Die Wiederkehr der Solidarität

Im Gespräch Katja Maurer von der Hilfsorganisation "medico international" über zivile Selbsthilfe, deutschen Paternalismus und verräterische Wirtschaftsdaten

FREITAG: In welchen Ländern und auf welche Weise beteiligt sich medico derzeit an Hilfsaktionen?
KATJA MAURER: Medico unterstützt lokale Partner in Indien und Sri Lanka, die wir seit vielen Jahren über das People´s Health Movement, ein globales Gesundheitsnetzwerk, kennen und das über sehr viele Kontakte mit Basisgesundheitsinitiativen verfügt. Diese Organisationen haben einerseits die politische Idee, gesundheitliche Versorgung für jeden zu ermöglichen, andererseits leisten sie ganz praktische basisnahe Arbeit in den marginalisiertesten Regionen. Wir unterstützten und stärken diese Organisationen vor allem finanziell und schicken selbst keine eigenen Helfer in Krisengebiete. Man muss sich vor Augen halten, dass auch in Katastrophen wie dieser zwei Drittel der notwendigen Hilfeleistungen bereits geleistet sind, wenn die ausländischen Helfer ins Land kommen. Durch die Hilfe von außen werden Selbsthilfestrukturen manchmal wieder zerstört und damit auch erste Ansätze, die Traumatisierung zu überwinden.

Wie sieht die Hilfe konkret aus?
People´s Health Movement hat Ärzte und anderes medizinisches Personal in die südindischen Provinzen entsandt, wo sie sich bemühen, die Gesundheitsstrukturen wieder aufzubauen und die traumatisierten Menschen zu stabilisieren. In Indien sind die zivilgesellschaftlichen Strukturen sehr gut organisiert, was wiederum die Voraussetzung dafür ist, dass die Hilfe nicht in falschen Kanälen landet. In Sri Lanka wiederum sind Nichtregierungsorganisationen wichtig, weil sie im Unterschied zur Regierung, deren offizielle Hilfsleistungen immer auch unterschwellig gegen die tamilischen Rebellen gerichtet sind, das Vertrauen der Bevölkerung vor Ort besitzen. Koordiniert werden all diese Hilfsmaßnahmen von People´s Health Movement, die mindestens so professionell arbeiten wie westliche Hilfsorganisationen.

Medico hat kurz vor Weihnachten zu einer öffentlichkeitswirksamen Spendeaktion zur Räumung von Landminen aufgerufen. Es wird berichtet, dass durch das Seebeben Landminen weggeschwemmt wurden und dies nun eine weitere Bedrohung für die örtlichen Bevölkerungen darstellt. Wie sieht die Situation derzeit aus?
Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt in der Stärkung der verschiedenen Gesundheitsinitiativen und der Rehabilitation der betroffenen Gemeinden, nicht in der Räumung von Landminen. In Sri Lanka, wo wir tätig sind, existiert das Problem tatsächlich, dort geht es nun erst einmal darum, eine detaillierte Bestandsaufnahme zu machen. Es gibt Minenräum-Organisationen vor Ort, medico ist momentan nicht daran beteiligt. Es kann aber gut sein, dass wir das in einem zweiten Schritt mit unterstützen und Spenden dafür bereitstellen.

Wir erleben in der Bundesrepublik beispiellose Spendenbereitschaft, so dass die Mittel gar nicht abgerufen werden können. Ärzte ohne Grenzen hat deshalb zu zweckungebundenen Spenden aufgerufen. Wie schätzt Ihre Organisation die Spendenbereitschaft ein?
Ärzte ohne Grenzen ist eine Nothilfe-Organisation, die unmittelbar nach dem Eintritt einer Katastrophe interveniert. Medico setzt, über die aktuelle Nothilfe hinaus, auf eine langfristige Kooperation, die wir, wie gesagt, mit lokalen Partnern organisieren. Ich bin mir jedoch sicher, dass sich die politische und soziale Landschaft in den betroffenen Ländern in den nächsten Jahren erheblich verändern wird - und nicht unbedingt nur zum Positiven. Es fließen derzeit so viele Gelder, dass Korruption und Missbrauch gar nicht auszuschließen sind.

Es gibt ja heute schon Hinweise, dass die Hilfsmittel teilweise auch für nationale oder regionale Interessen missbraucht werden, zum Beispiel für Zwangsumsiedlungen in der indonesischen Krisenprovinz Aceh. Können Sie das bestätigen?
Uns melden Menschenrechtsorganisationen aus Indonesien, dass in dieser Provinz die Katastrophe zum Vorwand genommen wird, um Menschen, die - angeblich - die Rebellen unterstützen, zwangsweise in so genannte Wehrdörfer umzusiedeln. Wir versuchen, mit unseren Partnern ein Monitoring der Hilfe zu organisieren und ein internationales Netzwerk aufzubauen, das untersucht, was mit Hilfsgeldern geschieht, ob sie an den richtigen Stellen ankommen und professionell eingesetzt werden. Neben politischem Missbrauch steht auch zu befürchten, dass die beeindruckende Solidarität der Leute dazu führt, Hilfe nur als karitative Idee zu implementieren und dabei die politischen Kontexte aus dem Gesichtsfeld zu rücken.

In diesen Zusammenhang gehören ja die gerade anlaufenden Patenschaften zwischen hiesigen und betroffenen Städten in Südostasien. Halten Sie diese Art von Solidarität für sinnvoll?
Der Wunsch nach solchen Patenschaften ist verständlich, weil es für die Leute wichtig ist zu wissen, was mit ihrem Geld konkret passiert. Sie haben Angst, dass ihr Geld verschwinden könnte und ihre Hilfsbereitschaft enttäuscht wird. Man muss aber den Gestus hinterfragen, mit dem diese patenschaftliche Hilfe geleistet wird. Solche Partnerschaften sind nicht ganz frei von neokolonialem Paternalismus. Auch wir von medico waren nicht frei von diesem Karitativgedanken, als wir früher abgelaufene Medikamente und gebrauchte Kleidung sammelten, weil wir meinten, für die Dritte Welt sei das genug. Die professionellen Hilfsorganisationen sind dafür mittlerweile sensibilisiert, aber den Menschen, die jetzt Städte-, Schul- oder Kindergartenpatenschaften aufbauen, ist das selten bewusst, und sie überblicken auch selten die komplizierten politischen Kontexte in den betroffenen Ländern. Gerade die professionellen Hilfsorganisationen sollten also die zivilgesellschaftlichen Strukturen vor Ort stärken, aus denen heraus selbstbestimmt über den Aufbau entschieden wird. Trotz dieser Bedenken habe ich gleichzeitig aber auch das Gefühl, dass in dieser Katastrophe eine Chance steckt, weil global Verantwortung übernommen wird und die Idee der Solidarität wiederkehrt. Vergessen werden darf nicht, dass es - neben den Touristen - fast nur marginalisierte Bevölkerungsgruppen getroffen hat; die Wirtschaftsdaten in den jeweiligen Ländern sind überhaupt nicht eingebrochen, trotz der massenhaften Opfer - und das sagt viel über die Situation der armen Bevölkerung dort aus.

Das Gespräch führte Ulrike Baureithel


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