Von Beirut aus zieht sich die Küstenstraße in den Norden. Auf einer Landzunge ragt der antike Hafen Tripoli, der zweitgrößten Stadt des Libanon, ins Mittelmeer. Von hier aus ist es nicht mehr weit nach Syrien. In Tripoli, arabisch Tarabulus, Stadt der drei Hügel, haben Phönizier, Römer, diverse arabische Dynastien, Kreuzfahrer, Mamluken, Osmanen ihre Spuren hinterlassen. Eine Kreuzfahrerfestung thront über der Stadt, in der im Mittelalter Juden, Christen und Muslime auf engem Raum zusammenlebten.
Bis heute versetzt die Altstadt Tripolis Besucher in fast vergangene Zeiten. Tee trinkende Männer und Kartenspieler, fliegende Obsthändler und spielende Kinder bestimmen das Straßenbild. Anders als die bürgerkriegszerstörte und modern
und modern wiederaufgebaute Hauptstadt Beirut hat Tripoli einen orientalischen Charakter bewahrt. Kleine Handwerksgeschäfte säumen die Straßen, hier gibt es mittelalterliche Moscheen, Badehäuser und Warenlager inmitten eines mamlukischen Basars mit verwinkelten Gässchen.Einkehr inmitten der städtischen Betriebsamkeit bot die Buchhandlung des gelehrten griechisch-orthodoxen Priesters Ibrahim Sarrouj. Sie enthielt rund 80.000 Werke und war die zweitgrößte Buchhandlung des Libanon. Am 3. Januar wurde sie von Unbekannten islamistischen Hintergrunds angezündet, angeblich weil dort eine Schrift verkauft wurde, die den Propheten Muhammad schmähte. Der Priester hatte sich, als er von den Gerüchten hörte, mit Imamen der umliegenden Moscheen verständigt. Zu spät: Unbekannte überfielen den Buchladen, schossen auf einen Mitarbeiter und legten Feuer. Über zwei Drittel der zum Teil wertvollen antiquarischen Werke wurden unwiderruflich zerstört.Für mich, die den Libanon häufig besucht, war diese Buchhandlung einer der wundersamsten Orte im ganzen Land. Bis unter die Decken eines alten Gewölbes standen die Bücher, jedes einzelne kannte Ibrahim Sarrouj. Hier schien die Zeit stillzustehen; so müssen Bibliotheken in mittelalterlichen arabischen Städten ausgesehen haben. Man fand dort alles, antiquarisch und neu, Werke zur Geschichte des Christentums und des Islam.Ein TelefonatIm Libanon, der auch nach dem Ende des Bürgerkriegs von interreligiösen Spannungen gekennzeichnet ist (aktuell in Tripoli entladen sich diese vor allem zwischen Alawiten und Sunniten) war die Buchhandlung des Priesters ein Ort der Begegnung über religiöse Grenzen hinweg. Selbstverständlich fanden sich dort wertvolle Korane und wichtige Werke zur islamischen Geschichte.Ich selber habe Quellen der mittelalterlichen arabisch-islamischen Geschichte kaufen können. So speziell die Titel auch sein mochten, Ibrahim Sarrouj wusste sofort, wo genau dieses Buch in seiner verwinkelten Buchhandlung zu finden war. Meist schloss sich ein ausführliches Gespräch über das Werk an. Ibrahim Sarrouj war durch seine Kenntnisse, seine Sammelleidenschaft, seine Freude an Gesprächen ein Vermittler zwischen Religionen und Kulturen, seine „Saeh library“ ein Ort, an dem Wissen verwahrt und weitergegeben wurde, das über Jahrhunderte nur im Austausch zwischen den monotheistischen Religionen in dieser Weise gedeihen konnte. Trotz Bedrohungen als Christ verharrte Sarrouj mit seiner Buchhandlung in der Altstadt Tripolis. Ihre Zerstörung ist ein Verlust für den gesamten Libanon. Sie war das Lebenswerk dieses bewundernswerten Mannes, der den Mut hat, die eigene Kirche zu kritisieren, und sich für Multireligiosität einsetzt; in einem Forum der interreligiösen Verständigung zwischen Christen und Muslimen wirkt er als Delegat der griechisch-orthodoxen Kirche.Es ist ein großes Glück, dass dieser Artikel hier nicht enden muss. Denn: Schock und Trauer haben Menschen in Tripoli inzwischen über Religionsgrenzen hinweg vereint. Rasch nach dem Anschlag bestand hier Konsens, dass man sich nicht wertvollste Schätze ihrer Stadt, ihres Landes durch religiöse Fanatiker zerstören lassen dürfen. Am Tag nach dem Brand hatte sich Ibrahim Sarrouj in ein Kloster zurückgezogen. Bereits am Montag, den 6.1., dem Fest der Heiligen Drei Könige, wurde er in die Stadt zurückgeholt. Muslime und Christen begleiteten ihn, gleichsam in einer Prozession, durch die Altstadt zu seiner zerstörten Buchhandlung. Politiker schalteten sich ein; der Präsident des Libanon rief an; die Imame der Moscheen in Tripoli bekundeten ihre Trauer und ihr Entsetzen in Gesprächen und durch Besuche.Als ich gestern Ibrahim Sarrouj auf seinem Mobiltelefon erreichte, saß er im Taxi in Tripoli. Er klang aufgeräumt. Auf die Frage, ob der Anschlag ein Zeichen für eine wachsende Bedrohung der Christen in Tripoli sei, entgegnete der fast 80-Jährige entschieden: „Im Gegenteil. Die Zerstörung meiner Buchhandlung hat gezeigt, dass Christen und Muslime aller Glaubensrichtungen in Tripoli zusammenstehen. Noch nie hat meine Buchhandlung so viel Aufmerksamkeit erfahren. Ich werde alles wieder aufbauen und zwar genau dort, wo eine Buchhandlung hingehört: inmitten der lebhaften Gassen der Altstadt Tripolis.“