Dieses Morgen ist von gestern

Literaturverfilmung Nicht gar zu innovativ, dafür mit Tom Hanks: „The Circle“ auf der Leinwand
Ausgabe 36/2017

Es sieht aus wie ein Apple-Keynote-Speech: Der leicht angegraute CEO stolziert in Jeans, Rollkragenpullover und Designerbrille auf die Bühne, hinter ihm eine Großleinwand, vor ihm ein Publikum, das auf die neueste Innovation seines Unternehmens wartet. Nur spricht hier nicht Steve Jobs, sondern Eamon Bailey, den Tom Hanks in den ikonisch-legeren Klamotten des Apple-Chefs verkörpert. Was er präsentiert, ist nicht nur ein Produkt, sondern eine Ideologie: Datenaustausch, Informationsfluss ohne Grenzen, permanente Überwachung.

Nicht durch den Staat, sondern durch ein Produkt des fiktiven Konzerns Circle. Eine Kamera, die, geformt wie ein Augapfel, hochauflösende Bilder selbstständig live überträgt und dazugehörige Daten sammelt und auswertet. Baileys Zuhörer sind nicht verstört, das „See Change“ genannte Kameraauge ist für sie keine verstörende Vision. Es ist ein Instrument der Freiheit, das mit donnerndem Applaus gefeiert wird. Am Ende des Vortrags wirft Bailey einen Prototypen ins Publikum.

Antiquierte Algorithmen

Das allsehende Auge landet bei Mae (Emma Watson). Die Neueinsteigerin wird an ihrem ersten Arbeitstag zur Auserwählten des Unternehmens. Durch die Brille ihrer digitalen und physischen Präsenz erzählt der Film von den Kehrseiten des Silicon-Valley-Geists. Maes Job bei Circle wird sukzessive zum Mittelpunkt ihres Daseins. Privates, Freunde und Familie werden in das Firmenleben integriert oder durch das Firmenleben ersetzt. Das geht so weit, dass Mae sich entschließt, als eine Art elaborierte PR-Aktion ihr Leben rund um die Uhr aufzeichnen zu lassen und in den sozialen Netzwerken des sektenartigen Konzerns mit allen zu teilen.

Was The Circle als Dystopie präsentiert, verweist nicht nur metaphorisch auf die Gegenwart, sondern gibt sich – auch wenn der Film in einer nahen Zukunft spielt – als konkrete, offenkundige Parallelwelt aus, die die dominante Silicon-Valley-Ideologie von innen nach außen stülpt. Apple, Google und Facebook werden in The Circle zum Superkonzern amalgamiert, der seine Vorzeigetechnologien einsetzt, um Daten zu sammeln, die seine CEOs niemals von sich preisgeben würden. Das Credo, mit dem Regisseur James Ponsoldt den gleichnamigen Bestseller von Dave Eggers adaptiert, ist einfach: Die Negation der Utopie ist jetzt. Man muss keinen Social-Media-Account besitzen, um zu verstehen, dass Autor und Regisseur etwas zur Disposition stellen, das im mächtigen Technologie-Optimismus schwer zu hinterfragen ist.

Das satirische Potenzial seiner modernen Truman Show lotet Ponsoldt dabei nicht aus, sondern inszeniert, angelehnt an einen mittlerweile schon fast abgehängten Zeitgeist, einen Orwell’schen Thriller, der dem Technofaschismus entgegensetzt, was schon zu Zeiten analoger Kommunikation Klischee war: ein mysteriöser Informant im stillgelegten U-Bahn-Tunnel und ein Aussteiger, der sich in eine Waldhütte zurückzieht.

Das wirkt ebenso antiquiert wie Ponsoldts visuelles Konzept der Technologiekritik, das Maschinen und Algorithmen ausschließlich als Instrumente der Freiheitsbeschränkung ausstellt, deren Macht in den Händen der Silicon-Valley-Tyrannen liegt. So projizieren Bildschirme ungefragt das Privatleben, Drohnen schweben über dem Firmengelände und eine Flut von Nachrichten überschwemmt den oft als Auge einer Überwachungskamera dargestellten Bildausschnitt.

Aus dieser Hysterie, die Komplexität und Folgen globalen Datenaustauschs auf simple Formeln wie Gier und Machthunger runterbricht, ergibt sich so weder eine mahnende Beschreibung des Silicon Valley noch genreübliche Dynamik. Die gibt es nur auf der großen Bühne. Dort, wo ein sympathisches Lächeln, Rolli und Jeans eine Zukunft verschleiern, die Ponsoldts Films schon längst hinter sich hat.

Info

The Circle James Ponsoldt Vereinigte Arabische Emirate/USA 2017, 110 Minuten

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Geschrieben von

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