Die Stimme Amerikas

Porträt Ta-Nehisi Coates ist Autor des spektakulären Manifests „Between the World and Me“. Ein Besuch im Pariser Exil
Ausgabe 41/2015
In Coates’ Buch sucht man vergebens nach irgendetwas Positivem
In Coates’ Buch sucht man vergebens nach irgendetwas Positivem

Foto: Andre Chung/The Washington Post/Getty Images

In den USA ist Between the World and Me das Buch der Stunde, es wird als Brandbrief über das Verhältnis zwischen Mehrheitsgesellschaft und Afroamerikanern verstanden. Ta-Nehisi Coates, 39 Jahre alt und Journalist beim Magazin The Atlantic, hat diesen Brief an seinen Sohn Samori geschrieben und zitiert damit einen legendären Vorgänger: das Buch The Fire Next Time des großen Bürgerrechtlers James Baldwin, das dieser 1963 an seinen Neffen adressierte.

Between the World and Me ist eine wütende Ansprache an eine Nation, die sich weigert, Polizisten strafrechtlich zu verfolgen, die unschuldige schwarze Männer und Frauen töten. Coates führt dies darauf zurück, dass die aus der Zeit der Sklaverei herrührende Gewalt und Unterdrückung trotz Bürgerrechtsbewegung und der symbolischen Bedeutung von Obamas Präsidentschaft bis heute tief in der amerikanischen Kultur verwurzelt sind. Die Leugnung dieser Tatsache sei Teil jenes „Traums“, durch den – diese Formulierung entlehnt er von Baldwin – „jene, die sich für weiß halten“ ihre Macht absichern und sich moralisch rechtfertigen.

Ängste eines Vaters

Ta-Nehisi Coates hatte mitangehört, wie der 15-jährige Samori nach den Abendnachrichten in seinem Zimmer weinte. Sein Buch beginnt deshalb so: „Ich schreibe dir, weil dies das Jahr war, in dem du gesehen hast, wie Eric Garner zu Tode gewürgt wurde, weil er Zigaretten verkaufte; weil du nun weißt, dass Renisha McBride erschossen wurde, weil sie Hilfe holen wollte; dass John Crawford niedergeschossen wurde, weil er sich in einem Kaufhaus umsah. Und du hast gesehen, wie uniformierte Männer aus dem fahrenden Wagen heraus den zwölfjährigen Tamir Rice ermordeten, den sie ihrem Amtseid zufolge eigentlich beschützen müssten. Wenn du es nicht längst gewusst hast, dann weißt du jetzt auch, dass die Polizeibehörden in diesem Land autorisiert sind, deinen Körper zu vernichten.“ Betweeen the World and Me ist ein intimes Eingeständnis der Ängste und Ohnmacht eines afroamerikanischen Vaters. Egal welche Werte er seinem Sohn vermittle, schreibt Coates, egal wie sehr er ihn ermutige, sich in der Schule anzustrengen und sich korrekt zu verhalten, werde er immer dem Risiko staatlich sanktionierter Übergriffe ausgesetzt sein – nur weil er schwarz ist.

Ich treffe den Autor in Paris, wo er für ein Jahr mit seiner Frau und seinem Sohn leben will. Es ist der Tag, an dem Samori zum ersten Mal seine neue Schule besuchen wird und Ta-Nehisi Coates macht sich ein wenig Sorgen, weil sein Sohn noch kein Französisch spricht. Eine der Schlussfolgerung aus Coates’ pessimistischer Schilderung der Umstände in den USA ist, dass Weggehen eine Option sein kann. Seine Frau, sagt er, habe bereits vor zehn Jahren vorgeschlagen nach Paris zu ziehen. Er selbst besaß damals noch nicht einmal einen Reisepass. Ein paar Jahre später ergab sich die Möglichkeit zu einem Besuch – und er war überwältigt von der Freiheit und der Abwesenheit von Angst, die er mit einem Mal als „Fremder aus Amerika“ in Paris empfand. Zuerst verbrachte die Familie nur den Sommer hier, inzwischen erfolgte der Umzug. Hält das befreiende Gefühl wirklich an? „Ja, das tut es. Ich bin geradezu verliebt in das Leben hier. Ich mag die Distanz. Sie hilft mir. Es ist für mich interessant, einmal nur als Amerikaner gesehen zu werden.“

James Baldwin, ebenfalls ein Exilant in Paris, musste dieselbe Distanz gewinnen, um zu einem tieferen Verständnis seiner Heimat zu gelangen. Coates hat in Paris lediglich die letzten Korrekturen für sein Buch vorgenommen, aber hat diese Parallele vielleicht den Reiz der Stadt verstärkt? „Das hat sie und es ist hilfreich“, sagt Coates. „Ethnizität hat zu Hause einen viel raueren Kontext. Ich sage nicht, dass es hier oder in London oder wo auch immer keinen Rassismus gibt, doch der Rassismus in Amerika ist extrem sexualisiert. Ich bin noch nicht ganz dahintergekommen, aber ich denke, dass die Art, wie die Menschen nach Amerika gekommen sind und schon während der Überfahrt Opfer sexueller Gewalt wurden, nachhaltig beeinflusst, wie Schwarze gesehen werden. Mit Einwanderern ist das nicht zu vergleichen, mit Menschen, die zufällig anderswo herkommen. Es gab keine Vereinigten Staaten vor der Sklaverei, Amerika hat keine Vergangenheit, in der es keine Schwarzen gab.“

Sein selbstgewähltes Pariser Exil hat womöglich auch den Vorteil, dass es ihn etwas aus dem Fokus der Aufmerksamkeit zieht, die sein Buch ihm bis hoch ins Weiße Haus eingebracht hat. Coates war dort mehrmals eingeladen, um dem Präsidenten seine Ansichten zu erläutern. Er hat Obama scharf dafür kritisiert, dass er sich nicht entschieden genug zum Problem des Rassismus geäußert habe. Bei seinem letzten Besuch im Weißen Haus nahm Obama ihn nur kurz für drei Worte zur Seite: „Verzweifeln Sie nicht.“ Coates versucht es, er vertraut darauf, dass Schreiben etwas verändern kann. Er führt die Themen seines Buchs in einem Blog fort und schreibt weiterhin für The Atlantic. Er sagt, er habe sein Buch geschrieben, weil er es in Anbetracht der Nachrichten des vergangenen Jahres einfach nicht nicht schreiben konnte.

Coates scheibt wuchtig und expressiv, er mag Atheist sein, doch er intoniert den Tonfall der großen religiösen Prediger ebenso wie die Stimmen seiner literarischen Helden, Baldwin und Richard Wright. Beidem mischt er noch etwas vom Erfindungsreichtum des Hiphop bei, mit dem er aufgewachsen ist. Diese Sprache verlangt beinahe, laut gelesen zu werden. War das geplant? „Ich habe nicht als Journalist angefangen, sondern als Dichter. Ich wollte Lyrik machen. Alle ziehen ja den Vergleich mit James Baldwin. Aber es geht nicht nur um den Inhalt. Baldwin hat verstanden, wenn man etwas Bedeutendes über die Welt sagen will, dann sollte man versuchen, es schön zu sagen oder wahrhaftig. Ich war von der Herausforderung fasziniert, jemanden dazu zu bringen, das, was ich schreibe, sprichwörtlich zu empfinden.“ Leicht sei ihm das nicht gefallen: „Ich habe drei komplette Entwürfe geschrieben. Die ersten waren viel blumiger. Die Schwierigkeit war, mehr mit weniger Worten zu sagen.“

Die erste Literatur, die er studierte, sei Hiphop gewesen, sagt Ta-Nehisi Coates. „Als ich zum ersten Mal Shakespeare las, verliebte ich mich in Macbeth. In einer Szene spricht Macbeth mit den Mördern und versucht sie dazu zu überreden, Banquo zu töten. Für mich hörte sich das an, wie ein Rapper sein Leben beschreiben würde. ‚Ich bin so niedergeschlagen, dass mir alles egal ist. Los, macht schon!‘ Genau das ist die Botschaft im Hiphop. Als mir das klar wurde, habe ich auch verstanden, dass in dieser Verzweiflung etwas zutiefst Menschliches liegt, das alle Zeiten überdauert.“

Die Lügen verstehen

Dieses Gefühl zu artikulieren, ist in gewisser Weise die einzige Hoffnung, die er Samori in seinem Brief anbietet. Die Notwendigkeit, das Wesen des Konflikts und die Lügen zu verstehen und dies auch ausdrücken zu können. Hatte das Buch für ihn einen kathartischen Effekt? „Ich weiß nicht. Ich fühle mich besser, seit ich es aufgeschrieben habe. Ich wollte es nicht mit mir herumschleppen.“

Ta-Nehisi Coates ist ein warmherziger, entspannter Gesprächspartner, er sprüht vor intellektueller Energie, in seinem Buch aber sucht man vergebens nach Trost, Lösungsvorschlägen oder irgendetwas Positivem. Es predigt ein Evangelium brutaler Wahrheiten über den Rassismus. Er sieht keine Veränderungen kommen, zumindest solange Amerika die Tatsachen seiner Geschichte nicht anerkennt. „Ich bin Schriftsteller. Ich muss keine Hoffnung haben. Das hier ist Literatur. Ich muss nicht behaupten, dass wir in fünf Jahren einen Wendepunkt erreichen werden. Ich muss nicht nach Erlösung suchen.“ Aber ist das Bedürfnis nach Erlösung und Optimismus nicht gerade in den USA ausgesprochen groß? „Ja, und ich halte das für äußerst schädlich für uns alle. Wenn all deine Filme und all deine Geschichten immer nur damit enden, dass das Gute gewinnt, dann ist deine Kultur in Bezug auf die Welt nicht ehrlich. Mein Job besteht darin, nach draußen zu blicken und zu sehen, was ich sehe und so aufrichtig zu sein, wie ich kann.“

Info

Between the World and Me Ta-Nehisi Coates Spiegel & Grau 2015, auf Englisch, 176 S., 18,95 €

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Übersetzung : Holger Hutt
Geschrieben von

Tim Adams | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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