Die Unabhängigkeit lockt

Großbritannien Schottland ist wohl wieder einmal auf dem Sprung
Ausgabe 17/2021
Die schottische Premierministerin Nicola Sturgeon
Die schottische Premierministerin Nicola Sturgeon

Foto: Russell Cheyne/Pool/AFP/Getty Images

Die Schottische Nationalpartei SNP dominiert seit Jahr und Tag ihren Teil Großbritanniens, gegenwärtig angeführt von Nicola Sturgeon, der überaus populären Ersten Ministerin, die in der Corona-Krise eine weit bessere Figur macht als Boris Johnson. Nur zwei Sitze fehlen ihr zur absoluten Mehrheit in Holyrood, dem Regionalparlament in Edinburgh. Bei der Regionalwahl am 6. Mai dürfte die SNP laut Umfragen eine knappe absolute Mehrheit einfahren und wieder die Regierung stellen, etwa 49 Prozent werden ihr zugetraut. Zwar hat die Partei unter dem Streit gelitten, der über Wochen öffentlich und vor Gericht zwischen Ex-SNP-Chef Alex Salmond und seiner politischen Ziehtochter Sturgeon tobte. Es gab etliche Blessuren, aber der von den Tories erhoffte irreversible Schaden für die SNP und die Unabhängigkeitsbewegung ist nicht eingetreten.

Zusammen mit den schottischen Grünen und Alba, der Neugründung von Salmond, dürfte es genug Rückhalt geben, um ein erneutes Referendum über die Unabhängigkeit abzuhalten. So wie der Wahlkampf bisher geführt wird und die SNP agiert, kann sie einen Wahlerfolg als Auftrag deuten, Schottland in die politische Selbstständigkeit zu führen. Soll darüber an der Wahlurne entschieden werden, müssen Regierung und Parlament in London ein solches Votum genehmigen, sonst wäre es illegal. Das heißt, man besteht auf der zentralen Idee der „parlamentarischen Souveränität“, nach der im Vereinigten Königreich bei einer Frage des Staatswohls nur passiert, was eine Mehrheit im Unterhaus absegnet.

Am 18. September 2014, knapp zwei Jahre vor dem Brexit-Referendum, hatte die damalige Tory-Regierung den Schotten ein Plebiszit über die Souveränität erlaubt, doch unterlagen die Independisten, die Frage der Unabhängigkeit schien – mindestens für eine Generation – entschieden. So die Hoffnung in Westminster, die sich mit dem EU-Ausstieg zerschlug: Über 60 Prozent der Schotten stimmten im Juni 2016 dagegen. Die SNP trommelte fortan erfolgreich gegen die Engländer, die Schottland gegen seinen Willen aus der EU entfernen wollten. Je länger sich das Brexit-Elend hinzog, je mehr sich dessen Folgen bemerkbar machten, desto ausgeprägter die Stimmung in Edinburgh und anderswo: Raus aus dem Vereinigten Königreich, zurück in die EU.

Nicht ob, sondern wie – das ist die Frage. Wird der trickreiche Johnson dem Antrag der schottischen Regierung entsprechen, ein neues Votum anzuberaumen? Schließlich scheint ihn Schottland nicht sonderlich zu interessieren. Dass sich der Premierminister jüngst während der Unruhen in Nordirland nicht blicken ließ, war bezeichnend für die Ignoranz gegenüber den nichtenglischen Landesteilen, wie sie in Westminster und Whitehall seit langem herrscht. Nur wäre die schottische Unabhängigkeit ein Schlag für „Global Britain“, das weiß Johnson, auch wenn völlig offen bleibt, ob Schottland jemals eine Rückkehr in das vereinte Europa gelingen kann.

Den Schotten ihr Referendum zu gewähren und sich dann mit aller Kraft in den Kampf zu stürzen, um die britische Union zu erhalten, das ist Johnsons Sache nicht, zu groß das Risiko einer krachenden Niederlage. Dann schon lieber ein Verfahren vor dem Supreme Court, mit absehbarem Ausgang: Die höchsten Richter bestätigen die Rechtslage – keine Volksabstimmung ohne Plazet des Parlaments in Westminster. Der streitbaren Nicola Sturgeon ist es aus Gründen der Glaubwürdigkeit verwehrt, das hinzunehmen. Darauf spekuliert Boris Johnson, er könnte die SNP zum Abenteuer eines illegalen Referendums provozieren, das sich wohl gewinnen ließe, aber eine ähnliche Situation wie 2017 in Katalonien heraufbeschwören würde. Keine Schottland wohlgesinnte EU-Regierung könnte eine unter diesen Umständen zustande gekommene Trennung von Großbritannien anerkennen. Außer Flaggenschwenken würde nichts passieren, und die Stimmung würde wieder kippen.

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