Klimarettung Der Erde geht es gar nicht gut: Überschwemmungen, Waldbrände, tauendes Polareis. Noch ist eine Begrenzung der Erderwärmung machbar – es kommt auf uns an
Das Handy vibriert, eine Nachricht aus Mosambik: „Geht es euch gut? Ich hoffe, ihr seid in Sicherheit.“ Antonia Teixeira Chikono macht sich Sorgen, sie hat aus den Nachrichten erfahren, dass in Deutschland viele Menschen in den Überschwemmungen umgekommen sind. Auch wir sitzen fassungslos vor dem Newsticker. In Ahrweiler schwimmen Autos an Häusern vorbei, als wären sie Spielzeug. Der Regen lässt nicht nach, tagelang suchen Einsatzkräfte nach Vermissten, einige Ortsteile sind nicht mal per Boot erreichbar. Wir können nicht glauben, dass sich diese Tragödie in Deutschland abspielt.
Das war rund zehn Wochen vor der Bundestagswahl. Inzwischen scheinen die Fluten fast wieder vergessen. Und das macht uns Angst, denn die Bundesregierung, die diese Woc
diese Woche gewählt wird, ist voraussichtlich die letzte, die noch verhindern kann, dass das Klima kollabiert.Im Hitzesommer 2019 wollten wir wissen, wie schlimm es wirklich um unser Klima steht. Wir sind aufgebrochen, um mit den Menschen zu sprechen, für die die Krise schon lange Realität ist, quer durch alle Klimazonen. Wir kommen mit schlechten Nachrichten zurück. Überall auf der Welt ist zu sehen, wie dramatisch die Folgen schon bei 1,1 Grad Erwärmung im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten sind, die derzeit bereits gemessen werden.Antonia Teixeira Chikono haben wir an der mosambikanischen Küste getroffen – ein Jahr nachdem der Zyklon Idai im März 2019 weite Teile des Landes mit Wassermassen überrollte. Die siebenfache Mutter erinnert sich noch gut an die Nacht des Sturms, der gegen Mitternacht mit Windgeschwindigkeiten von 165 Stundenkilometern auf Land traf. Idai war einer der verheerendsten Wirbelstürme, die jemals auf der südlichen Halbkugel wüteten. Über 1.000 Menschen verloren ihr Leben, Hunderttausende ihre Lebensgrundlage: Die Überschwemmungen zerstörten die Felder, genau vor der Ernte.Bei unserem Besuch in Mosambik schien die Klimakrise für uns Deutsche noch weit entfernt. Jetzt, wo schlammige Fluten Häuser einstürzen lassen und Menschen in den Tod reißen, wo Urlaubsbilder vor einem Flammeninferno die neue Realität auf Instagram sind, dämmert es langsam allen: Es ist nicht das Wetter, das verrücktspielt. So sieht die Welt aus bei gerade einmal 1,1 Grad Celsius Temperaturanstieg. Niemand ist mehr sicher.Dennoch ist die Diskussion in Deutschland von Angst vor Verzicht geprägt: Wird mir bald das Schnitzel verboten? Darf man jetzt eigentlich noch nach Thailand fliegen? Dabei gerät aus dem Blick, was es bedeutet, auf Klimaschutz zu verzichten. Jede Tonne CO₂, die wir emittieren, hält sich für Hunderte Jahre in der Atmosphäre und heizt die Erde auf. Nie in der Geschichte des Planeten war die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre höher als heute.Placeholder infobox-1Vor sechs Jahren haben sich die Staats- und Regierungschefs in Paris dazu verpflichtet, die globale Erwärmung auf „deutlich unter zwei Grad“ zu begrenzen – wenn möglich unter 1,5 Grad im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten. Im Sommer 2021 räumte Angela Merkel Versäumnisse ein. Man müsse jetzt „schneller werden“, das zeigen auch die Berechnungen des Sachverständigenrats der Bundesregierung: Das deutsche CO₂-Budget wäre bei gleichbleibenden Emissionen bereits im Jahr 2026 verbraucht, bei linearer Reduktion im Jahr 2032. Heißt: Maximal elf Jahre, bis Deutschland klimaneutral sein muss, so steht es neuerdings im Gesetz. Die kommende Bundesregierung muss also schneller werden. Viel schneller.Doch zu verhindern sind Klimakatastrophen nicht mehr: Für viele Menschen bestimmen sie jetzt schon den Alltag. Während Antonia Teixeira Chikonos Haus in Trümmern lag, war sie für andere da, denen es noch schlechter ging: für die alleinerziehende Mutter im Dorf, ihre Nachbarin im Rollstuhl. Sie organisierte mit ihrem feministischen Netzwerk einen internationalen Spendenaufruf, der mit 48.000 Euro denen helfen konnte, für die der internationale Katastrophenschutz keine große Hilfe war. Das sind die Kosten des Klimawandels: Sie sind immens, genau wie die Energie, die Hoffnungen, die Chikono in den Wiederaufbau ihres Dorfes gesteckt hat. Dabei gehört sie zu den Menschen, die am wenigsten zur Eskalation beigetragen haben. Anfang der 1970er Jahre gingen 60 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen auf das Konto der Industrieländer, heute ist es immer noch fast die Hälfte (49 Prozent). Eine US-Amerikanerin stößt durchschnittlich 20-mal mehr CO₂ aus als Chikono. Ihr hilft es nicht, wenn wir ihre Resilienz bewundern. Ihr hilft es allein, wenn Industriestaaten wie Deutschland ihre Treibhausgas-Emissionen bis 2030 mindestens halbieren.Placeholder infobox-2Die bisherige Politik erreicht das nicht. Berechnungen der Denkfabrik „Agora Energiewende“ zufolge wird Deutschland dieses Jahr den größten CO₂-Anstieg seit 1990 verzeichnen, wodurch die gesetzlich festgeschriebenen Klimaziele massiv verfehlt würden. Dabei zählt jedes Zehntelgrad. Bienen, Falter und Hummeln, die für die Bestäubung in der Landwirtschaft eine große Rolle spielen, verlieren mit jedem Zehntel Verbreitungsgebiete. Eine Sturmflut, wie sie an der Nordseeküste bei Cuxhaven statistisch bisher alle 500 Jahre auftritt, wird bei 1,5 Grad Celsius Erwärmung einmal in 100 Jahren erwartet – bei zwei Grad Celsius alle 33 Jahre. Studien schätzen, dass zwischen 184 und 270 Millionen Menschen weltweit von zunehmender Wasserknappheit verschont bleiben, wenn die Erderwärmung bei 1,5 Grad gestoppt wird anstatt bei zwei Grad Celsius.Noch nie war der Weltklimarat IPCC so klar in den Prognosen über dramatische Auswirkungen der Klimakrise wie im letzten Sachstandsbericht. Erstmals gibt es einen eigenen Abschnitt zu Extremwettern, wie sie diesen Sommer von Sizilien bis Sibirien, von Westdeutschland bis in die wichtigste Weizenregion Chinas, Henan, Schlagzeilen machten. Bessere Computermodelle lassen auch regionale Vorhersagen treffen: Im Mittelmeerraum könnten Dürren zunehmen, im Norden Europas eher Starkregen – und überall werden Hitzewellen häufiger und heftiger.Wie das Leben in Deutschland in einer Zwei-Grad-Welt aussehen würde, haben die Autoren Nick Reimer und Toralf Staud aus Hunderten Prognosen der Klimawissenschaftler zusammengetragen. In ihrem Buch Deutschland 2050 zeichnen sie ein düsteres Bild: Krankheiten wie das Dengue-Fieber und Malaria werden auch in Deutschland zum Problem. Das größte Gesundheitsrisiko wird die Hitze sein, schon 2018 tötete eine Hitzewelle 20.000 Menschen. Noch sind Städte und Infrastrukturen nicht auf eine Zwei-Grad-Welt ausgerichtet, es gibt nicht genug kühlende Bäume, begrünte Dächer, Luftschneisen. Vor allem im Südwesten, aber auch in Köln, Berlin, Dresden, Leipzig und in der Lausitz wird es unerträglich heiß. Ernteverluste, Schäden durch Waldbrände, Kosten in Milliardenhöhe für die deutsche Wirtschaft: „Unser Leben wird 2050 unsicherer sein“, resümieren die Autoren. Was das für die ordnungsliebenden Deutschen bedeute, könne man nur ahnen.Placeholder image-1Aufgeben ist keine OptionDie Wissenschaft lässt also keinen Zweifel: Durchschnittlich zwei Grad mehr wären eine Katastrophe für die Welt. Doch was an all den Szenarien, die wir gelesen haben, am beunruhigendsten ist: Steigt die weltweite Durchschnittstemperatur um mehr als 1,5 Grad Celsius, nimmt auch das Risiko zu, dass Kipppunkte überschritten werden. Bestimmte Teile des Klimasystems wie Permafrostböden, Gebirgsgletscher, der Golfstrom oder der Amazonas-Regenwald, reagieren lange Zeit nur wenig auf den Klimastress, aber irgendwann kommt es zum Kipppunkt: Veränderungen laufen ab hier unaufhaltsam ab. Es ist wie bei einem Glas Wein, das unachtsam immer weiter zum Tischrand geschoben wird, irgendwann steht es nicht mehr stabil und kippt.In der Arktis könnte dieser Punkt schon überschritten sein. Kein Ort der Welt erwärmt sich schneller. Denn in den Permafrostböden der Arktis sind bis zu 1,6 Billionen Tonnen Kohlenstoff gespeichert – abgestorbene Bäume, tote Tiere, verwelktes Gras –, was in etwa dem Doppelten der Menge an Kohlenstoff entspricht, die sich derzeit in der Atmosphäre befindet. Wegen der globalen Erwärmung taut der Boden, es kommt zu Abbauprozessen, Treibhausgase entweichen. Die zusätzlichen Gase lassen die globalen Temperaturen steigen, mehr Böden tauen, noch mehr Treibhausgase entweichen, die Temperaturen steigen weiter. Ein Teufelskreis.Placeholder infobox-3Hier, am nördlichen Polarkreis, trafen wir eine indigene Familie der Sámi. Seit Generationen begleiten sie die Rentierherden auf ihrem Weg von den Sommerweiden am Fjord zu den Winterweiden. In dieser unwirtlichen Gegend waren die Tiere seit jeher essenziell für das Überleben der Indigenen: als Wärmespender, als Gulasch, als Begleiter durch die Nacht. Was Familienvater Anders Triumf über Nordnorwegen erzählt, stimmt für die ganze Welt: Nur weil das Klima jahrhundertelang stabil war, konnte sich unsere Zivilisation, konnten sich Städte und Kulturen entwickeln. Und nun wird es instabil. Durch die Temperaturschwankungen taut im Winter der Schnee und friert wieder fest, die Tiere finden unter den versiegelten Eisschichten kein Futter mehr. Ganze Herden müssen mit Helikoptern notversorgt werden oder verhungern. Parasiten wie die Dasselfliege breiten sich aus. Die sich ändernde Vegetation zwingt die Tiere dazu, jahrhundertealte Wanderrouten zu verlassen.Aufgeben ist jedoch keine Option. Für Antonia Teixeira Chikono nicht, für Anders Triumf nicht. Unter dem Sternenhimmel von Kautokeino, wo die Nordlichter ihre grünen Schwingen über uns ausbreiteten, begriffen wir, dass es nichts zu verlieren gibt außer unserer Angst.Rein physikalisch ist es noch machbar, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken. In einem jüngst von Mitgliedern der „Scientist Rebellion“ geleakten Abdruck des nächsten Weltklimarat-Berichts, der eigentlich erst 2022 erscheinen sollte, heißt es: Die nächsten zehn Jahre werden entscheidend sein. Es brauche so schnell wie möglich einen konsequenten Ausstieg aus Kohle und Ölförderung – und Millionen Menschen müssen ihren Lebensstil ändern.Placeholder infobox-4Lebensstil ändern? Hier sehen wir schon: Die Physik allein wird uns nicht retten. Die Klimakrise ist ein gesellschaftliches Problem. Nun wird womöglich die letzte Bundesregierung gewählt, die noch einlenken kann. Wird sie es tun? Leider kommt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zu dem Schluss: Keine der untersuchten Parteien würde mit ihrer Politik die gesetzlich festgelegten Klimaschutzziele erreichen, nicht einmal die Grünen. Mit ihrem Plan, den Kohleausstieg zu beschleunigen, kommen sie und die Linken den Zielen aber am nächsten, am weitesten entfernt ist die FDP.Doch was die nächste Bundesregierung tun wird, ist davon abhängig, was die Gesellschaft von ihr verlangt. Fridays for Future, Black Lives Matter und MeToo haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass Wandel möglich ist. Oder, wie die Philosophin Eva von Redecker schreibt: Die Revolution für das Leben ist bereits im Gange. Dieser soziale Kipppunkt ist unsere größte Chance auf ein Leben in Sicherheit.Placeholder authorbio-1