Die schwarz-gelbe Koalition lässt wenig Gelegenheiten aus, sich als Bündnis der Uneinigkeit zu präsentieren. Nun hat EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström mit ihrem Vorstoß alle europäischen Staaten zur Sperrung von kinderpornografischen Internetseiten zu verpflichten, eine alte Diskussion wiederbelebt: Kommt man der Verbreitung solcher Inhalte besser mit Sperren oder einer Löschverfügungen bei?
Monatelang tobte eine Debatte darüber, ob ein virtuelles Stoppschild die massenhafte Verbreitung kinderpornografischer Inhalte effektiv eindämmen kann. Nein – so war bisher auch der Ausgang der Auseinandersetzung in der schwarz-gelben Koalition verstanden worden. Das so genannte Zugangserschwerungsgesetz trat zwar noch in Kraft, wird aber nicht
aber nicht angewendet.Dreht Kommissarin Malmström die Uhr der deutschen Diskussion mit ihrem Vorstoß für eine EU-Richtlinie jetzt zurück? Der Schwedin schwebt ein Filterverfahren vor, das „mit den dunklen Ecken des Internets und den kriminellen Bildern von Kindesmissbrauch aufräumen“ soll. Ihre Argumentation gleicht verdächtig dem Vorstoß der Ex-Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) aus dem Wahlkampfjahr 2009. Neben Besitz und Verbreitung soll auch die Suche nach und das Online-Ansehen von Kinderpornografie verboten sein. Besonders Webseiten außerhalb der EU könne man nur durch Sperren beikommen, meint Malmström.Auch die CSU will diese Lösung plötzlich wieder ergebnisoffen prüfen, Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat dagegen angekündigt, nach dem Motto „Löschen statt sperren“ verfahren zu wollen. Vom Bruch des Koalitionsvertrages und „Scheinaktionismus“ war bei den Christsozialen die Rede, die FDP reagierte mit dem Hinweis, die CSU sei offenbar noch „verhaftet in dem Denken der letzten Koalition“.Finnland, Schweiz, AustralienUnd wie gehen andere Staaten mit Kinderpornografie im Internet um? Seit 2008 filtern Provider in Finnland gemäß einem „freiwilligen Gesetz“ im Ausland liegende Missbrauchsbilder von Kindern heraus. Seiten im Inland sollen dagegen gelöscht werden. Der Online-Aktivist Matti Nikki fand heraus, welche Seiten auf der Liste der nationalen Polizeibehörde standen und veröffentlichte sie Anfang 2008 im Internet. Die wenigen Links zu offensichtlich verbotenen Inhalten entfernte er. Der Rest der Liste bestand zu rund zwei Dritteln aus Websites, die klar pornografisch waren, aber mit der Darstellung von Missbrauch nichts zu tun hatten. Nikkis Website erlangte im Gefolge eine gewisse Bekanntheit, da die finnische Polizei seine Seite kurzerhand mit auf die Sperrliste setzte. Die Polizei ermittelte sogar gegen ihn, die Staatsanwaltschaft erhob aber keine Anklage. Bis zum heutigen Tag bleibt die Seite mit der inzwischen überholten Liste gesperrt.In der Schweiz herrscht eine Alternative zum Sperren vor: Die Bundespolizei hat eine „Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität“ (KOBIK) eingerichtet, der die Bürger über ein Formular auf cybercrime.ch anstößige Seiten melden. Die KOBIK bewertet die Seite, und sammelt bei einem hinreichenden Anfangsverdacht Informationen, die sie an die örtlichen Behörden in der Schweiz und im Ausland weiterleitet. Die Schweizer berichten regelmäßig von Fahndungserfolgen, die KOBIK behält zudem die Fälle im Auge und hakt bei Bedarf nach. Speziell bei Darstellungen von Kindesmissbrauch verweist das Schweizer Bundespolizeiamt auf eine hohe Erfolgsquote samt einer Verurteilung der Täter.Australien verdient es, ein wenig näher betrachtet zu werden. Schließlich werden dort Internetseiten recht umfassend nach Jugendschutzkriterien eingestuft, zudem plant die Labour-Regierung, Anstößiges aller Art aus dem Web zu filtern. Neben Kinderpornografie geht es auch um Darstellungen von Sex mit Tieren, Anleitungen zu Terrorismus und Verbrechen. Kommunikationsminister Stephen Conroy will ein für alle Provider verpflichtendes Gesetz noch in diesem Jahr durchs Parlament bringen. Bei inländischen Seiten erhalten die Verantwortlichen bereits jetzt eine Löschaufforderung, ausländische Seiten sollen künftig gefiltert werden.Innerhalb weniger StundenEine an die Öffentlichkeit gelangte Fassung der australischen Sperrliste brachte die dortige Internet-Community im Frühjahr in Aufruhr – schließlich befanden sich darauf auch Bilder eines renommierten Fotografen und sogar die Seite eines Zahnarztes. Neben einer Basis-Liste zum Kinder- und Jugendschutz ist eine optionale schwarze Liste, mit anstößigem, aber nicht verbotenem Material geplant. Eine unabhängige Prüfstelle der Kommunikationsbehörde ACMA soll Hinweise aus der Bevölkerung bewerten und die Listen erstellen. Die Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontiers Australia kritisiert die beispiellose Intransparenz des Systems. Immerhin beteiligt die Regierung ihren Bürger nun via Internet. Viele kritisierten das Filtern als solches. Auch Branchen-Schwergewichte wie Google meldeten massive Bedenken an: das Filtern werde die Verbindung zwangsläufig verlangsamen. Informative Seiten, wie zur Aids-Aufklärung, oder Diskussionsforen von Schwulen und Lesben könnten auf Filtern landen. Selbst die konservative Australian Christian Lobby hat Bedenken, dass versehentlich gesperrte Seiten das Ansehen des Projekts gefährden könnten.Übrigens: Die Server, auf denen Webseiten mit kinderpornografischen Darstellungen liegen, befinden sich vor allem in westlichen Staaten. Die BKA-Auswertung einer dänischen Sperrliste verortete den Löwenanteil in den Vereinigten Staaten (1.148), gefolgt von Deutschland (199), den Niederlanden (79), Kanada (57) und Russland (27). All diese Länder ächten Kinderpornografie – es sollte also ein Leichtes sein, entsprechende Internetangebote nach einer kurzen Mitteilung zu löschen. Besonders, wenn man sich vor Augen führt, wie schnell im Fall betrügerischer Phishing-Seiten gehandelt wird und diese aus dem Netz verschwinden. Einer Studie der Universität Cambridge zufolge werden sie in der Regel innerhalb weniger Stunden gelöscht.