Die Wunden und die Wahrheit

Staatssicherheit Der Streit um die 47 Mitarbeiter der Jahn-­Behörde legt einen heiklen Punkt frei: das Verhältnis von DDR-Aufarbeitung und Opfern

Inzwischen ist wieder von einem „Klima der Versöhnung“ die Rede. Doch wer den aktuellen Streit im deutschen Erinnerungsbetrieb verfolgt, kann Zweifel haben, dass ein solches möglich ist. Zwischen den Akteuren einer Debatte, in der man sich „Menschenjagd“ vorwirft, der „geistigen Umnachtung“ zeiht und nun auch noch mit Rücktrittsforderungen beackert, sieht nichts nach Versöhnung aus.

Roland Jahn, seit März dritter Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, will 47 ehemalige Mitarbeiter des DDR-Geheimdienstes, die in der Behörde unter anderem als Pförtner und Archivare tätig sind, „entfernen“, wie eine in den Medien übliche Formulierung lautet. Jahn formuliert es so: Als „Anwalt der Opfer“ halte er es für einen Schlag in deren Gesicht, wenn ausgerechnet bei der Gauck-Birthler-Jahn-Behörde frühere MfS-Leute tätig seien. Das freilich ist lange bekannt, nach Angaben aus der Behörde waren sie in der DDR „nicht repressiv tätig“, und nach rechtsstaatlichen Maßstäben gibt es weder Grund noch Hebel, die Mitarbeiter zur Versetzung zu zwingen. Jahn aber findet, es gebe ein moralisches Argument.

Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefels­pütz hat ihn dafür einen Eiferer genannt: Es könne nicht sein, dass die Arbeitsverhältnisse der 47 Mitarbeiter an erster Stelle der Agenda des neuen Behördenchefs stehen. Jahn hält dagegen, Versöhnung könne nur stattfinden, wenn die Wunden der Opfer geheilt seien. „Wenn sie mir sagen, wir empfinden die Arbeit dieser Leute gerade in dieser Behörde als Schlag ins Gesicht, dann kann ich das nicht ignorieren“, hat Jahn in einem Interview erklärt. Der ostdeutsche Theologe und Sozialdemokrat Richard Schröder widersprach: „Dass die Perspektive der Opfer das letzte Wort hat, ist nicht in Ordnung. Opfer und Täter sind befangen. Der Bundesbeauftragte hat die Aufgabe, die Behörde in der Mitte zu halten.“ Worauf ihm der umstrittene Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, den Rücktritt als Beirat der Behörde nahelegte. Die „dubiose“ Äußerung Schröders zeige ihm, „dass er von den Opfern sehr weit weg“ sei. Andere schlossen sich dem an. Und der Historiker Manfred Wilke fand es sogar generell „befremdlich“, Jahn zu kritisieren – schließlich sei jedermann bekannt, „dass dieser Bundesbeauftragte die Gefängniszellen der Stasi von innen gesehen hat“.

Darf man Opfer kritisieren?

Hierin liegt der heikle Grund für die Schärfe einer Diskussion, in der es um die 47 Mitarbeiter der Behörde in Wahrheit gar nicht geht. Sie sind zu einem Anlass geworden, sich über die Frage zu streiten, aus welcher Perspektive Aufarbeitung in staatlichem Auftrag zu erfolgen hat. Und welche Rolle den Opfern zugemessen wird.

Darf man sie nicht kritisieren? Wer gehört eigentlich dazu? Und ist ihre Betroffenheit der richtige Maßstab für eine Bundesbehörde, der – was vom Standpunkt unabhängiger Wissenschaft ohnehin problematisch ist – eigene Kompetenzen der Forschung zugebilligt werden?

Aus der Wendegeschichte ist der Selbstanspruch, den Jahn hier erkennen lässt, durchaus nachvollziehbar: Es waren eben zu einem Teil die von Repression Betroffenen, welche für die Öffnung der Akten eintraten. Die Behörde dokumentiert dies in einer Art Tradition: realistische Chancen, zu Bundesbeauftragten gewählt zu werden, haben bisher nur frühere DDR-Oppositionelle. In diesem Amt müssen sie aber mehr sein als „Anwälte der Opfer“. Und das ist das Problem von Roland Jahn.

Die Stasiunterlagen-Behörde wurde einst mit einem nüchternen Auftrag ausgestattet. Er enthält die Erfassung, Verwaltung und Herausgabe von Akten sowie einen auf die Information der Öffentlichkeit gerichteten Aufarbeitungsbegriff und verpflichtet zur Unterstützung von Forschung und Medien. Es gibt andere Orte, sich – um in Knabes Bild zu bleiben – sehr nah bei den Opfern mit der DDR zu befassen: Zahllose Verbände und die Stiftung Aufarbeitung zum Beispiel, in deren Geburtsurkunde „die Erinnerung an das geschehene Unrecht und die Opfer“ eigens aufgenommen worden ist.

Jahn sagt, es gehe ihm um die Glaubwürdigkeit der Unterlagen-Behörde. Der Glaubwürdigkeit würde heute, fast 20 Jahre nach ihrer Einrichtung, ein Mehr an Äquidistanz gut tun. Die gerade von ihr ausgehende Fixierung auf die Staatssicherheit, die politische Indienstnahme von Enthüllungen, die gegen rechtsstaatliche Maßstäbe der Verjährung verstoßende Endlosüberprüfung von öffentlichen Amtsinhabern – all das hat der Aufarbeitung mehr geschadet, als es die 47 Mitarbeiter je tun könnten.

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