Der französische Schauspieler und Regisseur Jean-Louis Barrault besuchte vor etlichen Jahren ein Richard Foreman-Stück in Paris. Danach ging er mit geöffnetem Armen auf Foreman zu und gratulierte ihm überschwänglich. "Aber Richard", warnte er ihn am Schluss, "du kannst kein Theater hinter einer Mauer aus Glas machen." Nicht, dass es eine tatsächliche Mauer gegeben hatte. Barrault meinte den emotional kalten Inszenierungsstil der Produktion, der - ähnlich wie Brechts Verfremdungseffekt - ein Stilmittel Foremans ist.
Trotz seines großen Respekts für Barrault versuchte Foreman später, ihn durch Wörtlich-Nehmen zu widerlegen und steckte seine Schauspieler hinter wirkliches Glas. In den üblicherweise engen Räumen seiner Bühne
Bühnen sollte es eine Distanz zum Publikum schaffen. Mehr noch wurde es aber zum Markenzeichen einer speziellen Guckkasten-Atmosphäre: Während auf der Bühne ein wissenschaftliches Experiment menschlicher Konstellationen stattfindet, darf der Zuschauer mit einem Blick durchs Vergrößerungsglas am Treiben im Terrarium teilhaben. Angestrahlt von grellem Scheinwerferlicht hatte die vorderste Reihe dabei zugleich noch die Wahl, sich ganz dem Bühnengeschehen zu widmen oder die eigenen schemenhaften Gesichtszüge im reflektierenden Glas zu betrachten.Bei Panic! (How to be Happy), uraufgeführt in New York und derzeit bei den Wiener Festwochen gastierend, notiert der Stamm-Besucher daher zuerst das abhanden gekommene Plexiglas. Der Rest des Foremanschen Dekors allerdings scheint vollständig. Jede Saison variiert das Arrangement des Üblichen, zeigt sich aber meist als düsteres Zauberland, ein Hauch von notorischem Vaudeville kombiniert mit aufgepepptem Fundusmaterial. Das Ganze ist eingewoben in lange Schnüre und auf dem Bühnensims sitzen, wie eine friedliche Engelschar, blondgelockte, viktorianischen Puppen. Laut Programmheft stellt die Bühne eine wilde Landschaft vergangener Zeiten dar. In ihr bewegen sich vier fast unmenschlich anmutende Schauspieler. Die Frauen teilen sich äußerlich die Rollen von Vamp (Elina Löwensohn) und Jungfrau (Tea Alagic), die Männer teilen sich auf in Häuptling des Hochlands (DJ. Mendel) und Seeräuberkapitän (Robert Cucuzza). Das ist nur ihr Erscheinungsbild, grundlegend verschiedene Charakterzüge scheinen sie nicht zu besitzen. Sie wiederholen die Sätze, die über Lautsprecher kommen und von Foreman selbst eingesprochen sind; das ist ihr ganzer Text. Scheinbar willkürlich teilen sie ihn zwischen sich auf, nur wenige Sätze gehören zu einem Darsteller allein. Es ist, als würden sie durch diese geheimnisvollen Worte von einem übergeordneten Sprach-System kontrolliert. Meist phlegmatisch in ihrer Rezitation, lassen sie sich hin und wieder durch ein lautes Geräusch zu impulsiven, hektischen Handlungen hinreißen. Sie irren durch die Gegend (Hysterie!) und formieren sich wieder neu, voller Hoffnung vielleicht, der Gefangenschaft entkommen zu sein. "Gott sei Dank habe ich mein Ticket nach Hause gefunden", seufzt Svetlana erleichtert. Aber natürlich wird sie dort niemals ankommen. Auch Nikos und Umberto, die sich redlich mühen, gelingt es nicht, über den Berg hinaus zu klettern. Also vertreiben sie sich die Zeit damit, vom großen Hochzeitskuchen zu essen, und wenn sie allem überdrüssig sind, krachen sie gar in unbeholfenem Sex aufeinander. Damit man überhaupt erkennt, dass es sich hier nicht um eine Karambolage auf der Autobahn handelt, werden von stummen Dienern übergroße Symbole von Phalli und Vaginen über die Bühne transportiert. Aber auch das sind Stolperfallen, denn Foremans merkwürdige Welt ist eine der persönlichen Frustrationen: "Let´s all join ... (lauter Knall) ...the Misfit-Club!"Der Zuschauer kommt diesem Misfit Club ohne Plexiglas gefährlich nahe. Er fragt sich, was aus dem Versprechen des Stück-Untertitels geworden ist: How to be Happy. Doch wer tatsächlich auf eine Demonstration lebensverändernder Einsichten wartet, kennt Foreman schlecht. Der Text gleicht bei ihm stets einer Sphinx, die in Rätseln spricht. Es ist schwer genug, überhaupt ein geordnetes Ganzes zu erkennen, die Handlung entzieht sich jeder nachvollziehbaren Zusammenfassung. Obwohl die fragmentarisch gestreuten Sätze im Programmheft abgedruckt sind, lässt sich darin kein eindeutiger Sinn ausmachen. Foremans Stücke erzählen keine Geschichten, sie sind eine Aneinanderreihung dramatischer Situationen, eine etwa einstündige Meditation über das konzeptionell gewählte Thema. Wobei das wiederum nur eine Variation des ursprünglichen Themas ist: Es geht immer um den Menschen und dessen Zündstoff, die Poesie und seine Beschränkungen durch selbst gestellte Fallen. Der Einzelne fällt immer wieder hin, trifft immer wieder die falschen Entscheidungen. Daraus entsteht die hysterische Atmosphäre, die Foreman ontologisch untersucht.Das Ontological-Hysteric-Theater markiert mit Panic! sein 35-jähriges Bühnenjubiläum. Nach Jahren der Fluktuation durch die unkonventionellen Underground Bühnen Downtowns residiert die Gruppe seit 1991 in den Hinterräumen der St. Mark´s Church in New York. Die jährlichen Winterstücke Foremans besitzen inzwischen eine große Zugkraft, selten ist eine Vorstellung (bei allerdings sehr begrenztem Zuschauerraum) nicht ausverkauft. In den ersten sechs Jahren seines Bestehens war das noch anders; es wird berichtet, dass damals am Ende einer Vorstellung immer nur noch knapp die Hälfte des Publikums in der Aufführung saß. Selbst dem aufgeschlossenen New Yorker Publikum, das seit den Sechzigern mit der Fluxus Gruppe, dem Living Theater, Cage und auch Cunningham einiges gewohnt war, blieb die völlige thematische Losgelöstheit von sozialen und politischen Referenzen zunächst fremd. Foremans Theater dreht sich um das innere Bewusstsein des Menschen, seine Theorie beruht dabei auf der Annahme, dass das Leben nichts weiter ist als eine "absolut alberne, kindische Vermeidung der Leere in seiner Mitte". Das war auch für die Avantgarde schwer zu schluckendes Material.Dennoch hat sich gerade Foreman über all die Jahre hinweg wie sonst kaum ein Künstler seine ursprüngliche Form - und Wirkung - erhalten. Anders als die Living Theater, die aus der New Yorker Theaterszene beinahe verschwunden sind, oder auch Robert Wilson, der unter seinem Namen eine Produktionsstätte für Exportware in alle Welt gemacht hat, konzentriert sich Richard Foreman weiterhin vorrangig auf die Entwicklung seines persönlichen Stils. Dass er dabei Verwunderung auslöst, ist ihm durchaus bewusst: Was, dieser Richard Foreman schreibt noch immer seine kleinen Stücke für sein eigenes Theater? "Es gibt in diesem Land eben keine Tradition einer kontinuierlichen Avantgarde", sagt er. "Es gibt nur eine Tradition von "Hey, was gibt´s Neues?".Der Reiz eines Foreman-Stücks ist ein eher schwer zu fassendes Phänomen, das sich der herkömmlichen Zuschauerlogik entzieht. Vielleicht könnte man es als die kindliche Freude beschreiben, in vertrautem Ambiente einer nie zu entziffernden Welt lauter neue Details zu betrachten. Ganz profan ließe es sich auch mit: "Oh, es macht einfach Spaß" ausdrücken. Der Besucher wird aus seinem eigenen Sprachrhythmus in die nuancierten Töne von Sätzen gezogen, die vielleicht philosophische Dimensionen haben - vielleicht aber auch ganz banal sind. "Das ist meine private Kollektion verlorener Ideen, und die ganze Welt füttert sich mit meinen Eitelkeiten." Dahinter verbergen sich Geheimnisse, die man nicht lösen muss, weil es vielleicht gar keine Lösung gibt. Wenn man sich damit abfindet, etwas in sich wirken zu lassen, was nicht zu verstehen ist, dann ist ein Foreman-Abend Vergnügen im flüchtigen Moment, dann ist Panic! eine visuell und akustisch ungeheuer ansprechende Komposition.
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