Dingsda

Flachland Ulf Erdmann Zieglers Debütroman "Hamburger Hochbahn" führt zurück nach Lüneburg

Ulf Erdmann Ziegler führt eine spitze Feder. Dem Leipziger Maler Neo Rauch hat der Kunstkritiker kürzlich ein "Ressentiment gegen die Moderne" vorgehalten, weil er das grafisch Offene der Anfangsjahre gegen allzu üppige Historienbilder eingetauscht hat. Nun ist der 1959 geborene Journalist selbst unter die Künstler gegangen. Er hat nicht zum Pinsel gegriffen, keine Biennale mit einer Installation beglückt, sondern einen Roman geschrieben. Und das Beste, was man über diesen Erstling sagen kann, ist, dass das Werk eine Liebeserklärung an die Moderne geworden ist - so klassisch ist er geworden.

Kritikern, die zu Autoren werden, begegnet man hierzulande immer noch mit Reserve. Der Rollenwechsel, wie er in den angelsächsischen Ländern an der Tagesordnung ist, ist in Deutschland eher verpönt. Die erstklassigen Romane des britischen Literaturkritikers John Banville etwa, elf Jahre Literaturredakteur der Irish Times, beweisen dagegen, wie qualitätsvoll ein solcher Rollenwechsel ausfallen kann. Wenn man es kann.

Wahrscheinlich war Ziegler nicht falsch beraten, mit seinem ersten Buch nicht gleich den Gipfel der Avantgarde stürmen zu wollen. Es spricht auch für ihn, dass er nicht so umstandslos Insiderwissen novellistisch recycelt wie Hellmuth Karasek, als er 1998 mit seinem Spiegel-Schlüsselroman Das Magazin den Ausbruch aus dem Ghetto des Nur-Beobachters versuchte. Auch wenn Hamburger Hochbahn in dem, Ziegler bestens vertrauten Kunst- und Architekturmilieu spielt und ein "Apologet des Quadrats" darin vor kommt, der verdächtig an den ebenfalls ziemlich rechteckigen Star-Architekten O. M. Ungers gemahnt.

Ziegler geht den klassischen Weg der Initiation ins literarische Schreiben. Hinter der Geschichte des Thomas "Tom" Schwarz von der Kindheit in Lüneburg über das Studium in Braunschweig bis zum Angestellten eines Architektenbüros in Hamburg, der sich mit 40 Jahren im amerikanischen St. Louis die Sinnfrage stellt, darf man auch biografische Antriebe vermuten. Bei der Wahl der ästhetischen Mittel zeigt sich jedoch doch das Problem des Werks.

In Hamburger Hochbahn fächert Ziegler ein Panorama der geistigen Leere der achtziger Jahre auf. Utopien gelten, das fragt schon der Kunstlehrer in der Schule streng, als "gefährliche Phantasterei". Kein Wunder, dass die Kommission "Hamburg der Zukunft", in die es Schwarz durch Zufälle und Beziehungen verschlägt, Visionen ganz klein buchstabiert: als "umweltfreundliche Reurbanisierung". Zum großen Zeitroman der achtziger Jahre wird das Buch mit diesem Thema noch nicht. Selbst wenn sich ganz nebenher die Mauer öffnet, Tom auch in Leipzig plant und sein Freund, der wendige Fabrikantensohn Claes Philip Osterkamp, zu den Grünen wechselt. Allzu oft muss man sich nämlich durch insiderhafte Passagen quälen, die selbst Kenner der abgefeimten Architektenszene auf eine harte Geduldsprobe stellen dürften. Dann verliert sich Ziegler wieder in der Innenwelt seines seltsam eigenschaftslosen Helden. Und mehr als einmal beschleicht einen der Verdacht, dass der stärkste Antrieb dieses Buches letztlich doch das coming-of-age-Motiv ist. Das zeigt sich schon an der Perspektive: Toms Leben in Amerika wird aus der Distanz eines Erzählers, die Jugenderinnerung von einem distanzlosen Ich geschildert. Nicht zufällig gehört zu den stärksten Szenen des Buchs der Abend, als die junge Bella den jungen Thomas auf ein Laken und "ihr blutiges Dingsda auf meinen einsamen Stengel" drückt. So wird der antriebsarme Mann, der von sich selbst sagt, dass er einer Generation angehört, die gern alles aufschiebt, plötzlich Vater.

Die Unentschiedenheit in der Erzählabsicht überspielt Ziegler mit forciertem Stilwillen. Mehr als einmal treibt er seine detailverliebte Beschreibungssucht auf die manieristische Spitze: "Florian war ein Junge mit rot entflammten Pausbacken und kastanienglänzenden Augen, einem Kranz zarter Locken, konterkariert durch einen blaurot schimmernden Kirschmund über einem leicht zurückgeworfenen Kinn. Franz Hals mit einem Hauch von französischer Dekadenz". So rückt er einmal den Geiger einer Band aus Lüneburger Schülertagen förmlich ins Bild. Ziegler geht es um das Durchschnittliche, Ziellose und Verfranste der zeitgenössischen Biografien. So Thomas-Mann-mässig, wie er das mitunter aber angeht, meint man fast so etwas wie ein Ressentiment gegen die Postmoderne herauszuhören.

Ulf Erdmann Ziegler: Hamburger Hochbahn. Roman. Wallstein, Göttingen 2007,
329 S., 19,90 EUR


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