Umweltminister Peter Altmaier gilt als Politiker ohne Berührungsängste. Aber diese Ankündigung verwunderte dann doch: Der CDU-Mann will Genosse werden. Nicht Sozialdemokrat, bewahre, aber Genosse einer jungen Frau, die jüngst in Maybrit Illners Polit-Talk neben ihm saß. Dezentes Nasenpiercing, wuselig zusammengestecktes Haar, knapper Jeansrock über grünen Leggings – so hatte die 27-Jährige dem Fernsehpublikum gerade mal kurz erklärt, wie sie die Macht eines Energieriesen knacken will.
Wenn Ende 2014 die Konzession für das Berliner Stromnetz ausläuft, dann will sie mit einer Genossenschaft aus Bürgern dem Vattenfall-Konzern dieses Stromnetz abkaufen. „Bin ich dabei!“, verkündete der Umweltminister spontan. Fei
ontan. Feine Sache!, lobte der Rest der angegrauten Männer-Talkrunde.Bingo für Luise Neumann-Cosel. Die langjährige Anti-Atom-Aktivistin ist sachkundig, charmant, erfrischend klar und engagiert – und will nun mit einem Positivprojekt die etwas ausgelutschte Debatte über die Energiewende aufpeppen. Ihr Plan: Bürger kaufen sich als Anteilseigner einer Stromnetz-Genossenschaft eine Lebensader öffentlicher Daseinsvorsorge zurück – und können damit nicht nur Politik, sondern auch Geld machen.35.000 Kilometer StromleitungenIn der Schwarzwaldgemeinde Schönau haben örtliche „Stromrebellen“ vorgemacht, dass es geht. Aber Berlin ist eine andere Liga: 35.000 Kilometer Leitungen, komplizierte Infrastruktur, elementare Versorgung für 3,5 Millionen Menschen, geschätzter Netzpreis: zwischen 500 Millionen und 4 Milliarden Euro, die Angaben variieren je nach Interesse des Befragten.Wer solch ein Netz aus dem Nichts übernehmen will, muss sehr überzeugt oder größenwahnsinnig sein. „Klar“, sagt Luise Neumann-Cosel und lacht. „Aber so eine Chance wie jetzt in Berlin bekommen wir die nächsten Jahre nie wieder.“ Im Jahr 2011 machte sie sich deshalb mit einer Handvoll Mitstreitern ans Werk, gründete die BürgerEnergieBerlin-Genossenschaft und übernahm einen der beiden Vorstandsposten des Vattenfall-Herausforderers. Seitdem organisiert Neumann-Cosel den Genossenschaftsbetrieb mit einem Team aus ehrenamtlichen Helfern – und das erstaunlich professionell. „Ich habe gelernt, wenn man sich ein Ziel steckt und einfach anfängt, verlieren auch die größenwahnsinnigsten Projekte ihren Schrecken.“Sie ist Aktivistin, WeltbewegerinMit 16 Jahren schleppt eine Freundin sie mit zu den Castor-Protesten nach Gorleben. Die Erfahrungen im Wendland lassen sie seitdem nicht mehr los. Neumann-Cosel studiert Geoökologie, fuchst sich in die Grundlagen von Umwelt- und Klimaschutz ein und merkt nach dem Diplom: „Forschung ist nicht so mein Ding.“ Sie ist Aktivistin, Weltbewegerin. Und sie hat das Talent zur Sympathiefischerin für politische Projekte.Im Jahr 2009 wird sie Pressesprecherin des atomkraftkritischen Netzwerks Ausgestrahlt und der Anti-Castor-Kampagne X-tausendmal quer. Sie lernt das Handwerk der Kampagnenorganisation und entdeckt, wie man mit cleverer Strategie politischen Druck erzeugen kann. Mit Anfang 20 wächst sie zur Repräsentantin einer jungen Anti-AKW-Generation heran, die sich ihren Platz neben den graubärtigen Protest-Recken erkämpft.Bei der Großdemo gegen die schwarz-gelbe Reaktorlaufzeitverlängerung im Jahr 2010 steht Neumann-Cosel auf der Bühne. „Hallo, ich bin Luise“, beginnt sie vor mehr als 100.000 Leuten ihre Rede, und dann geht sie mit der „verehrten Regierung“ und der „lieben Atomlobby“ ins Gericht. Ein Jahr später, kurz nach Fukushima, steht sie vorm Brandenburger Tor wieder vor Massenpublikum – und redet so selbstverständlich und selbstbewusst, als habe sie nie etwas anderes gemacht, als einer Bundeskanzlerin zu bescheiden: „Frau Merkel, das war’s. Die Atompolitik ist am Ende.“ Tags darauf schwärmt selbst Springers Welt: „Ihre scheinbar naiven kämpferischen Reden haben Neumann-Cosel zum Star der Anti-AKW-Bewegung gemacht“.Knapp fünf Millionen Euro sind zusammenDoch während das Gros der Anti-AKW-Bewegung nach Merkels „Atomausstieg“ die Beine hochgelegt hat, will Luise Neumann-Cosel mit einer Energiewende von unten weiter mitmischen. Der Schritt von der Gorleben-Aktivistin zur Vorstandsmanagerin der Berliner Netzkaufgenossenschaft ist für sie nur logische Konsequenz. „Die Frage ist doch, wie und von wem wird die Energiewende gestaltet? Von den Konzernen oder den Bürgern?“Am Wochenende will sie auf einem „Netzgipfel“, den sie mit ihrer Genossenschaft organisierte, genau diese Frage mit Fachleuten und Bürgern diskutieren. Was Neumann-Cosel dabei nicht laut sagen wird: Die Idee zum Netzkauf finden zwar ganz viele ganz klasse. Doch zwischen Wort und Tat liegen Lichtjahre.Rund tausend geldinvestierende Mitglieder und Treugeber hat die BürgerEnergieGenossenschaft bisher. Nicht schlecht, aber dürftig für eine Millionenstadt, in der fast jeder Fünfte die Grünen wählt. Knapp fünf Millionen Euro sind bisher für den Netzkauf zusammen. Eine stolze Summe, aber für eine Chance auf den Erhalt der Netzkonzession bräuchte die Genossenschaft das 30-Fache.Wenn sich die Hauptstadt also als zu groß und zu anonym erweist für die Genossenschaftsidee? Wenn das Stromnetz doch an einen anderen geht? „Dann“, sagt Luise Neumann-Cosel, „werden sicher viele enttäuscht sein.“ Sie selbst auch, klar. „Aber dann haben wir immerhin eine wichtige Debatte angestoßen und andere ermutigt, das in ihrer Stadt zu probieren.“ Und dann sagt sie das Wort, was sie gerne nutzt, wenn es ausnahmsweise mal nicht so richtig weitergeht: „Genau!“