Mit einem Lebenswerk von mehr als vierzig Romanen, Kurzgeschichten, Novellen, Artikeln und Drehbüchern gilt der am 11. Dezember 1911 in Kairo geborene Nagib Machfus als einer der produktivsten und bedeutendsten Autoren der Gegenwart. Viele seiner Romane wurden in Ägypten verfilmt und damit auch einem des Lesens unkundigen Publikum zugänglich gemacht. Auch wenn Nagib Machfus oft in einem Atemzug mit den großen Romanciers Dostojewski, Balzac und Thomas Mann genannt wird (Newsweek bezeichnete ihn als einen "Dickens des Kairoer Kaffeehauses"), so nahm man ihn im Westen in seiner Bandbreite doch erst wahr, nachdem er 1988 als bislang einziger arabischer Autor den Nobelpreis für Literatur erhalten hatte. Am 30. August 2006 starb der seit langem fast erblindete Nagib Mach
Nagib Machfus im Alter von 94 Jahren in Kairo; nach einem Sturz konnte er sich nicht mehr erholen.Nagib Machfus, der von 1930 bis 1934 in Kairo Philosophie studierte und anschließend bis 1971 als Beamter an der Universität, im Ministerium für "Religiöse Stiftungen" und im Bildungsministerium tätig war, hinterlässt ein vielseitiges und vielschichtiges Werk. Er wuchs im Kairoer Altstadtviertel Gamalija auf, zog im Alter von zwölf Jahren ins modernere Abbassija und nach seiner Heirat 1954 nach Agusa um. Angeblich hat er, von Abstechern nach Alexandria und zwei unfreiwilligen Auslandsreisen abgesehen, Kairo nie verlassen. Somit war es die, seine Kindheit prägende Altstadt, die mit ihrem Gewirr aus Straßen und Gässchen, Läden und Cafés sowie den Menschen aller Bevölkerungsschichten zum Hauptschauplatz seines Werks wurde. Auch das Milieu der (kleinen) Beamten und Angestellten, mit denen er im Beruf Tag für Tag in Kontakt kam, prägte ihn sehr.Die ersten drei Romane, die von 1939 bis 1944 erschienen, sind noch in der Zeit der Pharaonen angesiedelt, ein Schachzug, einerseits mit der Rückbesinnung auf die große ägyptische Vergangenheit die neu erwachende nationale Identität zu stärken, andererseits aber die Zensur zu umgehen. Doch schon bald wandte er sich dem Kairoer Alltag der Gegenwart zu. Erste Erfolge konnte er mit den Romanen Die Midaq-Gasse und Anfang und Ende verbuchen. Der endgültige Durchbruch gelang ihm mit der breit angelegten Kairoer Trilogie, die die Romane Zwischen den Palästen, Palast der Sehnsucht und Zuckergässchen umfasst. Über drei Generationen hinweg verfolgt die Trilogie die Entwicklung einer Kaufmannsfamilie und setzt sich dabei intensiv mit den gesellschaftlichen Veränderungen auseinander, die Ägypten durch die Modernisierung und den Kontakt mit dem Westen erfuhr. Für dieses Opus Magnum erhielt Machfus schon früh den ägyptischen Staatspreis für Literatur.Der nächste Roman, Die Kinder unseres Viertels erfuhr eine nahezu gegenteilige Reaktion. Er wurde 1959 zunächst als Serie in der ägyptischen Zeitung Al-Ahram gedruckt, konnte aber erst acht Jahre später in Beirut in Buchform erscheinen: Konservative islamistische Kreise hatten ihm Gotteslästerung vorgeworfen und eine Veröffentlichung verhindert, weil einige der Personen die Züge Moses, Jesu und Mohammeds tragen. Als Nagib Machfus mehr als zwanzig Jahre später den Nobelpreis für Literatur erhielt, gab immer noch dieser Roman den fundamentalistischen Muslimen Anlass, eine Fatwa über ihn zu verhängen. Den Gipfel des religiösen Fanatismus bekam er 1994 zu spüren, als er bei einem Attentat schwer verletzt wurde. Noch heute ist Die Kinder unseres Viertels in vielen arabischen Staaten verboten.Nach dieser Enttäuschung in den Sechzigern folgte eine Phase der Desillusionierung, in der Machfus sich verstärkt neuen Erzählmethoden zuwandte. Der lineare Handlungsverlauf mit auktorialem Erzähler, der sein früheres Werk kennzeichnete, macht einem von Träumen, Visionen und inneren Monologen geprägtem Stil Platz. Hauptwerke dieser Zeit sind die Romane Miramar, Der Rausch und Der Dieb und die Hunde, die in den sechziger Jahren entstanden. Machfus webt die Alltagspolitik in seine Romane ein und lässt die Figuren seines Werks zu Symbolen für die verschiedenen Klassen, Milieus und Generationen, für Karrierismus, Prestige, Macht und Duckmäusertum auf der einen, Enttäuschung und Rebellion auf der anderen Seite werden.Nach seiner Pensionierung 1971 konnte sich Nagib Machfus noch mehr als zuvor dem Schreiben widmen und seinen Stil erweitern. Die islamische Mystik, klassische Reiseliteratur und das Mittel der politischen Allegorie fanden Einzug in sein Werk. Für den Roman Die Reisen des Ibn Fattuma etwa, der 1983 erschien, standen der arabische Reisende Ibn Battuta wie auch der in der Tradition Platons stehende politische Denker al-Farabi Pate. Auch wer nach der Summe von Machfus´ Ethik sucht, wird hier fündig. Ibn Fattuma reist durch mehrere fiktive Länder, hinter denen sich nur teils existierende Gesellschaftsordnungen verbergen: Vom gemäßigten islamischen Staat über die liberale kapitalistische Demokratie bis hin zum Land der sinnenfrohen Nihilisten lässt Machfus keine Möglichkeit aus. In Der letzte Tag des Präsidenten, einem Roman, der sich mit der Ermordung Sadats auseinander setzt, wird Machfus´ Gesellschaftskritik deutlicher. Zwar unterstützte er Sadats offene und positive Haltung zu Israel. Der Hinwendung zur kapitalistischen Marktwirtschaft stand er jedoch skeptisch gegenüber. Sie ist es denn auch, die dem Glück der Hauptpersonen dieses Romans im Wege steht.Jahre lang hatte Machfus auch die eigenen Träume aufgezeichnet und ein Jahr vor seinem Tod in Buchform herausgebracht. Wie ein Großteil seiner Romane und Erzählungen, wird auch Träume, ein sehr persönliches Werk, auf Deutsch erscheinen. 2007 ist es soweit.Nagib Machfus hat nicht nur mit seinem Werk die ägyptische und arabische Literatur beeinflusst, sondern auch viele junge Schriftstellerinnen und Schriftsteller ermutigt, ihren Weg weiter zu verfolgen. Mit seinem Tod geht der Weltliteratur eine große Schriftstellerpersönlichkeit verloren, die im eigenen Werk ebenso weiterleben wird wie im Schaffen der nachfolgenden Generationen - in Ägypten, der arabischen Welt und vielleicht auch darüber hinaus.
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