Die Verwandlung

Neu im Kino Trivialisierte Geschichte: Tomáš Mašins Film "Three Seasons in Hell", in dem das Leben des tschechischen Intellektuellen Egon Bondy nicht wieder zu erkennen ist
Die Geschichte ist ein Schlachthaus
Die Geschichte ist ein Schlachthaus

Foto: Lucie Jansch/Eclipse Film

Three Seasons in Hell ist kein Blockbuster aus Hollywood, sondern ein tschechischer Film, den sein deutscher Verleiher nur mit einem spekulativen englischen Titel in hiesigen Kinos starten zu können meint. Spekulativ ist auch das, was der 1966 geborene Tomáš Mašin auf die Leinwand bringt. Der verdient sein Geld mit Werbefilmen und Musikvideos. Nun glaubt er offenbar, im linksintellektuellen Milieu der Prager Nachkriegs-Boheme einen einträglich vermarktbaren Stoff gefunden zu haben: Mit historisierenden Design-Effekten und Erik-Satie-Sound wird eine Geschichtskulisse geschaffen, in der der von zu Hause ausgerissene Bürgersohn Ivan Heinz mit marxistischen Phrasen, Verbalinjurien, antibürgerlichen Gedichten und wilden Sexabenteuern agiert.

Die stalinistische Machtergreifung von 1948 bringt den „linken Spinner“ zur Raison: Mit Penicillin-Schmuggel versucht er seine Flucht nach Paris zu finanzieren, wird geschnappt, brutal verhört und schließlich ins Irrenhaus gesperrt. Reales Vorbild dieses Ivan Heinz ist der durch die bereits verfilmte Bohumil-Hrabal-Novelle Zärtlicher Barbar populäre Prager Underground-Poet und Philosoph Egon Bondy, der damals eine amour fou zur Tochter von Kafkas berühmter Freundin Milena Jesenská hatte.

Mašin behauptet ausdrücklich, dass er seinen Film nach „Motiven“ von Egon Bondys Memoiren Die ersten zehn Jahre gedreht habe. Er verkehrte mit Bondy, der für ihn ein „giftiger Opa“ war, per E-Mail, bis Bondy, den der Austausch zutiefst verärgerte, den Kontakt abbrach und mit dem Film nichts mehr zu tun haben wollte.

Kein "linker Spinner"

Verständlicherweise. Mit Bondy und den marxistisch-antistalinistischen Hoffnungen der Prager Nachkriegsavantgarde hat Three Seasons in Hell nicht das Geringste zu tun. Im Gegenteil – das nach 1948 und nach 1968 staatsbürokratisch illegalisierte Profil der Prager Surrealisten, der Dichter und Philosophen des linken Undergrounds, wird hier noch einmal heillos verzerrt und diffamiert. Von einem Reklamefilmer, dessen Machwerk nun auch hierzulande in die Kinos kommt, wo nur wenig von der inspirierend unkonventionellen Kreativität unser Nachbarn bekannt ist.

Egon Bondy brachte bereits in den frühen fünfziger Jahren einen ersten Samisdat-Band gegen den Antisemitismus des Nachkriegsstalinismus heraus und gehörte später zu den Initiatoren des „Charta 77“-Protests. Er wurde verfolgt und verhaftet, gab aber niemals sein undogmatisch marxistisches Denken auf. Auch nach der Wende nicht: In einem wunderbaren Dokumentarfilm von Karel Vachek, der 1968 mit Wahlverwandtschaften den Schlüsselfilm des Prager Frühlings gedreht hatte, attackiert Bondy die „Vertikalstruktur“ der neuen Oligarchie und den sich globalisierenden Kapitalismus.

Bondy starb 2007, war aber nie ein „linker Spinner“ wie Ivan Heinz, der in Mašins Film das bürgerliche Establishment wie eine 68er Karikatur verschreckt, bis ihn stalinistische Gewalt eines Besseren belehrt. Ein Unterschied zu den Diffamierungen realsozialistischer Staatsbürokraten, die den langhaarigen Bondy zum Schreckgespenst stilisierten, ist schwer zu erkennen. Doch als Deutscher sollte man nicht pharisäisch sein – auch bei uns gibt es genügend traurige Trivialisierungen von Geschichte.

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