Die Tyrannei der Inhalte

Literatur Afrikanische Schriftsteller sollten nicht zur Eintönigkeit verurteilt sein, fordert unser nigerianischer Autor
Ausgabe 03/2015

Wer, wie wir, in einer unruhigen Gegenwart lebt, erwartet von seinen Schriftstellern, dass sie die Stimmung der Zeit einfangen. Der entscheidende Faktor dabei ist die Freiheit. Ohne sie kann keine Literatur zu voller Größe auflaufen, ihre Aufgabe erfüllen. Und die erste Freiheit ist die Freiheit des Geistes. Jemand kann sich physisch frei in der Welt bewegen – aber in seinem Denken nichtsdestotrotz unfrei sein.

Von schwarzen und afrikanischen Autoren wird oft etwas anderes erwartet als eine wirkliche Freiheit im Denken. Ihnen wird oft nur dann Bedeutung zugemessen, wenn sie über Sklaverei, Kolonialismus, Armut, Bürgerkriege, Vaginalbeschneidung und andere Themen schreiben, die in der Vorstellung des (weißen) Rests der Welt die Probleme Afrikas widerspiegeln. Ja, diese Autoren werden über genau solche, „ihre“ Themen definiert.

Ben Okri, geboren 1959 in Minna, hat knapp 20 Romane und Lyrikbände veröffentlicht

Das verleiht ihrer Literatur zwar durchaus Gewicht – verurteilt sie aber auch zur Eintönigkeit. Wer will schon ständig nur von Leid und Not lesen? Diejenigen, die sie erfahren, sicherlich nicht. Vielleicht ergötzen sich die Menschen, denen solches Leid fremd ist, gelegentlich an dieser Art Literatur. Doch die Tyrannei der Inhalte kann leicht dazu führen, dass ein verzerrtes und beschränktes Bild entsteht.

Die größten Kurzgeschichten haben, auch wenn es paradox erscheint, in der Regel keine besonders gewichtigen Themen zum Inhalt. Entscheidend an ihnen ist nicht ihr Sujet, sondern ihre Form. Große Literatur ist fast immer indirekt. Ein alles überstrahlendes, schwergewichtiges Thema – etwa Bürgerkriegsleid – verlangt jedoch danach, direkt behandelt zu werden. Es lässt der künstlerischen Gestaltung und der Vorstellungskraft wenig Raum.

Nicht schon wieder Krieg

So handelt James Joyce’ berühmter Text Die Toten vordergründig lediglich von einer Feier, die an einem Winterabend in einer Dubliner Wohnung stattfindet, Menschen reden, hören Musik, eine Frau erinnert sich an einen jungen Mann, der aus Liebe zu ihr gestorben ist. Es geht in der Geschichte nicht um die Große Hungersnot oder den irischen Nationalismus. Sondern um subjektive Erinnerungen und den Schnee, der auf Irland herabfällt. Das Bedeutende an jenem Text ist die Art und Weise, wie er geschrieben ist – wie Joyce darin Dinge indirekt zum Ausdruck bringt. Hätte er unmitelbar über die Große Hungersnot in Irland geschrieben, hätte er uns kein so dauerhaftes Kunstwerk hinterlassen wie Die Toten.

Allzu oft lassen wir uns von Inhalten blenden, weil wir das Gefühl für die Kunst verloren haben. Wenn ein Roman von der Sklaverei handelt, halten wir ihn automatisch für bedeutsam – für bedeutsamer als einen Roman über einen Mann, der zu viel trinkt. Die Geschichte Afrikas hat mit ihren Tragödien und Kriegen dazu geführt, dass schwarze Autoren als Sprecher für diese Missstände angesehen werden. Ihre Literatur ist engagierter als andere. Es kann aber auch dazu führen, dass sie nicht so abwechslungsreich und unterhaltsam ist und dann auch nicht so lange Bestand hat.

Es wird Zeit, dass schwarze und afrikanische Autoren sich von ihrer Fixierung auf den Inhalt lösen. Sie bringt ihnen kurzzeitig Erfolg, über kurz oder lang sinken ihre Werke dann aber im Ansehen. Während die Arbeiten anderer, die zunächst vielleicht nicht so viel Aufmerksamkeit erregten, längerfristig bewundert werden.

Noch einmal: Die erste Freiheit ist die Freiheit des Geistes. Wir müssen sie ergreifen, um zu schreiben, was wir wollen, mit all der Rätselhaftigkeit und dem Feuer der Kunst. Wir dürften uns von niemandem diktieren lassen, was wir zu schreiben haben. „Das Ziel der Kunst“, schrieb Aristoteles, „besteht nicht in der Darstellung der äußeren Erscheinung der Dinge, sondern ihrer inneren Bedeutung.“ Es ist die innere Bedeutung, die vom Geist der inneren Freiheit ausstrahlt.

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