Die unbeirrbare Tochter

Nachruf Hanne Hiob Die Brecht-Tochter Hanne Hiob ist tot. Sie war die erste heilige Johanna der Schlachthöfe und engagierte sich auch politisch: als Begründerin des "anachronistischen Zugs"

Der Fluch der Töchter und Söhne berühmter Mütter und Väter: sie bleiben, was sie auch leisten mögen, ein Leben lang Töchter und Söhne. Hanne Hiob, obgleich ihr Name, den sie von ihrem Mann, dem Arzt Joachim Hiob, übernahm, das verheimlicht, hörte niemals auf, eine Brecht-Tochter zu sein. Dabei hatte sie durchaus ein eigenes Profil. Weit mehr als ihre Geschwister engagierte sich die Schauspielerin politisch. Unbeirrbar – wer ihre Ansichten nicht teilt, mag das Wort „dogmatisch“ wählen – trat sie auch außerhalb des Theaters auf, wenn sie Zeichen dafür entdeckte, dass der Schoß, aus dem das kroch, nach den Worten ihres Vater noch fruchtbar sei. „Das“ – das ist der Faschismus, und dass er auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Gefahr blieb, kann nur leugnen, wer blind oder borniert ist. Vorwerfen kann man Hanne Hiob allenfalls, dass sie diese Gefahr nur in Westdeutschland, in der Bundesrepublik ortete und nicht sah, was man in der DDR an nationalsozialistischen Gedanken und Biographien jenseits ihrer offiziellen Bekämpfung unter den Teppich gekehrt hat.

Die Festlegung auf Brecht ist auch deshalb ungerecht, weil der nicht viel mehr als Hannes leiblicher Vater war. Aufgezogen wurde sie von ihrer Mutter, der Opernsängerin Marianne Zoff, und deren zweitem Mann, dem Schauspieler Theo Lingen. Dennoch blieb sie Brecht auf komplizierte Weise verbunden. Sie war die erste heilige Johanna der Schlachthöfe, die am Schluss bekanntlich zur Erkenntnis gelangt: „Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht.“ Sie hat auf der Bühne und im Fernsehen danach noch weitere Brecht'sche Figuren verkörpert, darunter, in der Regie von Egon Monk, die Frau Carrar, eine Rolle, die ihr auf den Leib geschrieben schien, aber auch Protagonistinnen von Gorkij, Strindberg oder Sartre. In Erinnerung bleibt ihr herb-hübsches, ein wenig strenges Gesicht.

Schlagzeilen machte Hanne Hiob, als sie Ende der siebziger Jahre eine Straßentheaterumsetzung von Brechts langem Gedicht Der Anachronistische Zug oder Freiheit und Democracy mitorganisierte. Die Aktion, die sich zunächst gegen den damaligen Bundespräsidenten Karl Carstens und den Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß richtete, führte zu einem spektakulären Prozess über Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht. Er hat einen ähnlichen Stellenwert wie das „Mephisto-Urteil“ zu Klaus Manns gleichnamigen Roman. Im Jahr 2005 erhielt Hanne Hiob den Aachener Friedenspreis.

1980 antwortete sie in einem Gespräch mit der Zeit auf die Frage, ob sie gern mit Peter Stein zusammenarbeiten würde: „Ich schon, aber er nicht mit mir. Das kommt daher, dass er vor Jahren einmal Die Maßnahme von Brecht machen wollte, was ich verstanden habe, und ich hätte ihm das Stück auch gegeben, aber die Barbara, meine Halbschwester, hat es ihm nicht gegeben, und da war er halt bös' und hat es leider auf mich übertragen. Da kann man nichts machen. Ich würde furchtbar gerne mit ihm zusammenarbeiten, obwohl... Im Moment geht es in eine Richtung, wo ich nicht mehr so unbedingt dazu stehen könnte. Psychologisch ist alles ganz herrlich, aber politisch... Für mich ist das nur noch allererstes Boulevardtheater, was nicht abwertend gemeint ist. Es ist so eine gewisse Standpunktlosigkeit, die sich da breit macht.“ Jedes Wort verrät: eine Brecht-Tochter.

Am 23. Juni ist Hanne Hiob im Alter von 86 Jahren in ihrer Geburtsstadt München gestorben, nur drei Monate nach ihrem Halbbruder Stefan. Von Brechts Kindern lebt nur noch Barbara, die Witwe des Schauspielers Ekkehard Schall.

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