Die Zeit wird plastisch

Architektur Der Bauhaus-Stil prägt unsere Umgebung bis heute. Wie Walter Gropius und seine Kollegen wohnten, sieht man jetzt neu in Dessau
Ausgabe 20/2014
Die Zeit wird plastisch

Foto: Jens Schlueter / AFP Getty Images

Bleibt das so?“, fragt ein Tourist mit Sonnenhut und Trekking-Outfit und zeigt auf das Direktorenhaus von Walter Gropius. Eine kleine Reisegruppe hat sich in der Ebertallee in Dessau-Roßlau vor den neu errrichteten Meisterhäusern des Bauhaus versammelt. Draußen wird noch Rollrasen verlegt, drinnen an der Elektrik gearbeitet. „Die Fenster, da kann man ja gar nicht durchgucken, sind da Folien drauf? Die kommen doch noch ab, oder?“ Die Reiseleiterin weiß es auch nicht so genau.

Schon vor der Eröffnung am 16. Mai ist die Neugierde groß. Millionen sind in die Rekonstruktion der Meisterhäuser Gropius und Moholy-Nagy geflossen. Die Bauhaus-Gebäude sind Teil des Meisterhausensembles, das zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Zum Festakt an diesem Freitag wird Bundespräsident Joachim Gauck erwartet, außerdem eine der Töchter des Bauhaus-Künstlers László Moholy-Nagy, ein Enkel Lyonel Feiningers, Größen aus der Kunstwelt und ein internationales Presseaufgebot. Die parallel stattfindende Eröffnung der Ausstellung Dessau 1945 – Moderne zerstört mit bislang unbekannten Fotos von Henri Cartier-Bresson und ein breites Rahmenprogramm werden die Stadt für einige Tage groß ins Gespräch bringen. Ganz Dessau? Oder doch nur das Bauhaus, das Designliebhaber in aller Welt heute mehr denn je zu faszinieren scheint?

Die Folien an den Fenstern kommen nicht ab. Es sind gar keine. In einem aufwendigen Prozess hat das Berliner Architekturbüro Bruno Fioretti Marquez ein Fensterglas herstellen lassen, das halb erblindet wirkt, fast nahtlos eingelassen in die am Stück gegossenen Betonwände. Das Gropius-Haus und das Moholy-Nagy-Gebäude waren 1945 zerbombt worden. Um den Wiederaufbau gab es jahrzehntelang Streit. Jetzt stehen die Häuser da wie übergroße Architekturmodelle. Stumme Zeugen einer spannenden Ära.

Reihenhaus mit Hühnerstall

In der Dessauer Ebertallee, nur wenige Minuten vom legendären großen Bauhaus-Gebäude entfernt, lebten und feierten in den 20er Jahren nicht nur Walter Gropius und László Moholy-Nagy, sondern auch Wassily Kandinsky, Paul Klee, Oskar Schlemmer, Gunta Stölzl, Georg Muche und etliche andere. Allesamt „Meister“ – so genannt, nachdem Walter Gropius den hierarchischen Zunftgedanken des Handwerks ins Bauhaus-Konzept aufgenommen hatte. Das Prinzip: Kunst, Architektur und Handwerk unter einem Dach.

Nach dem Ersten Weltkrieg rang die Republik um eine neue soziale Ordnung, während hier am Design für eine neue Gesellschaft gearbeitet wurde. Im Weimarer Bauhaus experimentierte man von 1919 bis 1923 noch wild in unterschiedliche Richtungen. In Dessau aber setzte sich sehr bald der Industriegedanke durch. Wie leben, als Mensch der Moderne? Wie sich einfügen in die neuen Produktionsprozesse? Schönes, Praktisches und Bezahlbares für den Alltag sollte entstehen und in Serie gehen. In der Siedlung Törten in Dessau Süd ist diese Übergangszeit noch ganz plastisch zu besichtigen: Da stehen moderne Reihenhäuser, ausgestattet mit Hühnerställen und Torfklos. Herr Wolter, ein langjähriger Anwohner, der in Törten Führungen macht, sagt: „Zu DDR-Zeiten wussten wir nicht, was für einen Schatz wir hier haben. Meine Eltern erzählten immer nur von den Künstlern, die in der Ebertallee gefeiert und für Unruhe gesorgt haben.“

Alte Fotos, ein paar Pläne und Zeichnungen von den zwei zerstörten Meisterhäusern existieren noch. Aber eine originalgetreue Rekonstruktion kam für das Berliner Architekturbüro nicht in Frage. Lieber arbeiteten sie mit dem Prinzip Unschärfe, wie Pepe Marquez, einer der drei Architekten, erklärt. „Woran erinnert man sich, wenn man an den Spielplatz aus der Kindheit denkt? Man wird vielleicht sagen, der Platz war grün, aber vielleicht war er in Wahrheit braun, und die Spielkameraden von früher sehen es wieder anders vor sich. Die Frage ist: Wie scharf sind unsere Erinnerungen?“ Blickt man aus einem der stumpfen Fenster des Gropiushauses, kann man schemenhaft die gegenüberliegende Straßenseite erkennen, sie wirkt wie eine verblasste Fotografie.

Im Inneren herrschen Reduktion und Minimalismus. Da, wo einst Fußböden waren, kann man jetzt bis ins untere Geschoss gucken, nichttragende Wände fehlen ebenso wie Farben oder wie die Türen zu den Balkonen. Artefakte deuten nur an, was einst wo gewesen sein muss. Hier hat der Künstler Olaf Nicolai zurückhaltend, aber prägend seine Arbeit geleistet: Geometrische Flächen aus unterschiedlichem Putz, mal grob, mal fein, bedecken die Wände und erzeugen im Vorbeigehen dezente Licht- und Schatteneffekte.

„Fotografen haben sich schon beschwert, dass man das nicht so fotografieren kann, wie man es mit dem Auge sieht“, sagt Nicolai. „Die Frage war für mich, wie bringe ich etwas vom Bauhaus wieder in die Welt, ohne es platt zu zitieren. Die Bewegung im Raum erzeugt unterschiedlichste Bilder und Gedanken, setzt etwas in Bewegung – das war mir wichtig.“ Das Berliner Stadtschloss oder die Dresdener Frauenkirche bezeichnet er dagegen als „Zeitauslöschungsmaschinen“. Da werde so getan, als hätte es keine Geschichte nach dem Bau des Objekts gegeben, findet Nicolai.

Die Meisterhäuser von Feininger, Muche, Schlemmer, Kandinsky und Klee sind seit der Wende schon aufwendig restauriert worden. In Kombination mit den jetzt neu wieder aufgebauten Häusern Gropius und Moholy-Nagy lassen sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugleich besichtigen – buchstäblich beim Doppelhauskomplex Moholy-Nagy/Feininger: rechts die restaurierte Feininger-Hälfte von 1990 mit allen Details, links die radikale Umsetzung der Unschärfe. Steht man davor, kann man die Zeit zwischen den Haushälften praktisch fühlen.

Noch näher kommt man der frühen Moderne, wenn man sich im Prellerhaus auf der Rückseite des Bauhaus-Gebäudes in der Gropiusallee einmietet. In diesem ehemaligen Ateliergebäude der Bauhaus-Schüler kann man für 35 Euro übernachten. Klo, Dusche und Teeküche liegen auf dem Flur, die Zimmer sind groß und lichtdurchflutet. Im Juli eröffnet auch die Mensa wieder, mit frischer Küche zu bezahlbaren Preisen. Kombitickets machen es möglich, die quer über die Stadt verteilten Bauhaus-Spuren mit Führungen ausgiebig zu studieren,

Mittelschwere Depressionen

So frisch, elegant, ja zeitlos modern das Bauhaus-Erbe bis heute wirkt: Es erstrahlt allein auf der Westseite des Dessauer Bahnhofs. Östlich davon geht es der Stadt gar nicht gut. Unwahrscheinlich, dass ein Tourist freiwillig hier spazieren geht. Maroder Plattenbau neben hohläugigen Altbaufassaden, Billigkaufhäuser neben Leerstand. Die Innenstadt rund um die Zerbster Straße hat das Potenzial, mittelschwere Depressionen auszulösen. Hier laufen Menschen mit sehr großen Hunden herum, schieben Rentnerinnen ihre Gehhilfen über den Bürgersteig. Ein paar Jugendliche spielen im Stadtpark Basketball, aber die wenigen Autos, die durch die Gegend fahren, transportieren vor allem mobile Pflegedienste. Ein Betrunkener wankt vorbei, nuschelt vor sich hin: „Alles kaputt, kaputt!“

Dessau, die ganz reale, heutige Stadt, bröckelt, sie erinnert fast an Detroit. Seit der Wende 1989 haben rund ein Drittel der Bewohner die Stadt verlassen, die Eingemeindung von Roßlau im Jahr 2007, seit der Dessau offiziell Dessau-Roßlau heißt, machte die Stadt nur auf dem Papier größer. Knapp 90.000 Menschen leben (noch) hier. Die Prognose bis 2030: Weitere 20 Prozent werden abwandern. Arbeitslosigkeit, Überalterung, tote Hose. Und die Folgen sind schon lange spürbar. Grundschulen schließen, Hochschulen sollen zusammengelegt werden. Ernüchternd sind die Perspektiven besonders für die Dessauer Kulturszene: Das Anhaltische Theater mit seinen vier Sparten und über 1.000 Plätzen muss drastische Kürzungen hinnehmen, Ballett und Schauspiel stehen auf der Kippe, monatelangen Protesten, Bittbriefen und 45.000 Unterschriften für den Erhalt zum Trotz.

Die aufgeheizte Stimmung war auch beim Kurt-Weill-Fest im März dieses Jahres ein Thema. Herzstück des vielfältigen – und auch von auswärts gut besuchten – Programms war eine Inszenierung der Beggar’s Opera. Darin spielt Sachen-Anhalts Kultusministerium rund um Stephan Dorgerloh (SPD) eine unrühmliche Hauptrolle: Ein kenntnisloser Einspardirektor namens Mr. Hopeman greift immer wieder ins Geschehen ein. Es fehlt in der Region Geld, es fehlen Menschen – vor allem aber fehlt die Tatkraft der politisch Verantwortlichen, so die Meinung der örtlichen Kulturszene. Dorgerloh hat auch mit einer Bauhaus-Personalie Unmut auf sich gezogen: Überraschend beendete er den Vertrag mit dem bisherigen Bauhaus-Direktor Philipp Oswalt. Der wissenschaftliche Beirat des Bauhauses trat geschlossen zurück.

Die Hoffnungen ruhen nun auf der Ostberlinerin Claudia Perren, 41. Die promovierte Architektin und Kuratorin lehrte zuletzt acht Jahre lang im australischen Sydney. Im August übernimmt sie die Direktion des Bauhauses in Dessau-Roßlau. „Und ich ziehe natürlich dorthin“, sagt sie. Das Wohnen im Bauhaus-Umfeld ist jedenfalls bezahlbar. Der Quadratmeterpreis für Immobilien liegt hier mit rund 900 Euro weit unter dem Bundesdurchschnitt (rund 2.400 Euro), eine 100-Quadratmeter-Wohnung kann man für 600 Euro monatlich mieten – warm. Und das direkt an der Elbe, nahe Weimar und Leipzig und nur eineinhalb Stunden von Berlin entfernt.

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