Die Wiederkehr der Kerze

Frankreich Präsident Nicolas Sarkozy bedenkt das Wahlkampfthema Atomausstieg mit Spott und handfesten Drohungen, und er verhöhnt die Zweckallianz zwischen Sozialisten und Grünen

Es geschieht doch noch Unerwartetes: In Frankreich wird über die Stromversorgung durch Kernkraftwerke diskutiert. Das ist kein Wunder, aber eine Überraschung schon. Zwar ist Frankreich das Land, in dem im April 1971 erstmals in Europa gegen Atommeiler demonstriert wurde – also früher als auf der deutschen Seite am Oberrhein im Herbst 1972 – doch verstummten die Proteste nach dem Ölpreisschock von 1973 schlagartig. In den folgenden Jahrzehnten wurden 58 Kernkraftwerke gebaut, die heute 75 bis 80 Prozent der nationalen Energieversorgung sichern.

Allerdings kippte nach dem Supergau in Japan auch in Frankreich die Stimmung, zumindest bei den Grünen (Europa Écologie/Les Verts) und an den Rändern des Parti Socialiste (PS) – angesichts der 2012 anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen keine Nebensache. Immerhin haben sich die Sozialisten am 17. November nicht nur zu einem Wahlabkommen mit den Grünen durchgerungen, sondern ihnen damit auch 50 Wahlbezirken überlassen, was in der Presse als „historische Wende“ und „wahre Revolution“ (Le Monde) gefeiert wird. Europa Écologie/Les Verts erreichte zwar nicht, dass sich beide Parteien auch noch auf einen Atomausstieg nach deutschem Muster verständigten. Aber man ist sich soweit einig, bis 2025 zwei Dutzend der 58 Kernkraftwerke abzuschalten und den Anteil der Nuklearenergie an der Stromversorgung auf 50 Prozent zu senken.

Dieses Agreement heizt nun die Debatte über die Atompolitik von zwei Seiten her an. Eva Joly, Präsidentschaftskandidatin der Grünen, ärgert sich öffentlich darüber, dass die Sozialisten den Weiterbau des Kernkraftwerks Flamanville gutheißen und diese Position auf „Anregung“ des Energiekon­zerns Areva verteidigen. Joly lässt es wohl auch deshalb offen, ob sie ihre Wähler dazu aufruft, in Runde zwei des Präsidentenvotums dem sozialistischen Bewerber François Hollande ihre Stimme zu geben.

Ideologische Panzerfaust

Das wiederum animierte Noël Mamère, Jolys Wahlkampfmanager, zu der lakonischen Bemerkung, man müsse diese Kandidatin „einrahmen“ und dürfte sie nicht allein schwierigen Situationen überlassen, während die Sozialisten konsterniert auf den Affront Jolys reagierten. In einer parteiinternen Umfrage stimmten 71 Prozent dafür, Joly solle sich aus dem Wahlkampf zurückziehen – 38 Prozent der grünen Sympathisanten waren der gleichen Meinung.

In dieser Lage erkennt ein Taktiker wie Nicolas Sarkozy seine Chance und erhebt die Atompolitik im Handstreich zum dritten Wahlkampfthema neben dem in Toulon pathetisch verkündeten Sozialabbau (gegen die 35-Stundenwoche, für ein erhöhtes Rentenalter) und der Euro-Rettung.

Die zwischen Sozialisten und Grünen getroffenen Verabredungen zur Energiepolitik sind für ihn ein „Rückschritt ins Mittelalter“ und zielten auf die „Wiederkehr der Kerze“ . Vor allem erklärt Sarkozy die Atompolitik zur „nationalen Sache“, denn der um 40 bis 50 Prozent billigere Atomstrom garantiere Wohlstand, Arbeitsplätze und Sicherheit. „Energiepolitik“ – so der Präsident – „bedarf eines Konsenses, denn das nationale Interesse steht auf dem Spiel.“ Angekündigt ist ein Wahlplakat der Präsidentenpartei mit dem Slogan: Kuhhandel zwischen Roten und Grünen über Atomkraftwerke: 50 Prozent plus auf ihrer Stromrechnung! Das übliche Spiel mit der Angst der Wähler, die davor gewarnt werden, durch ihre Stimme für die Sozialisten die Energiepolitik zu ändern: „Alle Familien wären betroffen – und das übersteigt die Spaltung zwischen rechts und links.“

Den Vogel schießt der radikale National-Republikaner Jean-Pierre Chevènement ab. Er hält den Atomausstieg für ein Produkt des deutschen „Dogmatismus“ sowie einer „Ideologie der Angst“ und phantasiert vom Bau von zehn Kohlekraftwerken in Deutschland als Ersatz für die abgeschalteten Reaktoren: „Kohlekraftwerke verursachen jährlich 2.500 bis 3.000 Tote weltweit. In Fukushima gab es ganze zwei.“ Den Sozialisten wirft Chevènement vor, sie verrieten im Banne einer „ökologischen Gefühlsdiktatur ihre republikanischen Wurzeln und die Werte der Aufklärung (Glaube an die Vernunft, Freiheit der Forschung, Wille zum Fortschritt)“ – ein Griff zur ideologischen Panzerfaust.

Rudolf Walther schrieb zuletzt über Frankreich und das AAA-Ranking auf den Finanzmärkten

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