Dilemma, das

Corona-Diaries FFP2-Masken, die geklaut, und Luftröhrenschnitte, die nicht gewagt werden. Tagebuch einer Oberärztin einer Intensivstation in Süddeutschland – Teil 2
Begehrt: Desinfektionsmittel und FFP2-Masken
Begehrt: Desinfektionsmittel und FFP2-Masken

Foto: Olivier Morin/AFP/Getty Images

9. April 2020

Dilemma, das: Zwangslage, Situation, in der sich jemand befindet, besonders wenn er zwischen zwei in gleicher Weise schwierigen oder unangenehmen Dingen wählen soll oder muss.

Eigentlich ist bei uns alles wie immer, möchte ich fast sagen. Wir finden als Intensivstation langsam wieder zu so etwas wie einer Routine zurück. Werden sicherer, bestimmter. Nur wer unter die Wasseroberfläche schaut, merkt, dass sich da etwas ganz leicht verschoben hat. Dass das Bild die Ränder zerrt.

Jeden Tag, mehrmals pro Schicht, schaue ich auf die Webseite der John Hopkins Universität. Schaue nach, wie viele Infizierte es gibt, wie viele Tote und vor allem: wie viele Genesene. Die guten Zahlen für Deutschland überraschen mich. In Italien und Großbritannien ist die Sterblichkeit schon auf über 11% geklettert. Das ist irre, kaum einer spricht davon.

Jeden Tag wühle ich mich jetzt durch irgendwelche Studien, die mir Hinweise für die Behandlung unserer Covid-19-Patienten geben könnten. Studien mit n=30 oder n=5, so wenigen Testpersonen also, dass ich mich frage, wie aussagekräftig die überhaupt sein können. Wühle mich durch Artikel in Fachzeitschriften und seit neustem auch durch die bunte Welt der Youtube-Videos. Videos mit Hunderttausenden Clicks, in denen Ärzte in allen möglichen Sprachen das Intubieren von Covid-19 Patienten erklären.

Bei unseren Fällen haben wir mittlerweile alle Therapien, die in der Ärztewelt blühen, sein lassen. Das HIV Medikament hat bei uns keine Wirkung gezeigt, das gegen Malaria die Leber zerfressen und jenes gegen Rheuma auch auf Verbesserungen warten lassen. Die einzige Therapie, die wirklich was zu verändern scheint: Das drehen und wenden. Unsere Covid-19-Fälle liegen mal auf dem Bauch, mal auf dem Rücken (16 Stunden Bauch??).

Wasserstandsmeldung: 6 Covid-19-Patienten an Beatmungsgeräten, 1 Todesfall.

Letzte Woche wollte ich einen unserer Patienten extubieren, also ihn aus der Narkose aufwachen lassen, den Schlauch aus seiner Lunge ziehen. Seine Werte waren gut, doch weil wir keine FFP3 Masken mehr hatten, musste er noch zwei Tage länger „schlafen“.

Jetzt über Ostern haben wir davon keine einzige mehr. FFP2 Masken sind uns zum Glück noch nicht ausgegangen, denn damit müssen die Pfleger in die Zimmer gehen. Es gilt: Pro Schicht und Pfleger eine Maske gegen Unterschrift. Und trotzdem sind letzte Woche 25 von ihnen einfach verschwunden. Geklaut und mitgenommen.

Ende März besucht ein Team des Deutschen Instituts für Krisenmedizin eine Klinik in Strasbourg. Der Bericht liest sich wie ein Schreiben von der Front. Eine Aufzählung jagt die nächste. Im Schnitt wird jede Stunde ein Covid-19 Patient mit schwerem Verlauf eingeliefert. Menschen über 80 begleitet man mit Opiaten und Schlafmittel in den Tod. Personal arbeitet auch positiv auf Covid-19 getestet weiter. In Deutschland hat der Tagesspiegel den Bericht veröffentlicht. Und das Straubinger Tagblatt.

Wir bekommen wie andere Krankenhäuser auch Patienten aus Frankreich. Nach welchen Kriterien sie ausgewählt werden, weiß ich nicht. Der eine kam halb tot bei uns an. Mit einem Narkosemittel, das für die Intubation eigentlich nicht ausreicht. Das richtige hatten sie nicht mehr. Ist dem Krankenhaus ausgegangen.

Unsere anderen Patienten liegen schon seit drei Wochen beatmet auf Station. Ihre Werte haben sich kaum verbessert. Normalerweise macht man nach sieben bis zehn Tagen einen Luftröhrenschnitt und legt den Schlauch durch den Hals in die Lunge. Dann müssen die Patienten nicht mehr unter Narkose stehen, können langsam aufwachen und schrittweise das eigene Atmen wieder lernen.

Doch bei Covid-19 Patienten gibt es kein normalerweise mehr. Sie werden über Wochen hin intubiert. Jeder hat Angst vor dem Luftröhrenschnitt, denn das ist der mit Abstand gefährlichste Moment. Der Moment, in dem das Risiko, sich anzustecken, am höchsten ist.

Ein kaum zu lösendes Dilemma. Denn auf der einen Seite stehen Pfleger und Ärzte, die wie Italien zeigt, auch geschützt werden müssen. Doch auf der anderen Seite, ihnen gegenüber sind die Patienten: In tiefer Narkose, am Beatmungsgerät, ohne Exit-Strategie.

Teil 1 dieses Corona-Tagebuchs aus der Intensivstation finden Sie hier

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