Die Umkehrung eines Traums

Alltagskommentar Die Raumfahrt träumte immer vom "Sprung ins Weltall", von der Reise ins Unbekannte. Felix Baumgartners "Sprung aus dem Weltall" stellt diese Logik auf den Kopf
Felix Baumgartner auf dem Weg nach Hause
Felix Baumgartner auf dem Weg nach Hause

Foto: Jay Nemeth/AFP/Redbullcontentpool.com

Er ist ein Kind der Raumfahrt. Nicht nur sein Geburtsjahr 1969, das Jahr der ersten Mondlandung bezeugt dies, sondern auch sein unbedingter Wille nach Höchstleistungen zu streben. 43 Jahre nach Armstrongs Mondlandung will sich der Extremsportler Felix Baumgartner nun selbst in die Geschichte der Raumfahrt einschreiben. Mit seinem Fallschirmsprung aus einem Ballon in 39.000 Metern Höhe über der Wüste von Roswell, New Mexico, am 14. Oktober brach er gleich mehrere Rekorde.

Unter dem Titel "Sprung aus dem All“ wurde sein Stratosphären-Sprung von der Presse als Medienereignis inszeniert und live im Internet und im Fernsehen übertragen. Der offizielle Name „Red Bull Stratos“ verweist auf den Sponsor, der das Ganze finanziert hat. Obwohl die Hatz nach Rekorden dabei Baumgartner mit der Tradition der Raumfahrt verbindet, ist sein Sprung vom All auf die Erde letztlich aber deren Umkehrung.

Seit Juri Gagarin 1961 als erster Mensch im Weltraum die Erde umkreiste, war immer wieder vom "Sprung ins Weltall" zu lesen. Dieser Slogan schien die Träume der Raumfahrt verdichtet zusammenzufassen. Entdeckergeist, Neugier auf das Unbekannte, aber auch eine scheinbare Mühelosigkeit, die dann in Armstrongs "one small step" wiederkehrte, ließen sich unter dieser Chiffre versammeln. Die Expeditionen waren dabei immer eine Reise ins Unbekannte, ins Ungewisse, auch auf Kosten eines hohen Risikos, wie die Explosion der Challenger 1986 oder das Verglühen der Columbia 2003 zeigten.

Coming Home

Wie verhält es sich in diesem Kontext mit Baumgartners "Sprung aus dem All", der sich sprachlich nur durch eine kleine Wortänderung unterscheidet? Die Richtungsänderung aber ist fundamental: Entgegen des Aufbruchstopos der Raumfahrt, in immer neue und vor allem unerforschte Bereiche vorzudringen, will Baumgartner ausdem Unbekannten zurückkehren. Ziel ist die sichere Erde, das Vertraute und schon Entdeckte – emblematisch dafür steht sein letzter Kommentar unmittelbar vor dem Sprung: "I’m coming home."

Was hat es also zu bedeuten, wenn die Öffentlichkeit heute einem "Astronauten" zujubelt, der sich vom All auf die Erde stürzt? Wünschen wir uns nun auf den sprichwörtlichen Boden der Tatsachen zurückzukehren? Ist die Faszination des Unbekannten einer Rückbesinnung auf das bereits Gewisse gewichen? Schließlich ist die Raumfahrt immer auch eine Metapher für das Selbstverständnis ihrer Zeit gewesen.

Furcht vor dem Unbekannten

Die Überquerung von Grenzen und die Vermittlung zwischen Bekanntem und Fremdem sind nicht nur Teil romantischer Raumfahrerfantasien, sondern gehören auch zur politischen Logik der globalisierten Welt. Begreift man den Sprung als gesellschaftliche Metapher, so steht diese für eine Rückkehr zum Vertrauten und eine Furcht vor dem Unbekannten – "coming home" eben.

In einer Zeit, in der verschiedene Kulturen nicht nur in zunehmendem Kontakt stehen, sondern auch vermehrt in Konflikte geraten, erscheint dies eine schlechte Metapher für unsere Gegenwart zu sein.
Baumgartner hat sich mit seinem Sprung nicht auf etwas Neues eingelassen, sondern die Reißleine gezogen und damit die bestehenden Grenzen bestätigt. Rettungsschirm statt Risiko – irgendwie symptomatisch für unsere gegenwärtige Lage.

Patrick Kilian ist Historiker und beschäftigt sich im Rahmen seiner Promotion mit der Wissensgeschichte der Raumfahrt

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