Die Stunde des Parlaments

Großbritannien Die britische Regierung darf die Brexit-Verhandlungen nur mit Zustimmung des Parlaments aufnehmen. Das Urteil des Supreme Court ist ein Sieg für die Demokratie
Ausgabe 04/2017
Aus Theresa Mays Schnellrezeptur wird erst mal nichts
Aus Theresa Mays Schnellrezeptur wird erst mal nichts

Foto: Daniel Leal-Olivas/AFP/Getty Images

Theresa May hat verloren, der Supreme Court hat mit einer klaren Mehrheit von acht zu drei gegen sie entschieden: Ohne ein formelles Gesetz, einen Act of Parliament, über den in beiden Häusern debattiert und abgestimmt wird, gibt es keinen Brexit. Der Versuch, das Parlament und seine europafreundlichen Abgeordneten zu umgehen, ist gescheitert. Das ist ein Sieg für die parlamentarische Demokratie in Großbritannien, ein Sieg für alle, die unter Demokratie noch immer etwas anderes verstehen als die Herrschaft von lautstarken Minderheiten (knapp 37 Prozent des Wahlvolks beim Referendum im Juni) und ihren Sprachrohren. Es ist ein Sieg für die britischen Patrioten, die die Herrschaft des Gesetzes und die Souveränität des Parlaments, die Säulen der ungeschriebenen britischen Verfassung, höher achten als den Ausgang eines Referendums von zweifelhafter demokratischer Qualität.

Entschieden haben die elf Richter des Supreme Court allein über das Verfahren, das Ob und Wie eines Brexit stand nicht zur Debatte. Das Wort hat jetzt wieder das britische Parlament. Im Prinzip könnten das Unter- und das Oberhaus den Brexit stoppen, mit einfacher Mehrheit. Oder sie könnten May zwingen, ein Konzept vorzulegen, das diesen Namen verdient. In der Vorwoche hat sie endlich Farbe bekannt: Ausstieg aus dem gemeinsamen Markt und aus der Zollunion, um die Freizügigkeit für EU-Bürger zu beenden. Freihandel mit der EU ja, aber nur selektiv, wo und wie es den Briten gefällt. Sollte die EU nicht spuren, bekommt sie ein Riesensteuerparadies direkt vor die Nase gesetzt. Die Begeisterung über diesen schönen Plan hielt sich auf der Insel wie auf dem Kontinent in Grenzen.

Mays Versprechen, das Parlament dürfe ganz am Schluss über den mit der EU ausgehandelten Deal abstimmen, machte wenig Eindruck. Welche Wahl hätten die Abgeordneten, wenn am Ende der zweijährigen Verhandlungsfrist nur die Alternative bliebe zwischen einem harten Brexit, den sie nicht wollen, und einem chaotischen Ausstieg ohne jedes Abkommen, den sie noch weniger wollen?

Nun wird May sich die fortlaufende parlamentarische Kontrolle ihrer Verhandlungskünste in Sachen Brexit gefallen lassen müssen. Erspart geblieben sind ihr lediglich die Mitsprache und das Veto des nordirischen, schottischen und walisischen Regionalparlaments. Die wollte der Supreme Court aus rein formalen Gründen nicht zulassen. Den Widerstand der Nordiren, der Schotten und vieler Waliser gegen den Brexit wird das eher befeuern.

Um die Verhandlungen über den Brexit mit der EU zu beginnen, muss May ein entsprechendes Gesetz durchbringen. Jede Opposition, die diesen Namen verdient, wird ihr möglichst viele Hindernisse in den Weg legen. Eine wachsende Zahl von Labour-Abgeordneten hat angekündigt, gegen das Brexit-Gesetz stimmen zu wollen, Liberaldemokraten, Grüne und schottische Nationalisten werden ebenfalls mit Nein stimmen. Im Oberhaus, wo die Tories keine Mehrheit haben, ist eine breite Ablehnungsfront gegen den Brexit denkbar. Leider hat May von der Labour-Opposition aber wenig zu befürchten. Jeremy Corbyn ist ein guter Versammlungsredner vor Gleichgesinnten, ein Stratege und Oppositionsführer ist er nicht. Bereits im Vorfeld hat er erklärt, Labour werde nicht mit Nein stimmen. Niemand dürfe es wagen, dem vermeintlichen „Willen des Volkes“ zu widersprechen. Durch diesen in allen Despotien beliebten Irrglauben ist Labour mit Corbyn auf die Nase gefallen.

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