Die TV-Siegerinnen der Herrenfußball-EM

Medien Bei der Beurteilung weiblicher Fußball-Kommentatorinnen geht es immer noch ruppig und auch sexistisch zu
Ausgabe 27/2021
Die ARD-Moderatorin Jessy Wellmer und einer ihrer Kollegen
Die ARD-Moderatorin Jessy Wellmer und einer ihrer Kollegen

Foto: Moritz Müller/IMAGO

Wenn dieser Tage die Fußball-EM zu Ende geht, wird noch einmal abgerechnet. Eines ist sowieso klar: Die deutsche Mannschaft hat’s nicht gebracht. Spannender ist da schon die Nachbetrachtung der Berichterstattung über das Event. War hier wirklich alles so schlecht, wie die zig Shitstorms gegen Moderator*innen, Expert*innen und Kommentator*innen vermuten lassen?

Es verging ja kaum ein Tag, an dem dem Personal von ARD und ZDF nicht grenzenlose Ahnungslosigkeit oder ein unpassender Tonfall bei der Kommentierung eines Kicks vorgeworfen wurde. Immerhin lässt sich sagen: Im Großen und Ganzen bekamen die weiblichen und männlichen Sachverständigen ähnlich stark ihr Fett weg. Die können es alle nicht, egal, ob Mann oder Frau. Das ist doch fast ein Fortschritt im Vergleich zu Zeiten, wo nur eine Frau auf der Bildfläche erscheinen musste und sofort gebrüllt wurde: Was will die denn beim Fußball der Männer?!

Als allerdings beim ZDF mit Claudia Neumann als Kommentatorin und Fußball-Weltmeisterin Ariane Hingst als Expertin ein Frauen-Tandem den Bildschirm übernahm, explodierten in den sozialen Medien die Hasskommentare. Immerhin, das Social-Media-Team des ZDF parierte souverän. Beim differenzierteren Blick lässt sich also feststellen: Bei der Beurteilung weiblicher TV-Expertinnen geht es immer noch ruppiger und auch sexistisch zu. Seit fünf Jahren ist Neumann als Live-Kommentatorin bei internationalen Männerturnieren im Einsatz. Sobald sie hörbar emotional ein Strafraumgeschehen begleitet, twittern sich manche die Finger wund, kaprizieren sich auf ihre Stimme (von „zu schrill“ bis „zu tief“ ist alles dabei) und schreiben, diese Frau nie wieder im Fernsehen sehen zu wollen. Die Kritik an ihren männlichen Kollegen fällt da schon sachbezogener aus. Tom Bartels etwa musste sich nicht anhören, er verfüge über keinen fußballerischen Sachverstand, sondern nur, beim Sieg der dänischen Mannschaft über die aus Russland zu sehr den Dänen die Daumen gedrückt zu haben.

Abgesehen davon wurde geschlechtermäßig einigermaßen paritätisch über jeden und jede hergezogen. Bei der Hitliste der schlimmsten Expert*innen führt der eigentlich grundsymphatische Bastian Schweinsteiger, der aber auch wirklich keinen einzigen Gedanken zum gerade gesehenen Fußballspiel formulieren konnte, den man nicht auch als größter Laie selbst gehabt haben könnte. Unisono Lob bekam hingegen die ARD-Expertin Almuth Schult, selbst die Bild fand am TV-Auftritt der Torhüterin des VfL Wolfsburg nichts zu mäkeln. Verliererin bei den Moderator*innen dagegen: Jessy Wellmer. Auch ihre männlichen Kollegen neigen zur Kumpelei und wirken bei „Field“-Interviews nicht immer top vorbereitet. Aber ihre Frage „Ende gut, alles gut?” an einen sichtbar konsternierten Bundestrainer Jogi Löw direkt nach der Niederlage gegen England, die zugleich das Ende seiner Amtszeit bedeutete, ist schon jetzt historisch.

Alles in allem also: Bei der Berichterstattung wurde ein Unentschieden zwischen Männern und Frauen erspielt. Da es das bei einem Turnier im K.-o.-Modus jedoch nicht geben kann, muss die Entscheidung in der Verlängerung, oder wenn man so will, im medialen Elfmeterschießen fallen. Dafür bietet sich der ARD-Sportschau-Club an, der dem Fernsehpublikum bestens dabei half, nach den Spielen langsam wegzudämmern. Micky Beisenherz und Esther Sedlaczek empfingen hier Gäste aller Art und talkten über Nichtigkeiten. Während Beisenherz keinen seiner flachen Scherze vortragen konnte, ohne vorher angestrengt auf seinen Zettel blicken zu müssen, moderierte Sedlaczek vergleichsweise locker alles weg. Fazit somit: ein knapper Sieg für die Fernseh-Frauen.

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