Die trojanische Zahl

Datenschutz Ein gefährlicher Vorstoß: Soll jeder Deutsche eine einheitliche Personenkennziffer bekommen?
Ausgabe 36/2020

Horst Seehofer will eine zentrale Kennzahl für jeden Einwohner des Landes einführen. Dafür möchte das von ihm geführte Bundesinnenministerium die bereits existierende steuerliche Identifikationsnummer (Steuer-ID) nutzen. So würde es technisch möglich, mehr als 50 unterschiedliche staatliche Datenbanken und Register miteinander zu verknüpfen. Wer diese Daten zusammenführt, erhält ein sehr genaues Bild über die Lebensumstände eines Menschen.

Nun hat Deutschland aber eine föderale Registerstruktur: Beim kommunalen Melderegister liegt die Wohnadresse, beim Fahrerlaubnisregister des Bundes der Führerschein, es gibt Register für Krankenkassen, für Privatpilotenlizenzen, Insolvenzen, Familienkassen, Jugendstrafen, Renten und Arbeitslose. Diese Register werden dezentral geführt, was gut für den Datenschutz ist, aber die Digitalisierung der Verwaltung erschwert. Natürlich geht das auch zulasten der Bürger:innen, die immer noch vor Ort in verschiedenen Ämtern Urkunden und Belege vorweisen müssen, anstatt ihre Daten online verwalten zu können.

Hier will das „Registermodernisierungsgesetz“, dessen Entwurf netzpolitik.org jüngst veröffentlicht hat, ansetzen und die digitalen Grundlagen einer modernen Verwaltung schaffen. Das ist prinzipiell eine gute Idee. Doch was sich im Detail im Gesetz mit dem sperrigen Namen versteckt, ist verfassungsrechtlich mehr als problematisch: die Einführung einer einheitlichen Personenkennzahl.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich mehrmals gegen eine solche identifizierende individuelle Nummer ausgesprochen – unter anderem im Volkszählungsurteil von 1983, welches das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung begründete. Die Sorge des Gerichts: Anhand einer zentralen Nummer könnte der Staat sehr einfach Daten zusammenführen und Profile über seine Bürger:innen erstellen.

Ausweitung vorprogrammiert

Dieses Rechtsverständnis ist auch der deutschen Geschichte geschuldet: Die Nationalsozialisten ermordeten Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten in Registern und Verzeichnissen erfassten Gruppen. Das Missbrauchspotenzial staatlicher Datenbanken zeigt sich aber auch heute, wenn Polizist:innen Informationen aus dienstlichen Datenbanken abgreifen, um damit Nachbarn oder Prominente zu durchleuchten oder gar rassistische Drohbriefe wie jene des NSU 2.0 zu versenden. Klar ist: Je einfacher die Daten von Bürger:innen abgefragt und zusammengeführt werden können, desto größer ist das Risiko und der Schaden eines Missbrauchs.

Als einheitliche Personenkennzahl will die Bundesregierung nun die Steuer-ID nutzen. Sie ist die erste und einzige lebenslange Nummer, die jeder Mensch bekommt, der in Deutschland geboren wird oder steuerpflichtig ist. Schon bei der Einführung der Steuer-ID im Jahr 2007 ahnten Datenschützer:innen, was spätere Regierungen damit anstellen würden, und warnten davor, doch der damalige SPD-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück wischte die Kritik als konstruierten „Erregungszustand in der Sommerpause“ beiseite. Es gebe keine Sammelwut, sagten andere Vertreter der damaligen Großen Koalition. 13 Jahre später zeigt sich, dass die mahnenden Stimmen recht behalten sollten.

In der Überwachungsforschung nennt man das „Function Creep“: Einmal eingeführte technische Möglichkeiten haben die Eigenschaft, ihre Funktionen schleichend zu erweitern, weil sich in der Praxis immer neue Anwendungsmöglichkeiten finden. Gleichzeitig wird der politische Widerstand dagegen kleiner, weil sich die Bevölkerung schon an den ersten Schritt gewöhnt hat.

Nach dieser Theorie ist davon auszugehen, dass der nächste logische Schritt nach der Einführung einer zentralen Nummer die Zusammenführung der Daten selbst ist. Das streitet das Innenministerium ab: So etwas sei nicht geplant. Und es stehe auch nicht im Gesetzentwurf.

Dennoch deutet sich in diesem die Ausweitung schon an: So weist der Referentenentwurf gleich mehrfach darauf hin, dass mit der Identifikationsnummer registergestützt alle Daten für den Zensus, also die Volkszählung, „ermittelt“ werden können. Erleichtern wird das Gesetz auch die schon heute weitgehende amtliche Überprüfung von Erwerbslosen und Sozialhilfe-Empfänger:innen. Keine gesellschaftliche Gruppe außer Ausländern und Geflüchteten muss vor dem Staat derart viele Daten über sich vorlegen.

Für die Ausweitung des staatlichen Datenhungers kann die Geschichte der Steuer-ID als beispielhaft gelten: Von ihrer Einführung bei gleichzeitiger Abstreitung ihrer Nutzung als individuelle Personenkennzahl vergingen nur 13 Jahre bis zum Eintreten des Gegenteils durch das Gesetz der Registermodernisierung. Es ist also zu befürchten, dass die Zentralisierung und Zusammenführung von Daten weiter zunehmen wird – auch wenn heute das Gegenteil behauptet wird.

Dabei liegt ein datenschutzfreundlicheres Modell auf dem Tisch. In Österreich gibt es seit Jahren bereichsspezifische Personenkennziffern, die jeweils immer nur eine Behörde nutzen kann. Ein solches Modell verhindert technisch den Missbrauch und erschwert die Zusammenführung der Daten. Das Modell aus dem Nachbarland könnte die verfassungsmäßigen Bedenken mindestens lindern, wenn nicht gar ausräumen. Dem Bundesinnenministerium ist diese Alternative seit Jahren bekannt. Doch dort hält man es für zu teuer und zu komplex. Es brauche doppelt so lange, dieses System einzuführen, heißt es im Gesetzentwurf.

In einer gemeinsamen Entschließung haben sich vergangene Woche alle Datenschutzbehörden aus Bund und Ländern gegen eine einheitliche Personenkennzahl gestellt. Sie halten den jetzigen Entwurf für verfassungswidrig. Die Steuer-ID sei nur verfassungskonform, weil sie ausschließlich für die Steuer benutzt werden dürfe. Auch sie weisen auf das Modell der bereichsspezifischen Kennziffern hin. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber mahnte eine Änderung des Entwurfes an, damit „uns nicht wieder erst das Bundesverfassungsgericht vor einem zu neugierigen Staat schützen muss“.

Noch ist das Gesetz ein Referentenentwurf, der erst dem Bundeskabinett vorgelegt wird, bevor er ins Parlament kommt. Änderungen sind möglich, doch dazu muss der politische Druck zunehmen.

Markus Reuter ist Redakteur bei netzpolitik.org und schreibt über Datenschutz, Grund- und Freiheitsrechte sowie soziale Bewegungen

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