Dissens im Denkkäfig

Debatte Daniela Dahn, Albrecht Müller und das Wachstum (I)

Wachstum oder Umverteilung - diese beiden Leitideen scheiden die Geister. Muss man für mehr Investitionen und mehr Konsum sorgen, wenn Arbeitsplätze und Teilhabechancen entstehen sollen? Ist Wachstum das unverzichtbare Fundament für eine gerechtere Gesellschaft? Entschieden verneint Daniela Dahn diese Fragen und verlangt eine umfassende Reform des Erwerbslebens: "Drei Stunden Arbeit am Tag werden genügen" (siehe Freitag 30 vom 29.07). Ebenso entschieden widerspricht Albrecht Müller und hält den Verzicht auf eine Wachstumsstrategie für eine große Illusion (siehe Freitag 32 vom 12.08.). Mit einem doppelten Einspruch gegen Albrecht Müller setzen wir die Diskussion fort.

Albrecht Müller begreift die Systemkritik von Daniela Dahn nicht. Er ärgert sich, dass sie den Glauben an das wirtschaftliche Wachstum als Aberglauben entlarvt. Er ärgert sich, dass sie die von ihm propagierte antizyklische Wirtschaftspolitik - Binnennachfrage erhöhen und dadurch Arbeitsplätze schaffen - nicht so richtig Ernst nimmt. Und er sieht Daniela Dahn - und mit ihr die Wachstumskritiker überhaupt - de facto im Bündnis mit jenen, denen die Arbeitslosigkeit gerade Recht ist, um Löhne zu drücken und Arbeitnehmerrechte zu kassieren. Seine Schreibe sprüht vor Zorn.

Lieber Albrecht Müller, vielleicht würde der antizyklische Kurs ja wirklich helfen, vielleicht könnte er einige Zigtausend Arbeitsplätze für einige Zeit schaffen. Aber nicht hier, sondern im Denkkäfig liegt der Dissens. Daniela Dahn will nicht in dem ideologischen Gefängnis leben, in dem die demokratisch gewählte Exekutive nur der Sklave ist, während die Herren des Geldes die reale Macht ausüben. Alle Gewalt geht vom Volke aus - sagt unsere Verfassung. Alle Gewalt geht von den ökonomischen Mächten aus - lernen wir im kapitalistischen Denkkäfig. Daniela Dahn will Menschenwürde für alle. Sie will Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für alle.

Arbeitslosigkeit nur zu bekämpfen durch Anreize für die Konjunktur und dann Daumen drücken in der Hoffnung, dass der kapitalistische Lindwurm sich der kleinen Leute wieder annimmt, die er aus dem Produktionsprozess hinausgeworfen hatte - das reicht ihr nicht. Sie will, dass die gewählte Regierung die Wirtschaft im Interesse eines menschenwürdigen gesellschaftlichen Zusammenlebens kontrolliert und nicht umgekehrt. Albrecht Müller will die Wirtschaft ankurbeln, im Interesse der Arbeitslosen. Aber die Wirtschaft macht, was sie will, in ihrem Profitinteresse. Also müssen wir dem Profitinteresse die richtige Stimulanz geben, und sie wird hoch laufen, und es wird etwas abfallen für die Arbeitslosen, für einige, vielleicht für viele - sagt Albrecht Müller. Er ist gelernter Nationalökonom. Und irgendwie denken wir alle so, mehr oder minder. Wir sagen Demokratie und akzeptieren dann doch die Übermacht des Geldes als selbstverständliche Realität. Wir sagen Menschenwürde und gleiche Rechte für alle und akzeptieren es dann doch wie eine höhere Gewalt, dass die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden.

Gefangen im Denkkäfig der kapitalistischen Ideologie, verspielen wir die Demokratie, bevor sie richtig angefangen hat. Die absurde Formel vom immerwährenden Wachstum ist einer der Bausteine dieser Ideologie. Wir sollen dieser Formel bedingungslos glauben und also die Konjunktur füttern durch Konsum und auf Dauer noch mehr Konsum und Konsum im Quadrat. Damit helfen wir den Herren der liberalen Wirtschaft, Profite zu machen. Und deren Profite helfen dann uns und aller Welt, noch mehr zu konsumieren. Und das hilft ihnen wieder, noch mehr Profite zu machen. Was daran eigentlich so schlimm ist, will Albrecht Müller wissen. Schlimm ist, dass wir die humane Idee der sozialen Demokratie einer solchen Schimäre opfern sollen.


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