FREITAG: Deutet die Personalinventur im Weißen Haus - die Nominierung von Condoleezza Rice als Außenministerin zum Beispiel oder des neuen Justizministers Alberto Gonzales - daraufhin, dass sich die zweite Amtszeit des Präsidenten George Bush wenig von der ersten unterscheiden wird?
WILLY WIMMER: Wer diesen Präsidenten vor und nach dem Irak-Krieg gehört hat, der weiß, das ist niemand, der sich gern den Wechselfällen des politischen Lebens stellt. Da gibt es eher eine durchgehende Linie. Wenn dann noch die persönliche Überzeugung hinzu kommt, einen höheren, ja göttlichen Auftrag wahrzunehmen, werden Wahlen dieses Selbstverständnis kaum abschleifen. In Berlin wird jetzt viel Kaffeesatz-Leserei betrieben über die künftige Politik des Weißen Hauses. Manche Hoffnungen haben dabei absolut nichts mit der rauen Wirklichkeit zu tun.
Die von Ihnen erwähnte durchgehende Linie würde dann auch für das deutsch-amerikanische Verhältnis gelten - weiterhin ein Wechselbad zwischen Dissens und Konsens?
Es ist vielleicht unter dem Eindruck des Wahlkampfes in den USA untergegangen, wie sich die Welt seit etwa drei Jahren verändert hat. Dafür gibt es mehrere klare Symptome. Sieht man sich Lateinamerika an, dann sind die USA derzeit weit davon entfernt, den Subkontinent als ihren Vorhof betrachten zu können. Von Venezuela über Brasilien bis Argentinien und Uruguay sind Präsidenten gewählt worden, die man nicht unbedingt als Favoriten des Weißen Hauses betrachten kann. Der Irak-Krieg hat die Kräfte der USA so gebunden, dass man hinnehmen muss, was dort geschieht, ohne in der üblichen Weise zu intervenieren. Zum zweiten rollt - wenn mich nicht alles täuscht - die Volksrepublik China Lateinamerika im Moment regelrecht auf. Das reicht von großen Wirtschaftsaufträgen bis hin zu Versuchen, sich als später Erbe des portugiesischen Weltreiches in Szene zu setzen. Drittens lassen die diplomatischen Bemühungen Großbritanniens, Deutschlands und Frankreichs um den Iran erkennen, wie man mit Teheran umgehen kann, ohne dass US-Truppen einmarschieren.
Fazit: Die Welt von 2004 ist nicht mehr die von 2001. Die Bäume wachsen für die USA nicht so in den Himmel, wie man das vor der Eroberung von Bagdad noch dachte.
Warum demissioniert Colin Powell? Weil er nicht mehr auf der Höhe dieser Entwicklung ist, die Sie gerade skizziert haben, oder weil er zu liberal war?
Ein Außenminister betreibt doch keine andere Politik als sein Chef. In Powells Rücktritt alles Mögliche hinein zu deuten, erinnert mich an die früher übliche Kreml-Astrologie. Damit füllt man vielleicht die Spalten kluger Bücher, aber Tatsache ist, dass Powell Bushs Politik exekutiert hat. Vielleicht hat er inzwischen ein bestimmtes Empfinden für seinen Auftritt im UN-Sicherheitsrat kurz vor dem Irak-Krieg entwickelt, als die sogenannten Erkenntnisse über Iraks Waffen präsentiert wurden. Vielleicht hat er jetzt daraus - bezogen auf seine Glaubwürdigkeit - gewisse Schlüsse gezogen.
Wird das globale Machtgefälle zum Nachteil Europas größer, wenn Bush bei seiner bisherigen Außenpolitik bleibt?
Mein Eindruck ist, dass sich die unilaterale Spitze, die es vor dem Irak-Krieg gegeben hat, inzwischen relativiert. Dass es schwere Konflikte gibt auf unserem Globus, bestreitet niemand. Nur ist eine Mehrheit der Staaten der Meinung, dass man diese Konflikte nicht vorrangig militärisch angehen sollte. Wenn jetzt der Iran einlenkt und bei seinem Atomprogramm die Anreicherung von Uran aussetzen will, dann ist das klassischen diplomatischen Verhaltensmustern zu danken, nach denen die EU in diesem Fall verfahren ist.
Wie deuten Sie Vorwürfe aus Washington, in Westeuropa formiere sich aus Spanien, Frankreich und Deutschland eine neue Führungstroika?
Die USA müssen sich zunächst einmal selbst entscheiden: Wollen sie Europa als Pfeiler einer transatlantischen Kooperation oder nur als vorgeschobenen Brückenkopf, den man für seine Ziele beliebig einspannen will? Zum anderen kann ich nicht erkennen, dass irgendjemand in Europa eine Rolle spielen will, die auf einen Ersatz der Vereinigten Staaten aus wäre. Gerade die Bundesrepublik Deutschland muss ein Interesse daran haben, Europa aus sich selbst heraus mit sich selbst zufrieden sein zu lassen. Das hat nichts mit Expansion zu tun oder mit dem Wunsch, die ganze Welt nach unserer Façon glücklich zu machen, sondern mit dem Willen, bestimmte Entwicklungen dank europäischer Stärken so zu gestalten, dass die Welt insgesamt bessere Wege nimmt.
Also eine mehr kooperative Rivalität zwischen Europa und den USA.
Im Prinzip schon. Ich bin überzeugter Föderalist und für Wettbewerb, aber es gibt darüber hinaus etwas, das uns zusammenhält. Man hat bezeichnenderweise zuletzt nicht mehr von der Wertegemeinschaft gesprochen. Nicht, dass wir die gemeinsamen Werte aufgegeben hätten, nur handelten andere nicht mehr danach. Warum sollte man nicht zu diesem Wertekanon zurückkehren? Zumal sich ohne Zusammenarbeit die schweren Konflikte dieser Welt nicht bewältigen lassen.
Sollte Europa dabei selbstbewusster auftreten?
Gar keine Frage, aber es sollte keine Neigung geben, dies auf die Spitze zu treiben.
Wenn Sie die Wertegemeinschaft belebt sehen wollen, wird Europa auch stärker in die Werte-Konfrontation mit anderen Kulturen, etwa der islamischen, geraten ...
... wie sich das zwangsläufig aus unserer Nähe zum Problem ergibt. Ich werde nie vergessen, dass ich einen zentralasiatischen Islam oder die Alawiten in der Türkei mit Vorstellungen erlebt habe, die denen des Erzbistums Köln nicht fremd sind. Wir müssen in dieser Hinsicht lernen, differenzierter zu denken, um zu sehen, was um uns herum geschieht, und um zu wissen, was diesen Staat eigentlich zusammenhält.
Im Irak soll am 30. Januar 2005 gewählt werden - warum hält Bush daran mit solcher Vehemenz fest?
Ich will nicht ausschließen, dass dies Teil einer Exit-Strategie ist. Man will aus Gründen der internationalen Reputation im Irak Gremien haben, die auf Wahlen zurückgehen, um das US-Engagement herunter fahren, dem Irak wieder mehr eigene Verantwortung geben und das im Konsens mit der Staatengemeinschaft tun zu können. Es ist der Versuch, aus dem Schlamassel irgendwie wieder heraus zu finden.
Mit welchen Erfolgsaussichten?
Wenn ich Falludscha sehe, denke ich an die Bilder von Grosny. Falludscha offenbart die krassen Konsequenzen einer verfehlten Politik. Ob Wahlen da heraus helfen, bezweifle ich. Ich kann nicht das halbe Land in Schutt und Asche legen und dann sagen, ihr müsst jetzt wählen. Außerdem wirkt die instabile Lage in Zentralirak wie ein Katalysator für ein selbstständiges Kurdistan. Die von den Kurden im Norden besiedelten Gebiete sind befriedet, und die Kurden dürften diese relative Stabilität mit Nachdruck verteidigen. Ähnlich verfahren übrigens auch die schiitischen Regionen im Süden. Eine gewisse Unabhängigkeit von Irakisch-Kurdistan werden auch gesamtirakische Wahlen nicht aufhalten.
Könnten Sie sich denn vorstellen, dass die Amerikaner eine Teilung oder Föderalisierung des Irak als Preis in Kauf nehmen, um aus ihrer verfahrenen Lage heraus zu kommen.
Da bin ich mir nicht sicher, aber möglicherweise wirkt irgendwann die Kraft des Faktischen genau in diese Richtung. Warum sollte sich das irakische Kurdistan in das irakische Dilemma hinein ziehen lassen? Wie ernst man diese Frage nehmen muss, ließ sich doch am Verhalten des türkische Premiers Erdogan ablesen, der die Amerikaner wegen Falludscha massiv und öffentlich kritisiert hat. Die Türkei ist natürlich hoch besorgt. Gibt es ein unabhängiges Kurdistan im Irak, muss sie sich höchst unangenehme Fragen zu den eigenen kurdischen Gebieten gefallen lassen.
Die Amerikaner aber auch höchst unangenehme Fragen der Türkei.
Ja, insofern hat es durchaus Sinn, um auf Ihre Eingangsfrage zurück zu kommen, dass Frau Rice nicht die Nachfolge von Herrn Rumsfeld antreten soll. Offenbar gibt es auch in den USA die Auffassung, ihn ausbaden zu lassen, was er angerichtet hat. Jeder fühlt sich schon verbrannt, wenn ihm die Nachfolge dieses Verteidigungsministers auch nur angetragen wird.
Angenommen, die von Ihnen angedeutete Exit-Strategie der Amerikaner nimmt nach irakischen Wahlen Gestalt an und eine internationale Militärpräsenz im Irak wird von der UNO verantwortet, würden Sie dann eine deutsche Beteiligung befürworten?
Ich zähle zu denen, die schon seit Monaten sagen: Wenn, dann muss das die Nachbarschaft erledigen.
Auch das arabische Umfeld?
Genau, die Staaten der Region. Wir sollten an ein eigenes militärisches Engagement nicht einmal denken.
Das Gespräch führten Hans Thie und Lutz Herden
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