Die vertrackte Kanone

DVD Die deutsche Kriegssatire „Helden“ von 1958 liegt restauriert wieder vor
Ausgabe 29/2017
„Helden“ lief auch in Cannes und heimste 1959 sogar eine Oscarnominierung ein
„Helden“ lief auch in Cannes und heimste 1959 sogar eine Oscarnominierung ein

Foto: United Archive/Imago

In akkurater Schönschrift scheint, wie aus einer imaginären Schreibfeder geflossen, der Titel des Films über pastellig-agfacolor-blauem Himmel auf: Helden. Darunter stolpert ein einsamer Soldat die Wiese entlang, auf der Flucht vor feindlichen Truppen. Das Nein zum Pathos mag im ersten Augenblick verwundern, schließlich bewegt sich der Film in einem Milieu mit hohem Helden-Aufkommen.

In dem von der Murnau-Stiftung restaurierten und auf DVD veröffentlichten Klassiker der Adenauer-Ära schreibt man das Jahr 1886, im serbisch-bulgarischen Grenzgebiet herrscht Krieg. Die Bulgaren schaffen den Bruch durch feindliche Linien, kehren als gefeierte Sieger heim. Den Serben bleibt die Flucht.

Helden ist ein Film des Regisseurs Franz Peter Wirth, der in den 1960er und 1970er Jahren vor allem Literaturadaptionen drehte. Für das Fernsehen steuerte er einige Folgen zu Tatort und Derrick bei, mit dem Frühwerk Helden verzeichnete er aber 1958 seinen wohl größten Erfolg. In den Hauptrollen besetzt mit den Publikumslieblingen Liselotte Pulver und O. W. Fischer war die Satire nicht nur ein Renner an den Kinokassen, sie lief auch in Cannes und heimste 1959 eine Oscarnominierung für den besten fremdsprachigen Film ein.

Dem bei der Preisverleihung überlegenen Mein Onkel von Jacques Tati war Helden nicht mal unähnlich: Monsieur Hulot scheitert am effizient technisierten Arbeitsalltag im konsumistischen Nachkriegsfrankreich – bei Wirth unterscheiden sich die Soldaten in ihrer Dysfunktionalität kaum vom Kriegsgerät: Eine halsbrecherische Offensive der Bulgaren führt nur zum Sieg, weil die Kanone der Serben nicht funktioniert.

Und die daheimgebliebenen Frauen, denen die verantwortungsvolle Aufgabe zukommt, neben dem Haushalt auch das Ego ihrer Männer zu pflegen, lassen sich vom erstbesten Charmeur ablenken. O. W. Fischer in Gestalt eines Schweizer Söldners auf Seiten der Serben landet auf der Flucht im Schlafzimmer der Liselotte-Pulver-Figur Raina. Bei einer Tochter aus gutem Hause also, und zu allem Überfluss auch noch der Verlobten des siegreichen bulgarischen Leutnants Sergius. Der wortgewandte Hauptmann Bluntschli gefällt ihr viel zu sehr, als dass sie ihn sang- und klanglos ausliefern würde. Nur ist sie zu stolz, das zuzugeben; ein Versteckspiel nimmt seinen Lauf.

Franz Peter Wirth hält sich eng an seine Vorlage, ein Theaterstück des Iren George Bernard Shaw. Dementsprechend viel Raum nimmt der Dialog in seiner Verfilmung ein. Leben zahlreiche Historienfilme der 1950er Jahre ihren Hang zu opulenter Ausstattung und allgemeiner Possierlichkeit aus, so gleicht der visuell eher nüchterne Helden einem Setzkasten voller angekratzter Porzellanstatuetten. Alle Gelegenheiten, ins Schwelgen zu geraten, zerstört der Regisseur: Parallel zum Fechtduell zwischen Bluntschli und Sergius schneidet er einen Kampf aufgeregt krähender Hähne und lässt auch sonst keine Chance aus, um Kriegslust und Mitläufertum Einfalt anzuhängen. „Man muss doch Beute machen! Der Feind muss geschädigt werden“, entrüstet sich Rainas Vater, der mit Klavier im Gepäck aus dem Krieg heimkehrt, obwohl niemand im Haus des Instruments mächtig ist.

Als Helden 1958 gedreht wurde, stand die Bundesrepublik unter dem Eindruck der Wiederbewaffnung. Die Freiwillige Selbstkontrolle ächze in diesem Jahr vor lauter Überdruss an der Zahl neuer Militärfilme, schrieb die Kritikerin Erika Müller in der Zeit: Helmut Käutners Der Schinderhannes, Harald Juhnke als Piefke, der Schrecken der Kompanie, Harald Reinls Die grünen Teufel von Monte Cassino. Helden verlieh man trotzdem das Prädikat „Besonders wertvoll“ – als erster Komödie seit 1945. Raina nennt Bluntschli bald ihren „Praliné-Soldaten“, eine zartschmelzendere Subversion militaristischer Tendenzen gibt es kaum.

Info

Helden Franz Peter Wirth DVD/Blu-Ray Deutschland 1958, 93 Minuten

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