Hans-Peter Dürr hinterließ einen Schatz an Wissen und Gedanken, an Ideen und Visionen, der uns aufruft, anzuknüpfen. Er war ein Kosmopolit im besten Sinne, international berühmt und hoch geschätzt. Wie so viele andere erfuhr er in seiner Heimat nicht die Anerkennung, die er verdient hätte.
Als langjähriger Direktor des Max-Planck Instituts für Kernphysik und des Heisenberg Instituts stellte er sich schon in den 1980er Jahren gegen jede Form der Nutzung der Atomenergie, sei es militärisch oder „zivil“.
Dem mechanistischen Denken, das den Menschen als eingebunden in seine Verhältnisse deutet, zum Produktionsfaktor und zur Biomaschine reduziert, erteilte er eine Absage. Und er klagte jene Vertreter der Wissenschaften an, die mittels
d er klagte jene Vertreter der Wissenschaften an, die mittels ihrer Disziplin instrumentelles Verfügungswissen erzeugen und anwenden halfen, ohne ethisch zu reflektieren, ohne Orientierungswissen zu erzeugen. Damit rüttelte er am Elfenbeinturm der Wissenschaft, stellte Deutungshoheiten in Frage und schob die Verantwortung für das eigene wissenschaftliche Handeln in den Vordergrund. Das dankten ihm viele seiner Kollegen nicht. Stattdessen bekämpften sie ihn, versuchten ihn mundtot zu machen, aus macht- und wissenschaftspolitischen Erwägungen, aus Unverständnis sowie aus verletzter Eitelkeit. Aber er wäre nicht Hans-Peter Dürr gewesen, wenn er nicht den Mut gehabt hätte, sich dem entgegenzustellen, sich mit seiner Kraft und seinem Intellekt konsequent für das einzusetzen, woran er glaubte. Und diese Kraft war beachtlich.Ihm ging es um Frieden, um die Abschaffung von Atomwaffen und die Bekämpfung des Krieges und der kriegstreiberischen Mittel politischer und ökonomischer Macht. Unermüdlich wandte er sich gegen militärische Interventionen (seine enge Verbindung zur Wissenschaftsszene in den USA war auch eine wichtige Quelle seiner fundierten und unermüdlichen Kritik US-imperialer Politik) und plädierte für die zivile Lösung von Konflikten – bis zuletzt im Bürgerkrieg in Syrien. Michael Gorbatschow, mit dem er freundschaftlich verbunden war, bezeichnete ihn einmal als einen der wesentlichen Ideengeber der neuen sowjetischen Außen- und Abrüstungspolitik. Die Gier nach Geld und Macht widerten ihn an und er scheute sich nicht, dies zu benennen. Dem stellte er die Vielfalt der Kulturen, die Freiheit, Selbstbestimmtheit und Kooperationsfähigkeit, die Kreativität und Liebe gegenüber.Wie Wenigen gelang es ihm, tiefe wissenschaftliche Expertise mit zivilem, politischem und persönlichen Engagement zu verbinden. Für eine zukunftsfähige Entwicklung, für Wissenschaft und Zivilgesellschaft, unsere Kulturen des Denkens und für den Frieden hat er sich wahrhaftig verdient gemacht. Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Peter Dürr erfuhr ebenfalls Anerkennung. So erhielt er 1987 den Alternativen Nobelpreis (Right Livelihood Award), für die Gruppe Internationale Pugwash Bewegung gegen die Atomwaffen nahm er 1995 den Friedensnobelpreis entgegen, 2002 die Ehrendoktorwürde der Universität Oldenburg und 2004 das Große Verdienstkreuz des Bundesverdienstorden der Bundesrepublik Deutschland, um nur einige der Ehrungen zu nennen.Hans-Peter Dürr war ein Meister der Sprache und Gleichnisse. Er erzählte oft, dass er fast 40 Jahre seines Lebens damit zugebracht hat, sich immer tiefer in den Mikrokosmos hinein zu begeben, dort nach einem Urgrund zu suchen, dem kleinsten verbindenden Teilchen auf die Spur zu kommen, es mit der Sprache der Mathematik, die er so herausragend beherrschte, zu erfassen und zu beschreiben. Doch dann ist da nichts, was es zu fassen gibt, stattdessen pure Potenzialität, sich ständig kreativ neu erschaffende Differenz - statt Teilchen „Passierchen“, wie er sagte. „Materie basiert nicht auf Materie“ – eine unerhörte Aussage, deren Konsequenzen so weit reichen und nicht nur für unser Selbstverständnis, sondern auch für den Umgang mit unserer Welt, der Natur in und um uns, folgenreich ist. Was bleibt, ist der lebendige Geist, der untrennbar alles verbindet. Das Tote existiert, genau genommen, nicht, sagte Hans-Peter Dürr. Es sind die Fuseln, die vielen Verbindungen und Berührungen, die den Zusammenhalt eines Wollknäuels schaffen, nicht der Faden, so zeigte er uns. Nicht eine dingliche Realität, keine aus Teilchen zusammengesetzte Welt, die in ihrer Grundstruktur mechanistisch ist. „Auch das Unwahrscheinliche geschieht in Zukunft wahrscheinlicher.“ Und dann schlug er sein Chaospendel an, um zu zeigen, dass diese Welt und wir Menschen darin nicht prädeterminiert sind, jeder noch so klitzekleinste Impuls auf alles wirkt, und daraus folgt, dass „die Zukunft offen und gestaltbar“ ist. Wir alle sind grenzenlos wirksam. Die Potsdamer Denkschrift von 2005 schließt mit den Worten: „Allein die Tatsache unserer Existenz als Menschen heute sollte uns zeigen, dass auch wir das erfolgreiche Ergebnis einer ähnlichen schon Milliarden Jahre währenden schrittweisen Entwicklung sind. Unsere Zuversicht ist nicht ohne Basis. Wir müssen fortfahren, neues Wissen zu schaffen, das Lebendigkeit vermehrt erblühen lässt. Wir können uns darauf verlassen, dass diese Kraft in uns wirkt. Denn die Allverbundenheit, die wir Liebe nennen können und aus der Lebendigkeit sprießt, ist in uns und in allem Anderen von Grund auf angelegt.“Mit seinem Leben und seinem großen Werk hat uns Hans-Peter Dürr reich beschenkt. Es lohnt, sich an ihm ein Beispiel zu nehmen. Er fordert uns auf, Stellung zu beziehen und mutig für ein Miteinander der Menschen und Kulturen in Frieden und in Liebe einzutreten.
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