Diskussion nach der "Serum-Methode"

Gentechnologie Therese Neuer-Miebach über die Verengung molekularbiologischer Forschung, die Fragwürdigkeit gentechnisch hochgezüchteter Medizin und die Aufgaben des Ethik-Rats

FREITAG: Es wird in der Debatte über Präimplantations-Diagnostik (PID) fast ausschließlich aus der Perspektive des "Endverbrauchers" diskutiert. Wie konnte es zu dieser thematischen Verengung kommen?

Therese Neuer-Miebach: Wir haben das Thema PID vor Jahren diskutiert, als die ersten Forscher daran gehen wollten, sie in Deutschland genehmigen zu lassen. Veröffentlichte Argumentationen für eine Genehmigung bezogen sich auf Einzelfälle, in denen ein Paar, das Kinder mit Mukoviszidose verloren hatte, ein nicht geschädigtes Kind bekommen wollte. Das ist eine nachvollziehbare Fragestellung. Die Befürworter haben dieses Argument genutzt, um in Deutschland Stimmung zu schaffen für eine Zulässigkeit der PID, die nach dem Embryonenschutzgesetz verboten ist. Man kann mit tragischen Einzelfällen sehr schnell ein Klima der Akzeptanz schaffen für bislang nicht genehmigte Techniken. Das versteht jeder. Roman Herzog hat gesagt: ›Ich kann doch nicht einem Kind, das mit Mukovisziodose vor mir steht, Heilmöglichkeiten verweigern!‹

Die 50 bis 150 Paare, die im Jahr von der PID profitieren sollen, stehen jedoch in keinem Verhältnis zu der Dimension der öffentlichen Aufmerksamkeit.

Wenn es nur um diese 150 Paare ginge! Ich war jetzt bei einer Podiumsdiskussion in Darmstadt, bei der mir ein Gynäkologe gesagt hat, das sei völliger Unsinn. Es gehe nicht nur um diese Einzelfälle, sondern darum, dass man PID bei jeder In-Vitro-Fertilisation anwendet, also flächendeckend. Und sein Nachsatz: Warum sollen wir denn nicht Embryonen, die keine Chance haben, töten dürfen? Eine Einschränkung auf bestimmte restriktive Bedingungen, wie sie die Bundesärztekammer in ihrem Richtlinienentwurf für die PID festlegt, wird nicht funktionieren. Es lässt sich nicht durchhalten, weil die Schwere einer genetischen Erkrankung oder Schädigung weder im voraus feststellbar, noch grundsätzlich abgrenzbar ist. Wenn in der Richtlinie beispielsweise steht: ›für besonders schwere Fälle‹, und ein Arzt sagt: ›Sie bekommen die PID nicht, aber ein anderes Paar bekommt sie‹. mit welcher Kompetenz legt er welche Kriterien an?

Nun ist ja auch die In-vitro-Fertilisation, bei der die PID angewandt wird, für Frauen keineswegs risiko- und belastungsfrei, sie wird flankiert von gravierenden Hormonmanipulationen bei der Frau.

Richtig, es muss eine Hormonstimulierung bei der Frau in Gang gesetzt werden. Und diese hat viele Nebenwirkungen, die zum Teil noch gar nicht erforscht sind. Es bedeutet eine hohe Belastung für die Frauen, sich diesem Verfahren zu unterziehen. In der Regel ist es so, dass der In-vitro-Versuch dreimal wiederholt wird. Die begleitenden organischen und psychosozialen Auswirkungen treten aus meiner Sicht viel zu sehr in den Hintergrund.

Was halten Sie von der These, dass sich die Medizin immer stärker auf molekularbiologische Fragestellungen verenge und damit die Tendenz einhergehe, dass immer mehr Krankheiten zu "Orphan´s Diseases" werden, Krankheiten, die nicht erforscht werden, "weil es sich nicht rechnet"?

Diesen Punkt haben wir schon erreicht. Wenn das ursprüngliche Paradigma ist, zu heilen, Entlastung und Unterstützung anzubieten, dann darf die Medizin sich nicht danach richten: wo ist ein lohnendes Feld, auf dem ich nachher per Behandlung oder per Medikamentengabe auch verdienen kann? Es müsste vielmehr Forschung ungeachtet der Verbreitung oder der Anzahl der von der Krankheit Betroffenen stattfinden. Die molekularbiologische Betrachtungsweise stellt eine unbillige Verengung dar. Wir wissen, dass der Mensch nicht nur aus Genen besteht, sondern dass ökologische und sozialökologische Faktoren auf die Menschen einwirken. Mein Ansatz ist: Wie weit kann ich Einflussfaktoren verändern, damit jeder Mensch seine optimalen Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten bekommt und nicht umgekehrt seine individuelle Anpassung an durchaus fragwürdige gesellschaftliche und umweltpolitische Rahmenbedingungen herzustellen.

Geht die Tendenz nicht langfristig dahin, dass eine reiche Menschheit in einem eingemauerten Reservat gentechnisch hochgepäppelt wird, während der arme Rest außerhalb der Mauern verarmt und - entschuldigen Sie den Ausdruck - degeneriert?

Dem kann ich nur zustimmen. Wenn ich sehe, wie viel nicht nur personelle, sondern auch finanzielle Kapazität in die Verbesserung der Erbsubstanz und der Lebensmöglichkeiten in der westlichen Welt gesteckt wird - angefangen bei der Frühgeborenenmedizin bis hin zu gentechnischen Eingriffs- und Verbesserungsmöglichkeiten -, dann kann ich es mir einfach nicht vorstellen, dass weltweit alle Länder gleichermaßen von diesen Möglichkeiten profitieren werden. Hier geht die Schere zwischen reichen und armen Ländern wieder einmal auf, und für nicht gerechtfertigt halte ich es, dass der Kinderwunsch unserer hochzivilisierten Mittelständler als das Nonplusultra dargestellt wird.

Wenn ich auf der anderen Seite - und das weiß ich aus eigener Anschauung - die Lebensbedingungen von sehr vielen Kindern und Jugendlichen in Entwicklungsländern, etwa in Afrika, sehe, halte ich das für eine perfide Entwicklung. Wir müssen ein Gesundheitssystem entwickeln, das allen Menschen optimale Entwicklungsmöglichkeiten gewährt. Das gibt es bislang weder bei uns, noch in den Entwicklungsländern. Darum halte ich die momentane PID-Diskussion für eine elitäre, mittelständische, westlich orientierte Exklusiventwicklung.

Hier hat andererseits auch ein Dammbruch stattgefunden: Man sagt jetzt nicht mehr, der Mensch ist um seiner selbst willen etwas Wert, sondern sein Leib, seine körperliche Integrität steht der forschenden Allgemeinheit zur Verfügung.

Es wird feiner formuliert: Im Sinne einer gesellschaftlichen Solidarität muss der Mensch sich zur Verfügung halten für Eingriffe, die nicht ihm, sondern möglicherweise ähnlich Betroffenen oder ausgestatteten Menschen oder einfach dem abstrakten Wohl der Menschheit dienen. Da wird ein für mich neuartiges Verständnis von gesellschaftlicher Solidarität formuliert, das sich an abstrakten Prinzipien orientiert. Das offenbart sich etwa an der europäischen Bioethik-Konvention, wo es um den Forschungszugriff auf nichteinwilligungsfähige Menschen geht: Dort wird die Solidarität mit der Allgemeinheit zur Rechtfertigung, um den Schutz, den das Betreuungsgesetz für die betroffenen Menschen vorsieht, auszuweiten und Forschungseingriffe vornehmen zu können.

Sie sind in vielen bundesdeutschen Ehtik-Gremien vertreten und nun von Kanzler Schröder auch noch in den "Nationalen Ethik-Rat" berufen worden. Was können Sie in diesen Gremien bewirken?

Solange noch keine rechtlich verbindlichen Positionen festgezurrt sind, ist die Chance, alles, was an Argumenten im Moment da ist, zusammenzubringen und zumindest eine Diskussion in Gang zu setzen: Was wollen wir an Forschung zulassen oder an welchen Barrieren, die unsere Rechtsordnung vorgibt, wollen wir festhalten? Das erste wäre, dass alle Argumente, nicht nur die publikumswirksamen, auf den Tisch kommen. Und dass man Empfehlungen an die Politik weitergibt. Wichtig ist, dass wir die Diskussionen innerhalb der Gesellschaft führen. Wir müssen also mit kirchlichen Organisationen, Behindertenorganisationen, Forschungsinteressierten einschließlich der Pharmaindustrie sprechen.

Warum reicht hierzu die Enquete-Kommission des Bundestages nicht aus?

Es ist das gute Recht eines Bundeskanzlers, sich ein Beratergremium zu schaffen ...

... um eine Imageverbesserung zu erreichen ...

... der Aspekt, sich durch so genannte renommierte Experten eine Imageverbesserung zu verschaffen, spielt sicher eine Rolle. Aber im Moment hat die Einrichtung eines Nationalen Ethik-Rats durchaus eine stimulierende Wirkung auf die Aktivität der Enquete-Kommission. Nicht ohne Pikanterie ist ja die Tatsache, dass die Vorsitzende der Enquete-Kommission, Frau von Renesse, als sie feststellte, dass ein - möglicherweise als Konkurrenz erscheinendes - Gremium hinzukommt sich bemüßigt fühlte, auf der Ebene der Enquete-Kommission ausgesprochen rührig zu werden.

Was halten Sie von dem aktuellen Grundsatzpapier der CDU zu PID?

Es beinhaltet, dass die Menschenrechte und die Würde geschützt werden sollen, aber durch die Hintertür werden dann doch wieder Regelungen eingeräumt, die Eingriffe zulassen. Ich kann die Argumentationslinie nur als brüchig bezeichnen und die Folgerungen für die Zulässigkeit von entsprechenden Forschungen und diagnostischen Eingriffen nicht nachvollziehen. Ich denke im Gegenteil, dass die PID sowohl selektiv und diskriminierend für behindertes Leben wirkt, als dass sie auch zwangsläufig dazu führt, dass Embryonen getötet werden. Ich kann nicht nachvollziehen, dass das im Einklang mit Artikel 1 des Grundgesetzes steht.

Die CDU sagt: Regen ist notwendig, aber nass will ich nicht werden. Das Grundsatzpapier der CDU ist teilweise wortwörtlich aus früheren Reden von Jürgen Rüttgers zusammengeklebt.

Herr Rüttgers möchte natürlich seine Genforschungspolitik, die er als Bundesminister gefördert hat, auch jetzt weiterbringen. Dass Deutschland einen großen Anteil am weltweiten gentechnischen Markt haben soll, ist eine ganz klare Intention seiner Äußerungen. Mir ist jedoch wichtig zu betonen, dass ich nicht grundsätzlich gegen Gentechnologie bin, sondern gegen gewisse Aspekte der Selektion und Diskriminierung von Personengruppen. Warum kann denn die Bundesrepublik international nicht auftrumpfen, indem sie eine Alternative zur Stammzellenforschung aufbaut, zum Beispiel mit adulten Zellen, die ethisch nicht so heikel ist?

Das befürwortet allerdings auch die CDU in ihrem Grundsatzpapier und winkt mit dem berühmten Nabelblut.

Ja, aber die CDU sagt, wir brauchen alle drei Optionen. Und auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft argumentiert, die embryonale Stammzellenforschung als Voraussetzung für die Forschung an adulten Zellen zu benötigen.

Die Diskussion wird, wie auch die Diskussionen über Atomkraft oder Nachrüstung, nach der nach Roland Barthes genannten "Serum-Methode" geführt. Es wird ein kleiner Ausschnitt aus einem viel größeren Gesamtvorhaben vorab in Szene gesetzt, worüber eine gewisse Zeitspanne inflationär diskutiert wird, bis es den Leuten zum Hals heraushängt. Dann sind die Leute gegen das Thema immunisiert, imprägniert. Nun kann statt des kleinen Ausschnittes die ganze Wahrheit ohne nennenswerten Widerstand umgesetzt werden.

... mit der Folgerung, dass wir inzwischen bei der Atomenergie so weit sind, dass wir den Ausstieg versuchen. Aber müssen wir alle diese Stadien noch einmal durchlaufen, um zu erkennen, dass es technische Machbarkeiten gibt, die wir lieber erst gar nicht zulassen sollten? Warum soll man zwanzig Jahre daran experimentieren und hinterher sagen, die Nebenwirkungen sind so, dass wir das nicht mehr länger verantworten können? Gerade die Eingriffe in das menschliche Erbgut, die Genomanalyse und die Keimbahnintervention sind so existentielle Dinge, deren Konsequenzen wir nicht absehen können, auch dann nicht, wenn das menschliche Genom eines Tages einmal wirklich komplett entschlüsselt sein sollte. Es wird immer gesagt, wir wollen wissen, wie der menschliche Organismus funktioniert. Das ist doch Augenwischerei. Man will in die Keimbahnen intervenieren. Man will verändern, weiß aber überhaupt nicht, welche unerwünschten Folge- und Nebenwirkungen das auch auf die Nachkommenschaft haben wird. Das kann niemand voraussehen, und in fünfzig Jahren ist vielleicht eine Realität da, von der man wie jetzt bei der Atomenergie sagen muss: lasst uns doch andere Wege suchen. Ich bin dafür, jetzt nach Alternativen zu suchen. Das wird nicht debattiert und das macht mich rasend.

Das Gespräch führte Hermann Ploppa

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