Die wollen nur spielen

Fußball Die WM in Frankreich ist angepfiffen. Dass Frauen kicken, war nicht immer selbstverständlich
Ausgabe 24/2019
Für den EM-Titel 1989 bekamen die Fußball-Frauen ein Kaffee-Service, B-Ware. Heute verdienen sie fünfstellig
Für den EM-Titel 1989 bekamen die Fußball-Frauen ein Kaffee-Service, B-Ware. Heute verdienen sie fünfstellig

Fotos [M]: Pressefoto Baumann/Imago Images, Rolf Vennenbernd/dpa

„Zu wem gehörst du?“ In dieser Frage, die viele Frauen und Mädchen schon im Stadion gehört haben, liegt eine Welt voller Missverständnisse über die Themen Frauen, Fußball und Frauen im Fußball. Zum einen strotzt die Vermutung, jede Stadionbesucherin sei als Begleitung eines Mannes da, nur so vor Geschlechterklischees: Frauen haben demnach keinen eigenen Antrieb, um Fußball zu schauen. In der Formulierung liegt außerdem die Annahme, letztlich gehöre jede Frau irgendwie zu einem Mann, wenn sie ihm auch in der westlichen Welt nicht gehört. Einige Fanszenen formulieren entsprechend deutlich, dass Frauen ihrer Ansicht nach im Stadion nichts zu suchen haben. Ein Beispiel der vergangenen Saison war das Spiel von Dynamo Dresden beim FC St. Pauli in Liga zwei, zu dem Dresdner Fans ein Banner mit der Aufschrift „Ihr müsst heute Abend hungern, weil eure Fotzen mit euch im Block rumlungern“ mitbrachten.

Weibliche Fans gab es immer

Sind also Fußballfans per se sexistisch? Das lässt sich glücklicherweise mit einem klaren „Nein“ beantworten. Sexismus im Stadion ist für viele weibliche Fans dennoch Alltag. Nicht immer tritt er so offensichtlich hervor wie an jenem 1. Dezember in Hamburg. Zu selten wird er ernst genommen. „Das gehört halt dazu“, „War doch nur Spaß“, „Fußball ist halt ein Männersport“, auch das sind Sprüche, die Frauen im Stadion heute noch zu hören bekommen. Gegen diesen Mix aus Sexismus und Ignoranz bilden weibliche Fans mittlerweile untereinander Banden, kämpfen um ihre Sichtbarkeit und dafür, dass ihre Anwesenheit im Stadion immer und überall Normalität wird. Das geschieht beispielsweise beim „F_in – Netzwerk Frauen im Fußball“ oder mittels der Wanderausstellung Fan.Tastic Females – Football Her.Story, in der etwa 80 weibliche Fans aus aller Welt die Geschichte ihrer Fußballliebe erzählen.

Die Eroberung des Fußballs durch die Frauen ist allerdings nicht neu, weibliche Fans hat es immer gegeben. Das belegen auch frühe Zuschauerfotos. Was es ebenfalls immer gab, sind Männer, die versuchten, Frauen aus „ihrem“ Sport herauszuhalten. Und das gilt in den Kurven ebenso wie auf dem Platz. So verbot der Deutsche Fußball-Bund seinen Mitgliedervereinen wenige Jahre nach seiner Neugründung, den Aufbau von Frauenfußballabteilungen sowie die Nutzung der Plätze für Frauenspiele. Der Sport galt den Herren beim Verband damals als unweiblich: „Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand“, hieß es in dem Beschluss von 1955.

Verbieten konnte der DFB freilich lediglich die Gründung von Vereinen unter seinem Dach, nicht aber das Spielen an sich. So gab es auch in der Verbotszeit Spiele der Frauen. Ende 1970 schließlich legalisierte der Verband den Frauenfußball, vermutlich weniger einem echten Sinneswandel folgend, als um Deutungshoheit zu erlangen. Innerhalb des eigenen Verbandes ließ sich das Spiel der Damen besser regulieren und entsprechend gab es anfangs auch Auflagen wie eine monatelange Winterpause und eine verkürzte Spielzeit von nur 70 Minuten.

Inzwischen ist die Geschichte des Frauenfußballs in Deutschland eine erfolgreiche, wenn auch zuletzt mit Brüchen. Zwei Mal waren die DFB-Frauen Weltmeisterinnen (2007 und 2003), acht Mal holten sie bereits den EM-Titel. Drei Titel gelangen unter Bundestrainerin Silvia Neid, die bei vier weiteren bereits als Co an der Linie gestanden hatte. Neid verabschiedete sich 2016 mit einer olympischen Goldmedaille, der Neuanfang unter Nachfolgerin Steffi Jones scheiterte aber. Interimstrainer Horst Hrubesch sicherte mit dem Team die WM-Teilnahme, im November 2018 wurde dann Martina Voss-Tecklenburg als neue Bundestrainerin vorgestellt. Mit ihr soll quasi im zweiten Anlauf der Neustart nach dem Neustart gelingen.

Nun also die Weltmeisterschaft in Frankreich, mit kaum Chancen auf eine Standortbestimmung im Vorfeld. Das gilt sportlich ebenso wie in Sachen Interesse der Öffentlichkeit am Turnier. In den letzten Monaten gab es zum Frauenfußball einige Schlagzeilen, oft ging es dabei um die Bezahlung der Sportlerinnen. Kritiker monieren, eine Annäherung an Gehälter und Prämien der Männer sei schon deshalb falsch, weil weniger Zuschauer*innen kommen, wenn die Frauen auf dem Rasen stehen. Der Einwand ignoriert freilich, dass der Fußball der Herren durch die Verbotsphase 20 Jahre Vorsprung auf den der Frauen hat und finanziell gut gebettet gedieh und weiterhin gedeiht. In einigen Ligen wurden in den vergangenen Monaten Zuschauer*in-​nen-Rekorde verzeichnet. Es wird spannend, ob und wie sich die WM darauf weiter auswirkt.

Pferdeschwänze statt Eier

Im Spot eines Werbepartners jedenfalls begegnen die DFB-Frauen dem geringeren Interesse an ihrem Sport spielerisch. „Weißt du eigentlich, wie ich heiße?“, fragt Spielführerin Alexandra Popp in die Kamera, Dzsenifer Marozsán und Melanie Leupolz gesellen sich zu ihrer Kapitänin. Schließlich ertönt aus dem Off: „Wir spielen für eine Nation, die unsere Namen nicht kennt.“ Auch das berühmte Kaffeeservice, das es anlässlich des ersten EM-Titels 1989 für das damalige Team gab, hat einen Auftritt. Die Aussage „Seit es uns gibt, treten wir nicht nur gegen Gegner an, sondern vor allem gegen Vorurteile“, darf als Kritik an jenen gesehen werden, die sich bis heute unbelehrbar über fußballspielende Frauen lustig machen und an ihrer Behauptung festhalten, was die Damen da zeigen, habe mit Fußball nichts zu tun.

Die Schleife zum Spiel der Männer fliegt der Spot schließlich mit einer Anlehnung an Oliver Kahns berühmtes Zitat: „Eier. Wir brauchen Eier.“ Die Frauen stellen nun selbstironisch fest: „Wir brauchen keine Eier. Wir, wir haben Pferdeschwänze.“ Eigentlich dürfte ein solcher Spruch im Jahr 2019 nicht mehr als Provokation durchgehen, stellenweise wurde er dennoch so aufgenommen. Die Fußballfrauen tun aber gut daran, mit genau dieser Selbstironie ihr eigenes Ding zu machen– und sich dabei nicht an den männlichen Kollegen zu orientieren. Die Belehrung ihrer Kritiker wäre Zeitverschwendung.

Fans der Frauenliga ebenso wie der Nationalmannschaft befinden sich ohnehin im Zwiespalt, wenn es um die Frage geht, wie weit der Fußball der Damen zu dem der Herren aufschließen sollte. Auf der einen Seite wäre mehr Aufmerksamkeit für den Sport gut und wichtig, auf der anderen bringt mehr Interesse über kurz oder lang aber eine zunehmende Kommerzialisierung mit sich. Und der Fußball der Herren ist ein mahnendes Beispiel, wenn es darum geht, wie diese Schraube immer weitergedreht wird. Dabei bleiben Aspekte wie Nahbarkeit der Sportler*innen ebenso wie eine gewisse Bodenständigkeit in diesem Sport zwangsläufig auf der Strecke. Die große Hoffnung wäre deshalb, einen goldenen Mittelweg zu finden zwischen dem eigenen Ist-Zustand und dem im Herrenfußball – also die Rahmenbedingungen und Bezahlung weiter zu professionalisieren – ohne in Sachen Kommerz, Abgehobenheit und Entfremdung von der Basis das ganz große Zirkuszelt aus dem Männerfußball aufzuschlagen.

Mara Pfeiffer ist freie Journalistin und Mainz-05-Anhängerin. Sie bloggt und tritt als Expertin im Fernsehen und in Podcasts auf

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