der Nähe von Bujanovac in einem verschlossenen Gefäß hoch. Der Zeiger auf dem Geigerzähler (aus deutscher Produktion) schlägt sofort aus, als sie sich der Probe nähert. "Das ist eine hohe Strahlung", sagt Frau Pavlovic´. Damit umzugehen, bedarf es eines Speziallabors mit einer speziellen Lüftung für "heiße" radioaktive Substanzen. Sie hat etliche Geschosse aus dem Kosovo und Serbien gesehen. Jugoslawische Wissenschaftler mussten solche Munition das erste Mal 1995 untersuchen, als amerikanische Flugzeuge vergleichsweise geringe Mengen gegen serbische Truppen in Bosnien einsetzten. "Wenn man das Schlachtfeld einfach so lässt," - so Snezana Pavlovic´ - "könnten auch Kinder Munitionsteile finden. Deshalb sollte man die Rückstände so schnell wie möglich entfernen, egal wer dort lebt."

Auf einem verstrahlten Fuhrpark im Kosovo klettert ein Junge in ein ausgebranntes Armeefahrzeug, springt herunter und schießt eine Patronenhülse durch die Gegend. "Ich weiß jetzt, dass es gefährlich ist, aber dieses Risiko muss ich in Kauf nehmen" sagt der Mechaniker Himaj, als man ihm die Zusammenhänge erklärt. Seine Hände sind schwarz verschmiert. "Wenn die Amerikaner das Zeug nicht benutzt hätten, wären die Serben vielleicht noch hier. Andererseits hoffe ich mal, dass die das hier wieder sauber kriegen."

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