Diene dem Despoten

Italien Ob Poolparties oder Noemi Letizia – Silvio Berlusconi lenkt mit seiner bewährten Masche von der Politik ab. Auf der Strecke bleibt die Demokratie

Eine Velina ist eine Tänzerin, die in einer TV-Show der Berlusconi-Sender am Bildrand erscheint. Sie trägt nicht viel und soll den Moderator mit ihren chirurgisch aufgemotzten Kurven verschönern. Dafür kann sie auf eine Karriere im Showbusiness oder in der Politik hoffen. In Italien stehen Velina und Velinismo für eine Methode des Berlusconisystems: Diene dem Despoten, wenn du einen Platz an der Sonne suchst. Velina heißt auch Seidenpapier, und im Faschismus stand das Wort für die dünnen Kärtchen, auf denen die Befehle an die Presse vervielfältigt wurden: Keine Fotos vom Duce beim Tanz, zum Beispiel.

Das Velina-System

Die letzten Berlusconi-Skandale – das dubiose Verhältnis zur mittlerweile 18-jährigen Noemi und die Bikinimädchen-Fotos aus seiner sardischen Villa – machen ohne den Velinismo-Kontext keinen Sinn. Noemi plante eine Showkarriere: Der Premier hatte ihre Bewerbungsmappe durchgesehen, bevor er sie einbestellte. Die meisten seiner Lügen sind aufgeflogen. Auch die Poolparty-Fotos sind nichts Neues, sie belegen nur zum x-ten Mal, dass der Regierungschef in Lustgreispose Models und befreundete Politiker einfliegen lässt. Wie oft auf Staatskosten, wird gerade untersucht.

Es geht also gar nicht um den Sex, sondern um ein autokratisches Velina-System. Klar: Ob sich Berlusconi, Merkel oder Sarkozy gerne mal in Lacklederstiefel zwängen, kann den Wählern egal sein. Aber wer sich onkelhaft zurücklehnt und die Aufregung um ein paar Brüste übertrieben findet, tätschelt damit nur das eigene, womöglich in die Jahre gekommene Geschlecht. Aus diesem Blickwinkel sind die politischen Feinde moralinsaure Potenzneider. Dass der Premier die Gesetze selbst macht, ficht den Westentaschenberlusconi nicht an. Er bewundert seinen Silvio dafür, dass er mit Antistaatspolemik und Linkenhetze noch jeden Skandal überlebt hat.

Die netten Onkels

Nachlesen kann man die ironisch zwinkernde Onkelhaltung in der Welt, die den Ex-Berlusconi-Minister Giuliano Ferrara zu Wort kommen lässt. Ferrara ist Ex-Sprecher der Regierung Berlusconi, heute Chefredakteur der Zeitung Il Foglio und als Antiabtreibungsaktivist und Kommunistenfresser verschrien. Auf die Frage „Warum wir Italiener Berlusconis Schwächen lieben?“, antwortet er: „Moralistische Richter“ bedrohen das Vermögen des kreativen Unternehmers. Leider fehlt der Hinweis, dass dieses Vermögen mit kriminellen Machenschaften entstand, dass Berlusconi Mitglied der umstürzlerischen Freimaurerloge P2 war, dass er wegen Meineids verurteilt ist, dass er den Anwalt David Mills bestochen hat, dass er etliche Verfahren wegen Bilanzfälschung verschleppt hat, dass die Verbindungen zum Mafiakontaktmann Marcello Dell’Utri verschleiert wurden und dass er Parlamente überflüssig findet. Aber auch anderswo liest man erstaunlich oft vom „armen Silvio“, der doch nur spielen will.

Mittlerweile zieht Berlusconi gegen ausländische Medien zu Felde: Die Times hat ihn einen chauvinistischen Blödmann genannt und darauf hingewiesen, dass die gesamte EU von Italiens demokratiefeindlicher Regierung betroffen ist. Und El País, wo auch die Paparazzi-Fotos erschienen sind, veröffentlichte eine Hassattacke des Literaturnobelpreisträgers José Saramago, der Berlusconi einen "Verbrecher" nennt. Schön, dass man anderswo so klare Worte findet.

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