Die WASG muss die Kröte schlucken

Im Gespräch Martin Morlok, Parteienrechtler an der Universität Düsseldorf, rät aus finanziellen Gründen von einer echten Parteineugründung ab

FREITAG: In Ihrem Gutachten zum Parteibildungsprozess von Linkspartei.PDS und WASG empfehlen Sie "Verschmelzung durch Aufnahme". Ist damit gemeint, dass die kleinere Partei, also die WASG, sich auflöst und der größeren, also der Linkspartei.PDS, beitritt?
MARTIN MORLOK: Ganz genau, das ist damit gemeint. Der Sinn dieser Operation liegt darin, dass keine Zweifel aufkommen sollten am Fortbestand einer der beiden Parteien - und zweckmäßiger Weise nimmt man da die größere. Die Alternative dazu bestünde gedanklich darin, dass beide sich auflösen und eine gemeinsame neue Partei aufmachen. Diese Vorgehensweise birgt aber das Risiko, dass die bisherigen Errungenschaften dann verloren wären.

Welche Errungenschaften?
Die Parteien erhalten vom Staat Geld für die bisher bei den letzten Bundestags-, Landtags- und Europawahlen erworbenen Wählerstimmen. Wenn nun die völlige Neugründung einer Partei vorliegt, bekommt diese zunächst kein staatliches Geld, weil dann das sogenannte Wählerstimmenkonto bei Null beginnt. Es empfiehlt sich, so vorzugehen, dass auf alle Fälle die Errungenschaften erhalten bleiben. Auch der Aufbau einer neuen Parteistiftung würde Verluste bedeuten und viele Jahre dauern.

Andererseits streben die beiden Parteien eine Fusion auf Augenhöhe an und wollen bewusst Vereinnahmungen vermeiden. Ist ein formaler Beitritt da nicht hinderlich?
Meine Empfehlung bezieht sich auf die juristische Konstruktion und ist gegenüber einer politischen Bewertung durchaus eigenständig. Tatsächlich - so habe ich es der Presse entnommen - ist im Rahmen des Möglichen ja eine Gleichberechtigung der beiden Parteien und ihrer Mitgliedschaft vorgesehen, weitgehend unabhängig von der Größe der beiden Partner.

Warum schlagen Sie vor, Linkspartei und WASG sollten übergangsweise den Status "eingetragener Verein" annehmen?
Sämtliche Parteien sind bisher schon Vereine, die meisten aber keine eingetragenen. Es handelt sich hier lediglich darum, dass man aus einem sogenannten nicht-rechtsfähigen Verein einen rechtfähigen macht, das bedeutet, dass man sich beim Amtsgericht als Verein registrieren lässt. Dieser Akt ist mit keinen inhaltlichen Veränderungen verbunden und beeinflusst nicht die Stellung der Mitglieder. Bei eingetragenen Vereinen greift das Verschmelzungs- oder Umwandlungsgesetz. Nur durch diese Vorgehensweise ist gewährleistet, dass es keine finanziellen Verluste gibt. Die Gewerkschaft Verdi hat bei ihrem Zusammenschluss aus Einzelgewerkschaften das gleiche Vorgehen praktiziert und sich vorübergehend eintragen lassen.

Das heißt, die Parteien bleiben bestehen?
Ja, sie bekommen sozusagen nur einen rechtlichen Stempel aufgedrückt. Alles andere bleibt, wie es war. Der Grund für diese Empfehlung liegt darin, dass das Gesetz zwar einerseits vorsieht, dass Parteien sich vereinigen können. Andererseits steht nirgends, wie dies vonstatten gehen kann. Es gibt nur Vorschriften über den Zusammenschluss von anderen Organisationen (man denkt dabei offensichtlich an Wirtschaftsunternehmen), die diese Vereinigung erleichtern und wasserdicht machen.

Verstehe ich es richtig, dass man aber auch über diesen Weg nicht von einer echten Fusion sprechen kann?
Wenn echte Fusion heißt: Aus A und B wird C gemacht, hat man das Problem, dass C etwas völlig Neues ist und die bisherigen Besitzstände verloren gehen. Es geht aber darum, die Identität und Kontinuität zwischen alter und neuer Partei sicherzustellen. Deshalb sollte man eben nicht eine neue Partei aufmachen. Es ist wichtig, eine solche Parteivereinigung in einer Weise zu gestalten, dass das Recht nicht davon ausgeht, es handle sich künftig um eine neue Partei.

Man hätte dann also eher die Formel: A plus B wird zu Aplus.
Richtig. Nach meiner persönlichen Rechtsmeinung könnte man es auch weniger umständlich machen, aber so ist man auf der sicheren Seite.

Nach der Wende gab es zwischen Ost und West mehrere Vereinigungen von Parteien. Warum können Linkspartei und WASG nicht ähnlich fusionieren?
Ihr Hinweis ist richtig, aber wir haben damals eine auf die Wiedervereiniung bezogene Sonderregelung gehabt, die mittlerweile nicht mehr gilt.

Die Botschaft des Beitritts, die Ihre Empfehlung transportiert, ist für einige Mitglieder der WASG ziemlich unbehaglich und hat eine symbolische Kraft.
Das ist ja nachzufühlen. Dass die Kleinen den Größeren beitreten sollen, ist quasi eine psychologische Kröte, die die WASG schlucken muss. Auch wenn es nach Übernahme aussieht: Man muss das als rein technischen Akt sehen.

Das Gespräch führte Connie Uschtrin


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