Die Widersprüche

Literatur Manche Schriftsteller gingen während des Nationalsozialismus ins Exil. Viele blieben. Anatol Regnier folgt einfühlsam ihren Schicksalen
Ausgabe 49/2020
Die Schriftstellerin Ricarda Huch – zeitlebens NS-Gegnerin – auf einer Gedenkbriefmarke anlässlich ihres 150. Geburtstages
Die Schriftstellerin Ricarda Huch – zeitlebens NS-Gegnerin – auf einer Gedenkbriefmarke anlässlich ihres 150. Geburtstages

Foto: Schöning/Imago Images

Was hätte ich getan, wenn ich, sagen wir, 40 Jahre früher geboren worden wäre, das habe ich mich schon als Kind gefragt. Wenn wir in der Schule, wirklich genauestens, über die Schrecken der NS-Zeit unterrichtet wurden. Wenn wir von mutigen Menschen erfuhren, die ihre Widerstandsleistung mit dem Leben bezahlten. Die höchste Wertigkeit hatten in der DDR Künstler, die aktiv am Kampf gegen den Faschismus teilgenommen hatten. Ihnen folgten jene aus dem antifaschistischen Exil. Diejenigen, die im Lande geblieben waren, in der inneren Emigration, wie man es nannte, traf ein Verdacht. Insofern bin ich Anatol Regnier dankbar für sein Buch. Es ist großartig geschrieben, ausgezeichnet recherchiert, und es ist von tiefem menschlichem Verständnis geprägt.

Was bleibt uns angesichts einer Gefahr: kämpfen, fliehen, uns verstecken. Manchmal aber reicht es nicht einmal zu solcher Aktivität. Die Erstarrung wird ummäntelt mit der irren Hoffnung, dass es so schlimm nicht kommen würde. Und es dominieren die alltäglichen Sorgen. Die sind für einen Schriftsteller ja immer mit Publikationsmöglichkeiten verbunden. Durch Anpassung wird das Leben leichter, durch Widerstand schwerer bis hin zur Todesgefahr. Dazwischen liegt ein breites Spektrum von Möglichkeiten.

Anatol Regnier, Gitarrist und freier Autor, fand 2011 in London zufällig Hans Falladas Roman Jeder stirbt für sich allein. An diesen Titel lehnte er sich mit seinem Buch an. Künstler sind meist Einzelkämpfer. Auch wenn sie sich solidarisieren, bleiben sie letztlich Konkurrenten. Fallada faszinierte ihn. „In aller Härte war hier offengelegt, was Menschen riskierten, die Widerstand gegen Hitler wagten.“ Gleichzeitig überraschte ihn die Normalität des Alltags. „So also hätten die Leute gelebt, nicht viel anders als zu anderen Zeiten.“

Soll man da nicht froh sein, dass es diesen Fallada gab, der von innen heraus von einer Wirklichkeit erzählte, die unsereinem in zeitlichem Abstand nur monströs erscheinen konnte? Wie erschrocken habe ich als Kind meine Eltern, meine Großeltern angeschaut, die in diese Zeiten hineingeboren worden waren. Ich höre noch, wie mein Großvater sich rechtfertigte, er habe nichts Schlimmes getan. Es sei schwer gewesen, sagte die Großmutter. Der Vater war ganz jung in den Krieg gepresst worden und war natürlich in der HJ gewesen, und die Mutter meinte, sie habe die aufgeblasenen Nazis immer verlacht.

Publizieren hatte einen Preis

Hat Fallada „mitgemacht“? Und wie war es mit Gottfried Benn? Mit Ernst und Friedrich Georg Jünger? Mit Leonhard Frank, Erich Kästner, mit Oskar Loerke, Ricarda Huch? Das Leben vieler Schriftsteller ist im Buch beleuchtet, detailliert oder nur angedeutet, einige, wie Anna Seghers, sucht man auch vergebens. Manche, wie Stefan Heym oder Stephan Hermlin, begannen ja auch erst nach dem Krieg zu publizieren. So wie Bruno Apitz, der acht Jahre im KZ Buchenwald inhaftiert gewesen war, so wie Ernst Wiechert, der nach Protesten aus dem In- und Ausland von dort entlassen wurde und mit Das einfache Leben 1939 einen regelrechten Bestseller schrieb. Der wunderbare Jakob Wassermann indes durfte, weil er Jude war, ab 1933 nicht mehr veröffentlichen und starb 1934 mit nur 60 Jahren. Viele gingen ins Exil. Ausführlich behandelt wird hier vor allem die Familie Mann. Anderen, wie Ina Seidel, mit der sich Regnier ausführlich beschäftigt, war Anerkennung wichtiger als alles andere, und das hatte seinen moralischen Preis.

Der Autor folgt den einzelnen Schicksalen mit gewissenhafter Einfühlsamkeit. Er sucht Nähe und wahrt Abstand, den es auch braucht zu differenzierter Sicht. Klare Konturen in Schwarz-Weiß sind durchaus nötig gewesen in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit dem Erbe des Nazismus, die in der DDR bekanntlich konsequenter als in der BRD gewesen ist. Aber politische Verurteilung allein reicht nicht aus, um Lehren zu ziehen, weil das einzelne menschliche Leben so voller konkreter Entscheidungen ist. Da braucht es zum Bewerten auch das Durchdenken. „Lasst euch nicht verführen“, heißt es bei Bertolt Brecht. Das gilt zu jeder Zeit.

Info

Jeder schreibt für sich allein. Schriftsteller im Nationalsozialismus Anatol Regnier Verlag C. H. Beck 2020, 366 S., 26 €

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden