Dieser Zug ist abgefahren

Im Gespräch Peter Hettlich, Bundestagsabgeordneter und Verkehrsexperte der Grünen, hält einen Börsengang der Bahn noch in dieser Legislaturperiode für passé

Verkehrsminister Tiefensee (SPD) behauptet weiter, nur mit privatem Kapital könne die Deutsche Bahn AG als globaler Dienstleister reüssieren, ein Börsengang sei unausweichlich. Doch die dafür nötige Gesetzgebung steht auf der Kippe und scheint für diese Legislaturperiode kaum noch realistisch. Auch werden inzwischen andere Modelle debattiert als die von Tiefensee favorisierte Teilprivatisierung mit Netz, die am 10. Dezember erneut den Koalitionsausschuss beschäftigt. Bei alldem bleibt ausgeblendet - ohne den Souverän zu fragen, wird hier über Volksvermögen entschieden, mit dem auch anders umgegangen werden könnte, wie das Beispiel Schweiz zeigt.

FREITAG: Die SPD hat jüngst beschlossen, die Deutsche Bahn AG nur zu privatisieren, wenn Volksaktien ausgegeben werden und Konzerne keine Mitsprache erhalten. Wird damit ein Börsengang immer unwahrscheinlicher?
PETER HETTLICH: Die SPD hat sich in Hamburg ein grandioses Eigentor geschossen: Der Beschluss läuft dem zuwider, was die SPD-Minister Tiefensee und Stolpe verbockten, nämlich den integrierten Bahnbörsengang - Betrieb und Schienen-Netz sollten danach nicht getrennt werden, was ein GAU wäre. Die CDU ist froh über den SPD-Beschluss. Jetzt kann sie den Börsengang abblasen, den sie so nie wollte. Was die Privatisierung angeht, stehen alle gegen die SPD und gegen Tiefensee. Ich glaube daher nicht, dass die Bahn in dieser Legislaturperiode noch privatisiert wird.

Ist das Modell von SPD-Finanzminister Steinbrück - also nur den Nah-, Fern- und Güterverkehr zu privatisieren - ein Kompromiss?
Mit diesem Modell würde immerhin verhindert, dass die Schienen-Infrastruktur an die Börse geht. Zugleich würde rückgängig gemacht, was Bahnchef Mehdorn mit dem Segen des Bundesverkehrsministeriums seit 2002 verfolgt hat: die einzelnen Betriebe unter dem Dach der DB AG zu verschmelzen. Das Problem am Steinbrück-Modell ist aber, dass es den Bundestag übergeht. Mal schauen, wie sich die CDU dazu verhält.

Bahnchef Hartmut Mehdorn will die DB AG zu einem globalen Unternehmen ausbauen. Ist das überhaupt sein Auftrag?
Mehdorn ist zwar schon auf den sieben Weltmeeren unterwegs, und es fehlt nur noch eine Beteiligung am Weltraumbahnhof in Guayana, damit er eine Shuttle-Verbindung zum Mond aufbauen kann - aber das ist alles nicht seine Aufgabe. Die Bahn ist für die Bürger da. Damit das so bleibt, muss sich die Politik zumindest den Zugriff auf die Infrastruktur - sprich: das Schienen-Netz - sichern.

Laut Grundgesetz ist der Staat ohnehin für das Schienennetz verantwortlich. Kommt er dieser Pflicht ausreichend nach?
Nein, schon heute macht die DB AG mit dem Netz, was sie will. Dem Verkehrsausschuss des Bundestages ist es kaum möglich, Kontrolle auszuüben. Und wer sollte im Falle einer Privatisierung, die Sicherung des Netzes übernehmen, wenn nicht die DB AG Netz? Niemand anderes könnte das. Aber ich traue dem Unternehmen nicht.

Warum nicht?
Wir wissen nicht einmal, was mit den Geldern geschieht, die das Parlament dem Unternehmen für das Schienen-Netz überweist - jährlich zwischen 200 und 300 Millionen Euro. Aber der Zustand der Schienen wird immer schlechter, sagen uns Lokführer. Offenbar macht man mit den Geldern, was man will. Um einen Bericht über den Zustand des Netzes zu bekommen, mussten wir die Regierung massiv angreifen. Was wir erhielten, hatte die Bahn abgesegnet. Absurd: Ein Staatskonzern schreibt dem Souverän vor, was er wissen darf!

Noch einmal prinzipiell gefragt: Schadet es denn der Volkswirtschaft, wenn Teile der Deutsche Bahn AG privatisiert werden?
Wenn privatisiert wird, dann Logistik, Fern- und Güterverkehr. Alles andere ist vom Tisch - die Unternehmensteile Netz, Station, Service und Energie bleiben beim Staat. Volkswirtschaftlich sehe ich kein Problem, wenn die Railion AG, also der Güterverkehr, privatisiert wird - schließlich dient sie nicht der Daseinsvorsorge. Allerdings müssten zuvor Schulden beglichen werden, denn viele Unternehmen, die von der DB AG gekauft wurden, sind auf Pump finanziert: Das Unternehmen ist massiv verschuldet: 1993 waren es 34 Milliarden, derzeit sind es 19 Milliarden Euro.

Die Bahn spricht aber von Gewinnen, die sie erzielt habe ...
Ja, letztlich auf Kosten des Bundes: In den Regionen macht sie 500 Millionen Euro Gewinn, nicht zuletzt dank unserer Zuschüsse ohne die dort nichts fährt. Daher lässt sich die Regionalbahn auch nicht privatisieren. Zudem profitiert das Unternehmen von zinslosen Darlehen, vom Immobilien-Verkauf und erhöht im Fernverkehr ständig die Preise.

Was müsste am Bahngesetz, das 1993 reformiert wurde, geändert werden?
Der Kardinalfehler war, dass die Bahn als Aktiengesellschaft pseudoprivatisiert wurde. Seither führt der Vorstand das Unternehmen und wird vom Aufsichtsrat kontrolliert, während sich der Bund als Eigentümer selbst entmachtet hat. Dabei wird gern vergessen, dass der Vertreter des Bundes nicht der Verkehrsminister, sondern der Bundestag ist. Es war falsch, den Fernverkehr eigenwirtschaftlich betreiben zu lassen. So legt die Bahn einfach Trassen still, die angeblich unrentabel sind. Der Bund hat beispielsweise die Sachsen-Franken-Magistrale mit einer Milliarde Euro gefördert - doch 2006 zog die Bahn dort den letzten Fernzug ab.

Das Gespräch führte Dirk Friedrich Schneider

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